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Frankfurt am Main: Wer sind die Teilnehmer der Corona-"Spaziergänge"?


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Absurde Sorgen bei "Corona-Spaziergang"
"Ich habe große Angst vor der Genspritze"


06.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Hessische Polizisten bei einer "Querdenker"-Demo in Frankfurt am Main (Archivbild): In vielen deutschen Städten protestieren regelmäßig Impfgegner.Vergrößern des Bildes
Hessische Polizisten bei einer "Querdenker"-Demo in Frankfurt am Main (Archivbild): In vielen deutschen Städten protestieren regelmäßig Impfgegner. (Quelle: Michael Schick)

Verschwörungserzählungen kursieren, Protestierende pflegen ein wildes Gebräu an "Querdenker"-Slogans: Bei einem "Corona-Spaziergang" in Frankfurt wird klar, wie das Milieu tickt. Den Vorwurf, rechts zu sein, weist man jedoch empört von sich.

Es ist 18.20 Uhr am Mittwochabend. Der asphaltierte Platz vor dem Bockenheimer Depot in Frankfurt am Main wird bereits von einigen Grüppchen bevölkert. Die Wahl des Ortes ist absurd: Wissenschaftsleugner treffen sich dort, wo die Studierendenbewegung der 1968er einst revoltierte – nur einen Steinwurf entfernt von der Universitätsbibliothek und dem Campus Bockenheim mit seinem historischen Gebäudekern und einigen Studierendenwohnheimen.

Seit Wochen kommen in zahlreichen Städten Menschen unangemeldet zusammen, um gemeinsam zu "spazieren". Mit der Bezeichnung als "Spaziergang" umgehen sie das Versammlungsrecht, nach dem Demonstrationen angemeldet und genehmigt werden müssen. Am Mittwochabend kam es bei einer solchen Demo in München zu Zusammenstößen und mehreren Verletzten.

In Frankfurt haben die "Querdenker" unterdessen eine "Dauerprotest-Woche" ausgerufen. Die Demos sind angemeldet und von offizieller Seite genehmigt – dennoch reden auch hier die Protestierenden von "Spaziergängen". Anfangs sind es am Mittwochabend zunächst nur etwa 30 Personen. Nach einer Kundgebung wird die Menge zur Alten Oper aufbrechen und anschließend wieder zurück ans Bockenheimer Depot gehen. Auf dem Höhepunkt der Demonstration werden laut Fazit der Frankfurter Polizei an die 140 Menschen zusammenkommen.

Vor einer Bank in der Mitte des Platzes steht an diesem Abend eine Traube junger Menschen. Aus einer mitgebrachten Soundbox schallt laute Musik. Sie trinken Bier, grölen und lachen. Können das "Querdenker" sein oder haben die sich hierher verirrt? "Nein, 'Querdenker' sind wir nicht!", sagt eine junge Frau entschieden. Sie wollten hier einfach für ihre Freiheitsrechte demonstrieren. Sie wippt nervös zum Technobeat und nimmt einen langen Zug von ihrer Zigarette.

Corona-Demo in Frankfurt: Jobverlust wegen Impf-Verweigerung

Ein junger Mann rechts von ihr fühle sich durch die Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen stark eingeschränkt. Er selbst habe sogar seinen Job bei einem Sicherheitsdienst verloren, weil er sich nicht impfen lassen wollte.

Anschließend verirrt er sich in Verschwörungserzählungen und endet damit, dass die Menschheit "dezimiert" werden solle: "Da hat ein Pharmakonzern entschieden, dass wir einfach zu viele auf dieser Welt sind", sagt er mit verheißungsvollem Blick. Und überhaupt: Eine Impfpflicht widerspreche ganz klar dem Grundgesetz. Dieses Argument wird heute immer wieder zu hören sein. Experten hatten bereits im November erklärt, dass die Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Sein Kumpel schaltet sich ein. Er arbeitet beim gleichen Sicherheitsdienst und hat sich sogar impfen lassen. "Trotzdem nervt mich das ständige Kontrollieren von Impfstatus und Testnachweisen. Deshalb bin ich hier heute zum zweiten Mal dabei", sagt er und nippt an seinem Bier. Die Gruppe wirkt so, als wolle sie einfach eine gute Zeit haben und könnte genau so auch auf einem Festival anzutreffen sein.

Demonstrantin: "Hier gibt es keine Rechtsradikalen"

Einige Meter weiter stehen eine Frau und ein Mann im mittleren Alter. Auf die Frage, warum sie heute hier seien, antwortet sie besorgt: "Ich habe große Angst vor der Genspritze. Ich möchte selbstbestimmt über meinen Körper entscheiden und nicht zum Versuchskaninchen gemacht werden."

Tatsächlich enthalten mRNA-Impfstoffe keine genetisch veränderten Zellen und lösen im menschlichen Körper auch keine genetischen Veränderungen aus. Stattdessen schleusen sie den Bauplan eines Teils des Coronavirus in den Körper ein und animieren diesen so dazu, Antikörper zu entwickeln.

Zahlreiche Studien mit Millionen Teilnehmern weltweit haben die Sicherheit der Corona-Impfstoffe bereits verdeutlicht. Dennoch halten sich seit Beginn der Pandemie hartnäckig Mythen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Ob sie es problematisch fände, dass Akteure aus dem rechten Spektrum häufig auf "Querdenker"-Demonstrationen anzutreffen seien? "Hier gibt es keine Rechtsradikalen. Ich finde es problematisch, wenn man mich als Nazi diffamiert!"

