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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mehrere Attacken und Anfeindungen NS-Gedenkstätten im Visier von Holocaust-Leugnern und AfD-Freunden
Die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten sieht sich nach einem Protestaufruf gegen den AfD-Parteitag Angriffen ausgesetzt. Das löst eine Welle der Solidarität aus.
Das Gebäude der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten in Celle steht möglicherweise im Visier von Rechtsextremen. Am Dienstag bemerkten Mitarbeiter Löcher an drei Fenstern des Gebäudes. Die Gedenkstätte selbst spricht von einem Anschlag.
"Ich dachte zuerst, es wären Einschlusslöcher gewesen", sagte Stephanie Billib, Sprecherin der Stiftung, t-online. Ermittlungen der Polizei brachten Klarheit zu den Beschädigungen: Wie die Polizei Celle am Dienstag sagte, sei ein Kunststoffschild verwendet worden. Das war zuvor aus seiner Halterung gerissen worden.
"Selbstverständlich wurde Strafanzeige erstattet", sagt Geschäftsführerin Elke Gryglewski via Pressemitteilung. Der Vorfall ereignete sich laut Polizeibericht in der Zeit zwischen Montag, 6.30 Uhr, und Dienstag, um fünf Uhr.
Das Fachkommissariat Staatsschutz hat nun die Ermittlungen aufgenommen. Bislang lägen keine Hinweise zur konkreten Täterschaft vor. Doch bereits eine Woche zuvor waren in unmittelbarer Nähe Aufkleber der rechten Szene entdeckt worden. Darauf sollen laut Billib die Sprüche "Deutsche Jugend voran" und "Werde aktiv für deine Heimat" gestanden haben. Die Aufkleber seien umgehend entfernt und auch hierzu Ermittlungen eingeleitet worden.
Doch die Gedenkstätte sieht sich zuletzt vermehrt "möglichen politischen Angriffen" ausgesetzt, so Billib zu t-online.
Proteste gegen AfD-Parteitag in Celle
Am kommenden Wochenende versammelt sich die AfD zum Landesparteitag in Celle. Unter anderem haben die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und die Gedenkstätte Bergen-Belsen sowie weitere Initiativen und Parteien zu Demonstrationen gegen die Veranstaltung aufgerufen. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) hat der erneute Vorfall gegen die Stiftung in Celle indes eine Solidaritätswelle ausgelöst: Immer mehr Nutzer rufen zum Demonstrieren auf, wenn die AfD am 19. und am 20. August in der niedersächsischen Stadt zusammenkommt.
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Das gefällt einigen Vertretern der extrem rechten Szene jedoch offensichtlich nicht: Auf seiner privaten Website hat etwa der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Arzt Klaus Eikemeier aus Hannover die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten angefeindet.
Ex-AfD-Mitglied hetzt gegen jüdische Gemeinde und Institutionen
Der teilte dabei gegen die Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, auch gegen die jüdische Gemeinde in Celle und den Landesverband der israelischen Kultusgemeinden heftig in einem Beitrag aus, der sich auf den bevorstehenden Parteitag bezieht. Das ehemalige AfD-Mitglied fordert dabei "mehr Geschlossenheit" gegen die Verbände und Institutionen – und hetzt öffentlich gegen "Fremdbestimmung durch jüdisch-amerikanische Organisationen".
Wie die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" am Freitag berichtete, hat ein jüdischer Verein vor wenigen Tagen eine erneute Anzeige gegen Eikemeier erstattet. Die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der antisemitischen Volksverhetzung.
Bedrohungslage durch rechtsextreme Markierung
Billib sagt t-online: "Vor wenigen Tagen war auch der bereits verurteilte Holocaustleugner Reza Begi hier und ließ seinen Parolen freien Lauf." Wenig später erhielt Begi auch an der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora Hausverbot, zudem wird wegen Hausfriedensbruchs gegen den Mann ermittelt. Auch in Sachsenhausen trat der Mann öffentlich in Erscheinung.
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Billib sagt dazu t-online: "Wir werden von solchen Leuten mit Einfluss in der rechtsextremen Szene bewusst markiert." Die Einrichtung wolle nun bedacht reagieren und ihr Sicherheitskonzept einer neuen Bewertung unterziehen.
Weil spricht Solidarität aus
Am Dienstag meldete sich auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zu Wort. Weil bat die Mitarbeiter der Stiftung, sich durch die mutwilligen Beschädigungen nicht einschüchtern zu lassen.
Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten
Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten übernimmt eine bedeutende Rolle in der Erinnerungskultur Niedersachsens: Als Trägerin der Gedenkstätte Bergen-Belsen sowie der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel fördert und begleitet sie die gesamte Gedenkstättenlandschaft des Bundeslandes. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt dabei auf historisch-politischer Bildung an historischen Orten, Forschung zu Geschichte und Folgen der NS-Verfolgung sowie deren Kontinuitätslinien und der Verknüpfung zu aktuellen Verbrechensereignissen.
"Ich verurteile diesen Akt der Zerstörung am Sitz einer für unsere Erinnerungskultur so wichtigen und symbolträchtigen Institution wie der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten aufs Schärfste", sagte auch Innenministerin Daniela Behrens (SPD). Der Staatsschutz ermittele und die Polizei werde alles tun, um den oder die Täter ausfindig zu machen. "Ich spreche der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten im Namen der gesamten Landesregierung meine Solidarität aus und weiß, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer so wichtigen Arbeit wie auch in ihrem politischen Engagement nicht einschüchtern lassen werden."
Zeugen, die Hinweise zum Tatgeschehen in Celle geben können, werden gebeten, sich bei der Polizei unter der Telefonnummer 05141/2770 zu melden.
- presseportal.de: Mitteilung der Polizei Celle vom 15. August 2023
- stiftung-ng.de: Mitteilung der vom 15. August 2023
- Telefonat mit Stephanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen
- haz.de: "Volksverhetzung? Darum ermittelt die Polizei gegen einen vorbestraften Arzt aus Hannover" (kostenpflichtig)
- der-reformator.com: Website von Klaus Eikemeier
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
- EIgene Recherche