Eine junge Afghanin erzählt Outing einer Geflüchteten: "Sie sahen mich als Schande"
Sie wurde im falschen Körper und im falschen Land geboren: Deshalb ist die junge Afghanin nach Deutschland geflüchtet. Doch dort ging die Diskriminierung weiter – bis sie in Kiel Hilfe fand.
Lava wurde im falschen Körper geboren. In ihrem Heimatland Afghanistan kommt das einem Todesurteil gleich. Deshalb ist sie nach Deutschland geflohen. Doch in der neuen Heimat ging die Diskriminierung weiter. In Kiel fand sie schließlich Hilfe beim Haki-Verein, einer Anlaufstelle für homosexuelle, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und andere queere Menschen. Lava hatte Glück. Denn die Einrichtung ist die einzige dieser Art in ganz Schleswig-Holstein, die sich für LGBTIQ*-Belange unter Flüchtlingen einsetzt.
Lava, die ihren vollen Namen lieber nicht in die Öffentlichkeit tragen möchte, ist 23 Jahre alt. Ihr Körper ist der eines Mannes, aber schon als junges Kind war für sie klar, dass das nicht ihrem Wesen entspricht. "Die Leute nennen mich eine Transfrau", sagt sie. "Für meine Familie war ich damit eine Schande. Für sie ist es eine Sünde." Obwohl die Verwandten von ihrer Orientierung wussten, hätten sie die Augen davor verschlossen. "Ich musste mich immer verstecken und in einem falschen Körper wie in einem Gefängnis leben", sagt Lava.
Auch außerhalb ihrer Familie war Outing keine Option. Denn in Afghanistan werden Menschen wie Lava zu Tode gesteinigt. Trotzdem merkten die Leute, dass sie nicht ins kulturelle Raster passte. "Ich wurde schon im Kindergarten und der Schule beleidigt und ausgelacht. Ich hatte keine Freunde, keine Unterstützung, war immer allein." Lava hatte Alpträume, war depressiv, lag nächtelang weinend wach. Bis sie sich schließlich zur Flucht entschloss.
"Das war eine Katastrophe"
2017 kam Lava zunächst in Lübeck in der Wohnung einer ihrer Schwestern unter, die bereits in Deutschland lebte. Doch als sie sich der Schwester gegenüber outete, wollte die sie nicht länger beherbergen. So landete Lava in einer Flüchtlingsunterkunft in Neumünster. "Das war eine Katastrophe", erinnert sich Lava. "Viele Menschen dort kommen aus strenggläubigen Ländern. Die hatten kein Verständnis für LGBTIQ*."
"Die Lage ist wirklich prekär", bestätigt Daniel Lembke-Peters, Leiter der Geschäftsstelle "Echte Vielfalt", die in Trägerschaft des besagten Haki-Vereins in Kiel arbeitet. "Leute, die sich in Geflüchteten-Unterkünften outen wollen, trauen sich das nicht, weil es dort andere gibt, die Probleme damit haben."
Mit Unterstützung von Haki sowie der ZBBS (Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten) hatte Lava eine kleine Einzimmerwohnung in Kiel bekommen, wo sie allein und damit sicher vor Diskriminierung leben konnte.
Doch damit stellt Lava ein absolute Ausnahme dar. "Für queere Geflüchtete gibt weder in Kiel noch in ganz Schleswig-Holstein entsprechende Schutzeinrichtungen", sagt Lembke-Peters von "Echte Vielfalt". Und Haki, der sich landesweit als einziger staatlich unterstützter Verein um LGBTIQ*-Fälle unter Geflüchteten kümmert, ist dafür mit gerade mal einer festen Stelle besetzt. "Daneben arbeiten etwa 7 oder 8 Leute ehrenamtlich", sagt Lembke-Peters. "Aber das reicht bei Weitem nicht."
Ein weiteres Problem, das sich laut Lembke-Peters für die LGBTIQ*-Geflüchteten ergibt: "Sie kommen aus einem Land, in dem sie für ihre Orientierung verfolgt werden. Diesen Grund trauen sie sich aber oft nicht zu nennen, wegen der Erfahrungen, die sie in ihrem Heimatland gemacht haben – und weil die Dolmetscher oft nicht für das Thema sensibilisiert sind.
Hier zumindest setzt eine gemeinsame Bildungsinitiative der Landeshauptstadt mit Haki und "Echte Vielfalt" an. Zusammen mit mehr als 100 pädagogischen Fachkräften aus dem Raum Kiel wurde im Verlauf des zurückliegenden Jahres ein gut 60-seitiges Buch erarbeitet. Es richtet sich vor allem an Bildungseinrichtungen und ist als Handreichung zum Umgang mit dem Thema LGBTIQ gedacht.
"Die Lobby für die Situation von LGBTIQ*-Menschen ist noch nicht groß genug und Geflüchtete leiden besonders darunter", kritisierte zuletzt Bürgermeisterin Renate Treutel.
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Daniel Lembke-Peters von "Echte Vielfalt" freut sich über die gute Zusammenarbeit mit der Stadt. Er erhofft sich zusätzlich einen stärkeren Fokus auf das Thema in den Bildungseinrichtungen.
"Da würde ich mir wünschen, dass es landesweit Pflicht in der Bildung wird, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen." Zudem, so Lembke-Peters, bräuchte es mehr Angebote für queere Geflüchtete und eine bessere Finanzierung der wenigen vorhandenen Strukturen.
- Gespräch mit Lava und Daniel Lembke-Peters
- Eigene Recherche