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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Helden des Monats" "Paula e.V": Hilfe bei Gewalt im Alter
Als "Helden des Monats" werden in Köln ehrenamtliche Helfer für ihr Engagement geehrt. Im Dezember: Martina Böhmer vom "Paula e.V."
Gewalt im Leben von Frauen im fortgeschrittenen Alter ist ein Problem, das häufig übersehen wird. Misshandlungen in der Familie oder im Pflegeheim gehören für viele Frauen zum Alltag dazu. Stellen, an die sie sich wenden können, gibt es wiederum weniger. Die Beratungsstelle "Paula e.V.", gegründet von Martina Böhmer, setzt hier an und hilft Frauen ab 60 Jahren, deren Leben durch Gewalterfahrungen geprägt wurde und wird.
In der traumasensiblen Beratung können Frauen über ihre Erlebnisse – vielleicht sogar erstmalig – sprechen und erhalten Unterstützung in der Bewältigung ihrer früheren und aktuellen Gewalterfahrungen. Für dieses Engagement verlieh die Stadt Köln der Gründerin im September den Ehrenamtspreis. Unsere Heldin des Monats Dezember.
Große Nachfrage bei Beratungsangeboten
Es war ein langer Weg bis zu diesem Punkt. "Die Anfangsjahre waren sehr zäh", erinnert sich Martina Böhmer. Seit Gründung der Beratungsstelle im Jahr 2010 stiegen die Anfragen von betroffenen Frauen stetig, mittlerweile unterstützt der Verein regelmäßig bis zu fünfzehn Frauen, die das Beratungsangebot in Anspruch nehmen.
"Der erste Schritt ist die älteren bis hochaltrigen Frauen zu informieren, dass es Möglichkeiten gibt, solche Situationen hinter sich zu lassen", sagt die gelernte Pflegerin und ausgebildete Traumafachberaterin. "Der zweite Schritt ist dann die Ursachenforschung. Wo liegt die Ursache des Problems? Wie lange besteht es schon? Was können wir tun, damit sich die Situation verbessert?"
"Frauengeschichte ist häufig eine Geschichte von Gewalt"
Die Frauen, die zum "Paula e.V." kommen, sprechen von Vergewaltigungen in der Ehe, sexualisierter Gewalt in der Kindheit und von vielen anderen Gewalterlebnissen, wie beispielsweise Kriegs- und Nachkriegserlebnissen. Sie wurden und werden von Nachbarn, den eigenen Kindern oder im Rahmen der Pflege misshandelt – es sind Erfahrungen, die Traumata hinterlassen und die die Betroffenen nicht einfach abstreifen können.
"Wir müssen zuerst einmal deutlich machen, dass Frauengeschichte sehr häufig auch eine Geschichte von Gewalt ist und dass sexualisierte Gewalt auch ältere und hochaltrige Frauen betrifft", so Böhmer. Die Betroffenen können sich mitteilen und von den eigenen Erfahrungen berichten, sich selbst so zu einem gewissen Grad "entlasten", wie die Gründerin sagt. "Für viele Personen sind wir die erste Anlaufstelle, die dann auch noch unerwartete Möglichkeiten eröffnet."
Glaubenssätze sind häufig anerzogen
Viele Frauen befänden sich seit Jahrzehnten in festen Partnerschaften und fühlten sich gebunden, so Böhmer: "Sie dürfen sich trennen und ihr eigenes Leben leben. Das ist vielen Frauen im ersten Moment gar nicht klar." Oftmals sei dieses Denken anerzogen, das Ziel sei Frauen zu stärken und Wege in die Selbständigkeit aufzuzeigen, Traumafolgen aufzuarbeiten und dabei zu helfen, sich selbst besser zu verstehen. "Das klingt vielleicht im ersten Moment nach nicht viel, aber es ist genau das, was betroffene Frauen brauchen."
Ein Problem sieht die Gründerin allerdings auch in dem Bild, das die Gesellschaft von Frauen in fortgeschrittenem Alter habe. "Frauen über 60 Jahren sind nicht unbedingt immer hilfsbedürftig, das Spektrum ist viel größer." Sie wünsche sich einen differenzierten Umgang mit Frauen im hohen Alter, mehr gedankliche Freiheit, weg von engmaschigen Vorurteilen und plumpen Einschätzungen. "Was bedeutet es, wenn eine Frau alt ist?", fragt sie sich. "Und welche Probleme bringt das mit sich?"
Verein ist in Deutschland etabliert
Rund zwölf Jahre nach seiner Gründung hat sich der Verein als einzige Beratungsstelle für Frauen ab 60 Jahren, die von Gewalt betroffen sind, in Deutschland etabliert. Zukünftig möchte der Verein weg vom ehrenamtlichen Arbeiten hin zur permanenten Bereitstellung der entsprechenden Angebote – falls möglich, würde er sein Angebot gerne noch weiter ausbauen.
"Dafür brauchen wir allerdings weiterhin mehr Öffentlichkeit", sagt Böhmer. "Der Ehrenamtspreis hat da schon einen enorm wichtigen Teil beigesteuert und wir hoffen, dass wir in Zukunft durch eine gesicherte Finanzierung noch mehr Frauen unterstützen können."
- Eigene Recherche und Gespräche