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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona in Sachsen Kita meldet Mega-Inzidenz – aber keine Quarantäne
Ab Montag gilt in Sachsen ein strenger Lockdown für Ungeimpfte. An anderen Stellen lassen es die Ämter im Freistaat schleifen. In Kitas explodieren die Zahlen – und nichts passiert.
Es ist noch gar nicht lange her, da reagierte das Gesundheitsamt im Landkreis Leipzig schnell und konsequent. In der Kindertagesstätte "Waldknuffel" hatte es einen bestätigten Corona-Fall gegeben. Eine Person mit Kontakt zu mehreren Kitagruppen hatte sich infiziert.
Kaum war der positive Befund da, ordnete der Kreis Quarantäne für alle Kinder der "Häschen", der "Löwenbande" und der "Marienkäfer" an. Die Eltern wurden verpflichtet, jeden Tag zweimal Fieber zu messen und die Ergebnisse schriftlich zu dokumentieren. Eltern, die durch die Quarantäne ihrer Kinder Verdienstausfälle erlitten, bekamen zwei Drittel dieses Geldes erstattet.
Gerade in Kitas, schrieb der Landkreis zur Begründung der Maßnahme, drohten Massenausbrüche, die Corona weit in der Bevölkerung verteilen könnten. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es daher dringend erforderlich, die Infektionsketten so lange wie möglich zu unterbrechen."
Infektionszahlen explodieren – aber Quarantäne ist Vergangenheit
Das war Anfang Mai. Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen und alles anders.
Die Infektionszahlen sind in neue Höhen geschossen, der Landkreis Leipzig ist einer der deutschen Hotspots mit einer Inzidenz um die 1.000. Die Krankenhäuser sind voll, ab Montag gelten für Ungeimpfte in Sachsen empfindliche Regelverschärfungen: Kontaktsperren, Shopping-Verbot, Ausgangsbeschränkungen.
Aber wenn sich ein Kind oder eine Erzieherin in einer Kita ansteckt, ordnet niemand mehr Quarantäne an.
5 von 29 Erzieherinnen und Erziehern innerhalb einer Woche infiziert
Vergangenen Montag meldete die Kita "Waldknuffel" in Markranstädt im Südwesten Leipzigs erneut einen Corona-Fall. Am Ende der Woche hatten sich 5 der insgesamt 29 Erzieherinnen und Erzieher der Kita angesteckt. Das entspräche hochgerechnet einer Inzidenz beim Personal von rund 17.000.
Hinzu kommen mehrere infizierte Kinder, allein drei in einer einzigen Kitagruppe, wie eine Mutter berichtet. In anderen Gruppen gibt es weitere Fälle. Wie viele genau, ist zwar unklar, sicher ist aber: Es ist ein massiver Ausbruch.
Landkreis Leipzig: "Durch das hohe Infektionsgeschehen keine Quarantäne"
Und das Gesundheitsamt des Kreises? Das war, so schildert es die Kita-Leitung in einem Brief an die Eltern, zunächst nur schwer zu erreichen. Als die Kita es dann doch noch zu fassen kriegte, habe es schlicht ausgerichtet: "Durch das hohe Infektionsgeschehen werden keine Kinder und ErzieherInnen zurzeit in Quarantäne geschickt und auch keine Quarantänebescheide ausgestellt."
Das klingt nach Kapitulation. Auf Anfrage teilt der Landkreis Leipzig mit, aktuell seien fast 20 Kitas von Corona-Infektionen betroffen. Das Gesundheitsamt schaffe die Bearbeitung von Infektionsfällen momentan erst zwei bis drei Tage nach Vorliegen der Testergebnisse.
Sächsische Leitlinie seit September: Nur noch direkt Betroffene kommen in Isolation
Dass die alte Eindämmungsstrategie nicht mehr funktioniert, seitdem die Gesundheitsämter wieder zunehmend überlastet sind, ist aber nur der eine Teil der Erklärung. Ein weiterer Grund für den Verzicht auf Quarantäne: Sie ist in Kitas gar nicht mehr erwünscht.
Das ist die offizielle sächsische Linie seit September. "Kinder und Jugendliche gelten nicht als vulnerable Gruppen und erkranken selten schwer an Covid-19", argumentiert das Sozialministerium. Darum bestehe keine Notwendigkeit, flächendeckend Kitas und Schulen zu schließen. "Angestrebt wird die Absonderung möglichst weniger Kinder und Jugendlicher, um den Regelbetrieb weitgehend aufrechtzuerhalten und die psychosozialen Auswirkungen zu minimieren.“
Bei Corona in Kitas werden seither also ganz bewusst nur noch direkt betroffene Personen in die Isolation geschickt. Ansonsten läuft der Betrieb weitgehend ungestört weiter. Aber ob das im Angesicht der Wucht der vierten Welle wirklich eine kluge Idee ist?
Eltern fordern: "Prävention statt zu späte Reaktion"
Die Eltern der "Waldknuffel"-Kinder haben da so ihre Zweifel. "Ich verstehe nicht, dass nicht bereits ab dem ersten Fall direkt Maßnahmen ergriffen werden, um Kinder, Familien und Erzieher zu schützen", sagt eine Mutter zu t-online. "Diese Hilflosigkeit und das Abwarten kotzen mich einfach nur noch an. Prävention statt zu späte Reaktion wäre die Devise gewesen."
Auch viele andere Eltern würden ihr Unverständnis äußern, erklärt die Mutter. Zum Beispiel im Elternchat: Es sei doch niemandem geholfen, wenn am Ende alle krank seien, habe dort etwa jemand geschrieben. So schwer es sei, wenn man nicht arbeiten könne, weil man zu Hause auf die Kinder aufpassen müsse: Das sei immer noch besser, als sich Corona einzufangen.
- Eigene Recherche
- Anfrage beim Kreis
- Anfrage beim Sozialministerium Sachsen
- Gespräch mit einer Mutter
- Landkreis Leipzig: Quarantäne-Anordnung aus dem Mai