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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gefährliche Wasserstellen Darum ist das Baden in der Ruhr lebensgefährlich
Risiko beim Sommerspaß: t-online erklärt, wo das Baden im Ruhrgebiet besonders gefährlich ist – und welche Entwicklung den Schwimmexperten große Sorgen bereitet.
Allein 2021 sind 299 Menschen in Deutschland ertrunken, im vergangenen Jahr waren es sogar 355. Der Großteil davon ist in der Badesaison verunglückt. Statt Spaß im Wasser rücken dann Rettungswagen, Wiederbelebungsmaßnahmen und panische Angehörige in den Vordergrund.
"Natürlich ist der Rhein besonders gefährlich"
Auch im Ruhrgebiet sind klare Hotspots für Unfälle erkennbar, sagt Martin Holzhause von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG): Flüsse und Kanäle. "Natürlich ist der Rhein besonders gefährlich. Es kamen im vergangenen Jahr aber auch Menschen in Ennepe und Ruhr ums Leben sowie im Rhein-Herne-Kanal und Datteln-Hamm-Kanal." Besonders gefährlich in den Flüssen seien die Strömungen und der Schiffsverkehr. "Letzterer ist auch eine wesentliche Gefahrenquelle auf den Kanälen", warnt Holzhause.
Die DLRG rät deshalb allgemein davon ab, in Flüssen baden und schwimmen zu gehen. Gefahren lauern in diesen auch unter Wasser, etwa durch nicht sichtbaren Müll und Steine. Zusätzliche Hindernisse stellen Brückenpfeiler und Schleusen dar. Eine sichere Schwimmfähigkeit kann schnell zur Überlebenstechnik werden.
Laut Holzhause gibt es weitere Gefahren, die unterschätzt werden. Dazu zählen niedrige Wassertemperaturen, Bauwerke wie Brücken oder Wehre und Abbruchkanten in Badeseen. "Aber auch personenbedingte Gefahren wie der Gesundheitszustand und die körperliche Leistungsfähigkeit werden unterschätzt", so der Schwimmexperte.
Brückensprünge sind ein "lebensgefährliches Risiko"
Der Ruhrverband, zuständig unter anderem für die Talsperren im Bereich der Ruhr, beobachtet außerdem, dass immer mehr Menschen von Brücken ins Wasser springen. Ob am Dortmund-Ems-Kanal, dem Rhein-Herne-Kanal, an der Ruhr oder im Möhnesee bei Hamm: Wo Brücken über größere Gewässer führen, suchen Schwimmer immer wieder einen besonderen Adrenalinkick. "Das ist nicht nur lebensgefährlich, sondern auch verboten", mahnt die nordrhein-westfälische Bundespolizei.
Dabei gingen vor allem Jugendliche ein "lebensgefährliches Risiko ein, nur um einen kurzzeitigen Thrill genießen zu können", erklärt der Ruhrverband. An der Ruhr gebe es vor allem an den Brückenpfeilern gefährliche Stromschnellen, die auch für geübte Schwimmer zur tödlichen Falle werden könnten.
Auch andere Gefahren unter Wasser ließen sich von oben nicht abschätzen. An der bei Springern zunehmend beliebten Eisenbahnbrücke in Essen-Kupferdreh sei die Ruhr nur knapp 1,70 Meter tief. Bei einem Sprung komme man da schnell bis auf den Grund. An Talsperren wie dem Möhnesee schwanke der Wasserspiegel ständig. "Eine Stelle, die vielleicht gestern noch tief genug war, kann schon heute oder morgen zu flach sein."
Immer weniger sichere Schwimmer
Hinzu kommt: Immer weniger Kinder können schwimmen. Neben Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe fehlt es ihnen damit an Fähigkeiten für den Ernstfall. "Bereits vor der Corona-Pandemie waren bundesweit mehr als die Hälfte der Schüler am Ende der Grundschule keine sicheren Schwimmer", sagt Holzhause von der DLRG.
Keine sicheren Schwimmer bedeutet: Sie konnten die Anforderungen an das Deutsche Schwimmabzeichen Bronze nicht erfüllen. Dazu zählt etwa ein Kopfsprung vom Beckenrand, mindestens 200 Meter in 15 Minuten zu schwimmen und zwei Meter tief zu tauchen. Die Zahl der Kinder, die sich sicher im Wasser bewegen können, nehme seit Jahren ab, berichtet Holzhause.
Die Situation dürfte sich weiter verschärft haben: "Während der Pandemie waren die Schwimmbäder in der ganzen Republik geschlossen und zwei Jahrgänge in den Schulen haben kaum Schwimmunterricht erhalten", erinnert Holzhause. Auch die Vereine und Schwimmschulen hätten bei weitem nicht so viel ausbilden können wie normal.
