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Kieler fertigen nachhaltige Produkte aus Treibsel


Von Schlick zu Möbeln
Kieler Start-up will aus Strandmüll nachhaltige Materialien herstellen

Aktualisiert am 12.07.2021Lesedauer: 3 Min.
Treibsel liegt am Falckensteiner Strand herum: Daraus wollen die Studierenden verschiedene Produkte herstellen.Vergrößern des Bildes
Treibsel liegt am Falckensteiner Strand herum: Daraus wollen die Studierenden verschiedene Produkte herstellen. (Quelle: Rematter/leer)

Möbel und Papier aus Müll? Klingt zuerst nach einer verrückten Idee, aber eine

Treibsel nennt sich der pflanzliche Schlick, der kontinuierlich an die Küsten der Ostsee gespült wird. Im Sommer stinkt er und verleidet manchem die Freude am Strandbesuch. Jährlich entsorgen die betroffenen Gemeinden 200.000 Tonnen der unansehnlichen Mischung aus Algen und Seegras.

Allein Laboe zahlt dafür jedes Jahr bis zu 60.000 Euro. Ein Gruppe aus Kieler Studierenden aber sieht in dem Naturabfall mehr als biologischen Restmüll. Sie möchte den Treibsel nutzen, um daraus eine nachhaltige Alternative zu Plastik herzustellen.

Wiederentdeckung eines traditionellen Werkstoffs

Die sieben Studenten entdecken mit ihrem "Rematter" getauften Projekt den Werkstoff quasi wieder. Anfang des 20. Jahrhunderts fand Treibsel häufig als Dämmmaterial für Häuser oder Füllung für Kissen und Schlafsäcke Verwendung, und noch heute gibt es vereinzelt Landwirte, die es als Dünger verwenden. Das "Rematter"-Team interessiert sich speziell für den Seegras-Anteil des Treibsels. "Generell hat Seegras super Eigenschaften", sagt Christina Lin, zuständig fürs Marketing im Team. "Es schimmelt nicht, ist nicht entflammbar und wirkt antibakteriell."

Zwar gibt es weltweit bereits einige Projekte, die mit der Verwertung von Seegras experimentieren. Das Besondere am Ansatz der Kieler aber ist laut Lin der konsequente Einsatz nachhaltiger Bestandteile. Die meisten nachhaltigen Produkte aus natürlichen Rohstoffen machen Abstriche bei den Bindemitteln, so etwa das Öko-SUP des Kieler Start-ups Board Lab. "Wir wollen ein Bindemittel finden, das auf jeden Fall organisch und biologisch abbaubar ist", so Lin.

Die Experimente dazu laufen in der kleinen "Rematter"-Werkstatt in Friedrichsort gerade an. Für den Kleber im Rennen sind unter anderem Soja- und Erbsenproteine, Glutein, Kleister und Kiefernharz. "Das wird einiges an Rumprobieren in der Experimentierküche", sagt Lin. "Die nächsten Monate werden auf jeden Fall spannend."

Für die notwendige Expertise steht die Gruppe in Kontakt zu Ingenieuren und Materialwissenschaftlern. Auch Sam Warmke hat die Studierenden beraten. Der Umweltgeograf und Seegrasexperte arbeitet beim Ostsee Infocenter in Eckernförde, wo der Naturstoff ebenfalls für verschiedene Zwecke Verwendung findet, wie etwa als Kissenfüllung oder für Kunstobjekte.

Von den Zielen von "Rematter" ist er begeistert: "Dass man Seegras für irgendetwas verwenden will, kommt immer wieder auf. Das Spannende hier ist, dass "Rematter" einen Werkstoff herstellen will, den man weiterverwenden kann. Das ist ein Riesenschritt, der vielfältige Möglichkeiten eröffnet."

Damit möglichst viele dieser vielfältigen Möglichkeiten Wirklichkeit werden, wollen die Studierenden ihr erlangtes Wissen kostenlos jedem Interessierten zur Verfügung stellen. Warmke kann sich gut vorstellen, dass sich so "ganz viele weitere tolle Ideen ergeben".

Papier als erster Prototyp

Einen ersten Produkt-Prototypen gibt es bereits: Papier aus Seegras. Die Blätter sind noch sehr dunkel und uneben. "Das ist unser erster kleiner Erfolg", erklärt Lin. "Das muss noch weiter verfeinert werden. Aber der Beweis, dass es funktioniert, ist damit schon mal erbracht."

Später könnten aus dem Material etwa Lampenschirme, Hocker, Blumentöpfe, Schüsseln oder Verpackung entstehen. "Dinge, die von der Form erst mal einfach sind und die natürliche Herkunft des Werkstoffs unterstreichen", sagt Lin. Was genau es wird, hänge letztlich vom zu entwickelnden Bindemittel ab.

Die Pandemie macht die Pionierarbeit nicht einfacher. "Es ist nicht leicht, ein handwerkliches Projekt zu Corona-Zeiten in die Welt zu setzen", sagt Lin. So musste das Team zusammenfinden und sich kennenlernen, ohne bisher auch nur einmal an einem Ort versammelt zu sein. Vieles läuft online ab. "Gerade, wenn es um Produktentwicklung und Geldbeschaffung gehe, erschwere das die Arbeit", sagt Lin. "Da hat yooweedoo wirklich geholfen."

Yooweedoo ist ein Kieler Ideen-Förderungsprogramm, das Gründern von ökologisch und sozial nachhaltigen Projekten unter die Arme greift und dazu Wettbewerbe veranstaltet. Neben einer Starthilfe von 2.000 Euro und öffentlicher Aufmerksamkeit hat ein Coach den Studenten beim Erstellen des Projektkonzepts und bei der Organisation des Teams unter die Arme gegriffen. Beim yooweedoo-Ideenwettbewerb hat "Rematter" kürzlich den mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis gewonnen.

"Unser vorläufiges Ziel ist es, in sechs Monaten zwei oder drei erste Prototypen fertig zu haben, mit denen wir dann weiterarbeiten können", sagt Lin. Langfristig möchte sich die Gruppe nicht nur auf Seegras beschränken. Wir werden schauen, was noch bisher in großer Menge an natürlichen Reststoffen ungenutzt vorhanden ist: etwa Kaffeesatz, Zitrusschalen, Braureste … Hauptsache lokal, ökologisch und nachhaltig.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit
  • Christina Lin, Rematter, Presse und Marketing
  • Sam Warmke, Umweltgeograf und Seegrasexperte am Ostsee Infocenter in Eckernförde
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