Die Stimmung heizt sich auf

18.40 Uhr – die Kundgebung beginnt. Die Rednerin heißt Ingrid Reich. Sie steht dem Telegram-Kanal "Volksnetzwerk Deutschland" nahe – eine Plattform mit Reichsbürger-nahen und verschwörungsideologischen Inhalten. Auf ihrer Facebookseite teilt sie ebenfalls wirre Theorien. Sie hält eine pressefeindliche Rede, in der sie sich rechtspopulistischer Rhetorik und Verschwörungsideologien bedient. Auf der anderen Straßenseite hat sich derweil eine Gegendemonstration formiert. Der schwarze Block ruft "Haut ab, haut ab, haut ab!". Die Stimmung heizt sich auf.

18.55 Uhr. Der Protestlauf beginnt. Ein Demonstrant trägt einen großen Lautsprecher auf dem Rücken. Aus ihm schallt Helene Fischers Song "Wann wachen wir auf". In der Menge schwenkt jemand eine gelbe Flagge, auf der eine zum Biss bereite Klapperschlange abgebildet ist. Darunter steht "Don't tread on me" – "Tritt nicht auf mich".

Die Redewendung "Don't tread me" hat ihre Ursprünge im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Heute wird sie benutzt, um Freiheit und Individualismus zu unterstreichen, meist von rechtsorientierten Gruppen.

Die "Gadsden flag" ist eine historische US-Flagge, die in Zeiten der Amerikanischen Revolution für Patriotismus stand. Heutzutage nutzen sie Verschwörungsideologen, Anhänger der Neuen Rechten, aber auch Libertäre gerne für ihre Zwecke.

Reaktion auf Eintracht-Präsident: "Werde aus dem Verein austreten"

Als einen solchen libertären Freiheitsverfechter würde sich der Flaggenschwenker wohl bezeichnen: "Uns geht es um die Entscheidungsfreiheit über die Impfung. Ich bestimme selbst, was ich mir in den Arm spritzen lasse", sagt er.

Ob er aufgrund seines Impfstatus Probleme im Alltag habe? Er sei Eintracht-Fan und Vereinsmitglied und bedauere, dass Eintracht-Präsident Peter Fischer sich gegen Impfverweigerer positioniert. "Ich werde aus dem Verein austreten", sagt er enttäuscht.

"Die Eintracht hat sich doch immer gegen Diskriminierung und Ausgrenzung eingesetzt. Ich weiß, wie das ist. Ich bin selbst als Kind mit kroatischem Migrationshintergrund in der Nordweststadt aufgewachsen", erzählt der Mann. Die Nordweststadt liegt im Stadtteil Heddernheim und ist bekannt dafür, ein Schmelztiegel vieler Kulturen, aber auch ein Brennpunkt zu sein.

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Gegendemonstranten: "Klassenkampf statt Verschwörungsideologien"

Der Lauf der Menge gerät ins Stocken. Gegendemonstranten haben andere Wege genutzt, um den Durchgang von der Bockenheimer Landstraße zur Alten Oper zu versperren. Sie halten Banner vor sich, die die gesamte Straßebreite einnehmen: "Klassenkampf statt Verschwörungsideologien", lautet eine Aufschrift. Immer wieder skandieren sie Rufe gegen die "Querdenker"-Demonstration. Die Polizei umringt beide Lager und heißt die Teilnehmer des Protest-Spaziergangs auf die Bürgersteige auszuweichen und den Gegenprotest zu passieren.

Das ist möglich, weil sich der "Querdenker"-Versammlung nunmehr nur etwa 140 Personen angeschlossen haben. Bei einer größeren Menge wäre ein solches Manöver zu riskant. An der Alten Oper sollte eigentlich noch eine Kundgebung stattfinden. Doch die Polizei bugsiert die Menschen einmal um den Brunnen im Zentrum des Platzes herum und leitet sie wieder zurück auf die Bockenheimer Landstraße.

Die Lage scheint nicht überschaubar, vermischen sich die Lager am Opernplatz doch zu sehr. Ohne eine weitere Rede abgehalten zu haben, machen sich die Impfgegner auf den Rückweg zur Bockenheimer Warte.

"Meinen Kindern erzähle ich nicht, dass ich das hier organisiere"

Eine ältere Dame mit rotem Schal gibt sich als die Initiatorin der "Spaziergänge" zu erkennen. Die 79-Jährige habe nicht vor, sich impfen zu lassen. "Das Immunsystem wird nachweislich durch Angst geschwächt und die wird vom System geschürt", sagt sie überzeugt. Sie selbst habe drei erwachsene Kinder und vier Enkel. "Die sind für die Impfung und denen erzähle ich nicht, dass ich die Protest-Spaziergänge hier organisiere", sagt sie. Zwei Freundinnen habe sie aufgrund ihrer Überzeugungen bereits verloren. Doch sie finde viele neue Freunde und Gleichgesinnte auf den Veranstaltungen.

Wieder am Platz vor dem Bockenheimer Depot angelangt, stehen sich "Querdenker" und der schwarze Block der Antifa gegenüber. Auf der anderen Straßenseite, auf der sich auch der Uni-Campus befindet, positionieren sich die Gegendemonstranten wieder mit ihren Bannern. Sie stehen direkt unter der Bockenheimer Warte, dem Wahrzeichen des Studierendenviertels. Eines trägt die Aufschrift: "Bockenheim verteidigen. Gegen Verschwörungsideologien". Es ist 20.15 Uhr. Allmählich löst sich die Versammlung auf.

Verwendete Quellen
  • Besuch des Protest-"Spaziergangs" und Gespräche mit Teilnehmenden in Frankfurt am Main
  • Eigene Recherche
  • Facebook: Profil von Ingrid Reich
  • Anfrage bei der Polizei Frankfurt am Main
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