"Hier sind also viele Kinder zunächst Nichtschwimmer geblieben. Zwar wird viel unternommen, um aufzuholen, das ist jedoch ein Kraftakt, für den es einen langen Atem brauchen wird", sagt er. Dass bereits vor der Pandemie immer weniger Kinder sichere Schwimmer waren, hat aus Sicht der DLRG vor allem zwei Gründe: "Es gibt nicht genug Wasserflächen für die Schwimmausbildung – es fehlen Schwimmbäder – und auch nicht genug qualifiziertes Personal", klagt Holzhause.
Schwimmkurse im Ruhrgebiet: "Die Wartelisten werden immer länger"
Die dramatische Abnahme der Schwimmfähigkeit beobachtet auch Christoph Kreutzenbeck vom Sportbildungswerk NRW an der Außenstelle Bochum mit Sorge. Auch er sagt: "Corona hat dem Ganzen nochmal wahnsinnigen Vorschub gegeben". Man beobachte, dass viele Eltern sich wieder frühzeitiger um Plätze in Schwimmkursen bemühen würden.
"Das Einstiegsalter der Kinder sinkt. Dadurch verschärft sich allerdings unser Grundproblem", so Kreutzenbeck. Viele ältere Kinder, die bis zur vierten Klasse immer noch nicht schwimmen könnten, plus die vielen jüngeren Kinder würden in die Schwimmkurse drängen. "Die Nachfrage ist immens. Die Wartelisten werden immer länger", sagt er.
Schwimmassistenten sollen helfen
In der Schule lerne quasi kein Nichtschwimmer das Schwimmen. "Dazu wird in den Schulen zu wenig Schwimmunterricht, zu unregelmäßig und mit zu wenig Personal durchgeführt", kritisiert er.
Auch in der Ruhrgebietsstadt Bochum kann etwa die Hälfte der Sechs-bis Zehnjährigen nicht ausreichend schwimmen. Die Stadtverwaltung hat erkannt, dass sich das Problem unter schulischen Rahmenbedingungen kaum lösen lässt. Man versucht deshalb, die Lücken mit Schwimmassistenten an Bochumer Schulen und Schwimmkompaktwochen zu schließen.
Die Schwimmassistenten, hauptamtliche Mitarbeitende aus Bochumer Schwimmvereinen, kommen im Unterricht der Grundschulen sowie in den Klassen 5 und 6 der weiterführenden Schulen zum Einsatz. Hier sieht sich das Lehrpersonal besonders häufig mit einer hohen Zahl an Nichtschwimmern konfrontiert. Ein guter Weg, findet Kreutzenbeck. "Bis dieser aber eine deutliche Entlastung bringt, dauert es einfach", gibt er zu Bedenken. Den Schwimmvereinen mangele es selbst an ausreichenden Kapazitäten.
Qualifizierte Übungsleiter hätten sich in der Corona-Pause umorientiert, die Infrastruktur vor Ort sei marode. "Wir haben einen riesigen Sanierungsstau in den Lehrschwimmbecken aus den 60er- und 70er-Jahren", sagt er. Lange Wartezeiten bei Handwerkern, Materialmangel und Personalausfälle bei Hausmeistern sind weitere Hürden.
"Kurzfristig werden Bäder tagelang geschlossen, weil kein Personal zur Verfügung steht", beobachtet auch Kreutzenbeck. Um so sicher wie möglich im Sommer zu baden, rät die DLRG derweil, nur an bewachten Badestellen zu schwimmen und Warnhinweise zu beachten. Kinder im und am Wasser sollte man dabei nie aus den Augen lassen und in Griffweite bleiben. "Nie alleine oder unbeaufsichtigt schwimmen und die eigene Kraft nicht überschätzen", ergänzt Holzhause.
Sprünge in unbekannte Gewässer sollte man vermeiden. "Diese können lebensgefährlich sein", warnt der Experte. Bei Gewitter sollte man das Wasser unverzüglich verlassen und vor dem Baden keinen Alkohol konsumieren. "Luftmatratzen und Ähnliches können außerdem leicht abgetrieben werden", mahnt Holzhause. Wer sich an diese Tipps hält, der kann beim Baden für Bilder sorgen, die man aus dem Sommer in Erinnerung behalten möchte.
- Gespräch mit Martin Holzhause
- Gespräch mit Christoph Kreutzenbeck
- Statistik Badeunfälle 2021 der DLRG
- rnd.de: "19 Prozent mehr Badetote im Jahr 2022"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa