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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auswirkungen der Pandemie "Völlig fürchterlich" – Kieler Hotels verzweifeln an Corona-Krise
Corona-Schließungen, Beherbergungsverbote, Homeoffice – die Hotels in Kiel machen gerade eine schwere Zeit durch. Der Direktor eines Kieler Hotels schlägt jetzt Alarm.
Die Hotelbranche liegt im ganzen Land am Boden. Kiel haben die Corona-bedingten Maßnahmen noch einmal extra hart getroffen – denn hier ist man auf Kreuzfahrer und vor allem Geschäftsreisende als Gäste angewiesen. Beide Gruppen sind zum großen Teil für die Betriebe als Einnahmequellen weggebrochen. Das könnte für die Betriebe in Kiel schwere Folgen haben, sagt ein Hoteldirektor. Zwar hat Schleswig-Holsteins Oberverwaltungsgericht das sogenannte Beherbergungsverbot für Touristen aus Corona-Hotspots am Freitag gekippt – die Corona-Krise wird damit aber kaum überwunden sein.
Als Peter Böhm, Direktor des Hotels Berliner Hof in der Ringstraße, zuletzt Ende Februar mit t-online gesprochen hatte, blickte er wie die gesamte Branche in Kiel noch voller Zuversicht in die Zukunft. 2019 gab es einen Rekordanstieg bei den Übernachtungen, was den Trend der vorangegangenen Jahre fortsetzte. Zwar waren wegen Corona bereits die ersten Desinfektionsgeräte aufgestellt. Ansonsten aber war von der kurz bevorstehenden Krise noch nichts zu spüren.
Acht Monate später zieht der Direktor des vor allem auf Geschäftsreisende eingestellten Hotels ein desaströses Fazit: "Es ist völlig fürchterlich. In normalen Zeiten sind der Juni wegen der Kieler Woche und der September wegen Landtagssitzungen und anderen Geschäftsreisen die stärksten Monate", sagt Böhm. Doch im Juni fand die Kieler Woche weitestgehend ohne Besucher statt. Und Politiker und Geschäftsreisende blieben im September im Homeoffice. Die Folge für den Berliner Hof: Bis zu 80 Prozent weniger Umsatz. Böhm: "Das ist ein Riesen Loch für uns gewesen. Das kriegt man nicht so leicht wieder aufgefüllt."
Beherbergungsverbot durchkreuzt Erholungsphase
Im April war das 148-Betten-Hotel, das üblicherweise zu 75 bis 80 Prozent ausgelastet ist, komplett geschlossen. Von Mai bis August kletterte die Auslastung langsam von 15 auf knapp unter 40 Prozent. "Das waren hauptsächlich unsere Stammgäste", erklärt Böhm, "die wurden aus dem Homeoffice langsam wieder auf Dienstreise geschickt."
Der Berliner Hof steht damit repräsentativ für ganz Kiel. Als am 18. Mai die Maßnahmen gelockert wurden, hatte sich die Situation des Gastgewerbes besonders in den strandnahen Regionen des Landes eigentlich recht gut erholt. In Kiel jedoch machen Geschäftsreisende laut dem Hotel- und Gaststättenverband Schleswig-Holstein (DEHOGA-SH) üblicherweise einen Anteil von bis zu 70 Prozent der Übernachtungen aus.
Hinzu kommt ein Teil der jährlich 800.000 Kreuzfahrer, die nun bis auf weiteres komplett weggefallen sind. Nach der härtesten Phase zu Beginn der Krise hatte sich die Belegungsquote von praktisch Null auf immerhin 20-30 Prozent erholt.
Doch das Beherbergungsverbot hat die leichte Erholung mit einem Schlag rückgängig gemacht. So auch beim Berliner Hof. "Zweidrittel der Buchungen der letzten Wochen sind storniert worden", sagt Böhm. "Der Oktober ist absolut mau."
Bis letzter Woche durften in Schleswig-Holstein Menschen aus sogenannten Risikogebieten, in denen mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen festgestellt wurden, nur mit einem negativen Corona-Test in Hotels oder Ferienwohnungen übernachten. Dies verstößt laut OVG gegen das im Grundgesetz verankerte Gebot der Gleichbehandlung.
50 Prozent Umsatzrückgang
Schon vor der Gerichtsentscheidung kritisierte der Kieler Hoteldirektor Böhm die Regel scharf: "Das Beherbergungsverbot ist völliger Bockmist, und das ist noch freundlich ausgedrückt". Stefan Scholtis, Hauptgeschäftsführer beim DEHOGA-SH, formuliert es so: "Das Beherbergungsverbot hat die Betriebe wieder an die Wand gefahren"
"Wir sind Dank der Überbrückungsshilfe für Mai bis Juli gerade so bei Null herausgekommen“, rechnet Peter Böhm vom Berliner Hof vor. Aber auch das ist vorbei. Von Januar bis September verzeichnete das Hotel einen Umsatzrückgang von mehr als 50 Prozent. Noch immer sind viele der Mitarbeiter in Kurzarbeit. "Aber das hilft nur wenig," so Böhm, "weil wir letztlich immer noch 80 Prozent der Kosten tragen." wie sich nun das aufgehobene Beherbergungsverbot auswirken wird, bleibt abzuwarten.
"Kiel muss umdenken"
Die staatlichen Unterstützungen für die Branche hält Stefan Scholtis vom DEHOGA-SH für "nicht ansatzweise ausreichend". Zwischen 9.000 und 30.000 Euro Soforthilfe gab es je nach Größe für die Betriebe. Zudem Kredite, aber "Schulden bleiben Schulden“, so Scholtis.
Für Eva Zeiske von der Tourismus-Agentur Kiel Marketing ist auch von Stadtseite eine Richtungsänderung erforderlich: "Ich glaube, dass hier ein gewisses Umdenken in Richtung Leisure-Tourismus stattfinden muss. Kiel und die Ostseeküste sind in Coronazeiten beliebter denn je. Mit all den Reisebeschränkungen ins Ausland und den vielen Risikogebieten, Ängsten vor Quarantäne nach dem Urlaub und so weiter wird Kiel eher an Bedeutung gewinnen." Dafür, so Zeiske, müssten jedoch mehr Anreize geschaffen werden, wie etwa Themenhotels oder attraktive Angebote für Familien.
Aufgegeben hat in Kiel nach Auskunft von DEHOGA-SH noch kein Betrieb. Auch Corona-bedingte Entlassungen gab es zumindest beim Berliner Hof bisher nicht. Stattdessen versucht man auf anderen Wegen, die Kosten weiter zu reduzieren. So wurde etwa das Frühstücksbuffet vereinfacht. "Ansonsten nutzen wir die Zeit, um Reparaturen vorzunehmen."
- Gespräch mit Hoteldirektor Peter Böhm und Stefan Scholtis
- Eigene Recherche
- Mit Material der dpa