Mainz Lewentz warnt vor brisanter Frontstellung gegen den Staat
Eine schleichende Radikalisierung an den politischen Rändern, immer professionellere Cyberangriffe sowie die rasante Verbreitung von Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien bedrohen nach Einschätzung des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) zunehmend den Staat. Radikalisierungsprozesse verliefen schnell, nähmen wie Entgrenzungstendenzen zwischen Extremismus und demokratischer Mitte zu und verlagerten sich immer weiter ins Internet, sagte Lewentz am Montag in Mainz.
Er sprach bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2021 von einer "hochbrisanten Mischung", betonte aber gleichzeitig: "Unsere Demokratie ist wehrhaft." Es werde mit Härte gegen Umsturzbestrebungen vorgegangen. Nachfolgend ein Überblick über sicherheitspolitische Bedrohungen:
Cyberangriffe
Extremisten und fremde Nachrichtendienste wie etwa aus Russland und ihre Helfer versuchten die Verfassungsordnung zu unterminieren, das politische System zu destabilisieren und die Bevölkerung zu verunsichern, warnte Lewentz. "Solche Angriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller."
Reichsbürger/Selbstverwalter
Die Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter konnte Lewentz zufolge deutlich aufgehellt werden und umfasst - gemessen an der Zahl der Anhänger - die stärkste Gruppe. Rund 850 Menschen werden dazugezählt, 150 mehr als 2020; darunter seien konstant etwa 100 gewaltorientierte. Szene-Angehörige traten den Angaben zufolge 2021 vermehrt in der Öffentlichkeit auf, etwa bei Protesten gegen die Eindämmung der Maßnahmen zum Schutz des Coronavirus.
Auch nachdem diese Einschränkungen fast völlig weggefallen sind, gibt es weiterhin Versammlungen dagegen, zuletzt landesweit 18 mit rund 700 Teilnehmern. Aus der Corona-Protestszene und Aktivisten der Reichsbürgerbewegung stammt laut Lewentz auch ein Teil der rechtsextremen Chatgruppe "Vereinte Patrioten", die Sprengstoffanschläge und eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plante und gegen die der Bundesanwalt ermittelt.
Innerhalb der Szene von Staatsverweigerern und Rechtsleugnern gebe es ein hohes Aggressionspotenzial und eine hohe Waffenaffinität, sagte Lewentz. 72 von 86 Ermittlungsverfahren in dieser Szene wegen des Besitzes von Waffen seien abgeschlossen, 67 Erlaubnisse entzogen und 183 Waffen eingezogen oder freiwillig abgegeben worden. Fünf Beschuldigte hätten sich glaubhaft von der Reichsbürgerszene distanziert.
Rechtsextremismus
"Der Rechtsextremismus bleibt eine der zentralen Herausforderungen für Staat und Gesellschaft", stellte der Innenminister fest. Diesem Spektrum würden rund 740 Menschen zugerechnet (10 mehr als 2020). Etwa 150 von ihnen werden nach wie vor als gewaltorientiert eingeschätzt. Die Zahl der Straftaten sei mit 754 (2020: 759) auf anhaltend hohem Niveau. Darunter seien 37 Gewalttaten gewesen, 54 waren es 2020. Von 120 Waffenerlaubnissen seien 15 entzogen worden.
Antisemitismus
"Sorgen bereitet uns der in Teilen der Gesellschaft wieder verstärkt aufkeimende Antisemitismus", betonte Lewentz. Dies habe sich bei den Corona-Protesten sowie bei Demonstrationen gegen den erneut aufgeflammten Israel-Palästina-Konflikt gezeigt. Im vergangenen Jahr wurden 61 Straftaten gezählt, 15 mehr als im Jahr zuvor; 50 dieser Taten wiesen einen rechtsextremistischen Hintergrund auf.
"Wir unternehmen im Land größte Anstrengungen, damit Antisemitismus hier keinen Platz hat", sagte die neue Antisemitismusbeauftragte Monika Fuhr. "Mit dem kürzlich verabschiedeten Antisemitismusbeauftragtengesetz wurde die Bekämpfung von Judenhass in Rheinland-Pfalz deutlich gestärkt." Fuhr forderte eine Alltagskultur, "die Antisemitismus entschieden entgegentritt".
Islamismus und islamistischer Terrorismus
"Die Anschlagsgefahr durch islamistischen Terrorismus in Europa bleibt trotz rückläufiger Zahlen akut", sagte Lewentz. "Ein latentes Sicherheitsrisiko geht dabei nicht nur von ideologisch gefestigten Mitgliedern aus dem militanten Kern der Szene aus, sondern ebenfalls von psychisch labilen Einzelpersonen, die aus irrationalen Motiven heraus Anschläge nach dschihadistischem Vorbild begehen können." Diese seien schwer herauszufinden.
Rund 660 Islamisten gibt es laut Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz, etwa 10 mehr als im Vorjahr. Etwa 65 von ihnen werden als gewaltorientiert eingeschätzt. Polizei und Verfassungsschutz restrierten im vergangenen Jahr 14 Straftaten, davon 4 Gewalttaten. Im Vorjahr waren es 13, davon eine Gewalttat.
Linksextremismus:
Er bewegt sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes in Rheinland-Pfalz mit rund 520 Anhängern - davon geschätzt 120 gewaltorientierten - im Bundesvergleich "auf niedrigem Niveau". Die Zahl der Straftaten, die diesem Spektrum - vor allem der Antifa - zugerechnet werden, ging innerhalb eines Jahres um 56 auf 140 zurück.