Kiel Gescheiterte Wahl hält Nord-AfD in Führungskrise fest
Die AfD in Schleswig-Holstein präsentiert sich elf Monate vor der Landtagswahl als zerstrittene Partei. Auf einem Parteitag in Büdelsdorf schaffte es der in ein rechtsnationales und ein gemäßigtes Lager gespaltene Landesverband in mehreren Versuchen nicht, einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Darauf wurde die Veranstaltung in einer Bootshalle am Samstagabend nach vielstündigem Gezerre ohne neugewählten Vorstand abgebrochen - von einem fatalen Signal war die Rede. Die AfD steckt weiter in der Führungskrise.
"Aus meiner Sicht hat der gestrige Tag zu meinem Bedauern das in der Wählerschaft ohnehin vorhandene Bild einer zerstrittenen Partei verfestigt", sagte einer der gescheiterten Vorsitz-Kandidaten, Gereon Bollmann, am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. "Dieses Ergebnis wird traurigerweise die Bundestagswahl, die vor der Tür steht, nicht sehr günstig beeinflussen."
Am Sonntag wählte die AfD den Bundestagsabgeordneten Uwe Witt und Bollmann auf die als chancenreich geltenden ersten zwei Plätze auf der Liste zur Bundestagswahl. Im Kampf um die Spitzenkandidatur bezwang der aus Nordrhein-Westfalen zurückgekehrte Witt (61) in einer Stichwahl mit 97 zu 72 seinen Fraktionskollegen Bruno Hollnagel (73). Witt wertete die in der Corona-Pandemie verfügten Einschränkungen von Grundrechten als Schritt zur Einführung eines totalitären Staates. Listenplatz zwei bekam Bollmann (68). Er gewann gegen den Vize- Schatzmeister der Bundespartei, Christian Waldheim (48) aus dem gemäßigten Lager, und gegen Hollnagel. Der bisherige zweite AfD-Abgeordnete aus dem Land, Axel Gehrke (79), trat nicht wieder an.
Mit Spannung war eine avisierte Kandidatur der wegen rechtsextremer Kontakte 2019 aus der AfD ausgeschlossenen Landtagsabgeordneten und Ex-Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein (66) erwartet worden. Doch sie sagte ab. "Der Landesverband befindet sich in einer schweren Krise", konstatierte sie auf Facebook. Das habe der Parteitag gezeigt. Sie sei erstaunt, "daß der von mir favorisierte Herr Bollmann sich so viele Feinde gemacht hat". In dieser Situation würde eine Kandidatur ihrerseits die Krise zuspitzen. "Ich werde deswegen nicht für die Wahl auf die Liste zum Bundestag antreten." Mit den Worten "Wir sehen uns wieder!", schloss Sayn-Wittgenstein.
Auf ihre Klage hatte das Landgericht Berlin im April entschieden, sie sei weiterhin AfD-Mitglied. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, so dass die AfD sie derzeit nicht als Mitglied führt.
Der seit Sayn-Wittgensteins Rauswurf vakante Landesvorsitz bleibt nun bis auf weiteres unbesetzt. Offenkundig hofft ein Teil der Partei auf ihre Rückkehr an die Spitze, was der Landtagsabgeordnete Jörg Nobis, Unterstützer des Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, auch ansprach.
Am Samstag verfehlten der pensionierte Richter Bollmann und sein Kontrahent David Jenniches (43), Fraktionsvorsitzender in der Lübecker Bürgerschaft, in zwei Stichwahlen die erforderliche Stimmenzahl für den Landesvorsitz. Der auch von Sayn-Wittgenstein favorisierte Bollmann, langjähriger Richter am Oberlandesgericht in Schleswig, wird parteiintern eher der rechtsnationalen Strömung zugeordnet, Jenniches dem gemäßigten Lager.
In der zweiten Stichwahl lag Bollmann mit 92 Stimmen vor Jenniches mit 68. 29 Mitglieder lehnten beide ab - damit war angesichts der verhärteten Fronten eine Lösung aussichtslos. AfD-Landesvize Joachim Schneider (49) scheiterte mit dem Versuch, selbst Vorsitzender zu werden und Bollmann sowie Jenniches als seine Stellvertreter zu gewinnen. An dem dann abgebrochenen Parteitag nahmen gut 200 der Parteiangaben zufolge nach Verlusten unter 900 Mitglieder teil.
"Das Ergebnis erweist, dass sich die Partei in den letzten 22 Monaten ohne den früheren Vorsitz (Sayn-Wittgensteins) nicht weiterentwickelt hat", sagte Bollmann. Dies müsse sich verbessern. "Die Chancen dafür sind zu meinem Bedauern nicht sehr gut."
Die AfD im Landtag hatte mit Sayn-Wittgensteins Ausschluss und dem späteren Austritt von Frank Brodehl ihren Fraktionsstatus verloren. Jüngste Umfragen sahen die Partei ein Jahr vor der Landtagswahl bei sechs Prozent, was zum Wiedereinzug in das Parlament reichen würde.