Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wahlbeteiligung zur NRW Landtagswahl Erst Stamm-, dann Nichtwähler?
Die Wahlbeteiligung bei der NRW-Landtagswahl war so niedrig wie nie zuvor. Auffällig ist: Anstatt zu anderen Parteien abzuwandern, wählten viele SPD-Wähler lieber gar nicht. Ein Kommentar.
Im Grunde ließ sich die Niederlage spätestens nach dem Duell der Spitzenkandidaten am Donnerstag vor der Wahl erahnen: Während sich Spitzenkandidat Hendrik Wüst (CDU) mit SPD-Themen wie Chancengleichheit und dem Erhalt von Arbeitsplätzen profilierte, bot sich für Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) kaum ein Angriffspunkt.
Stattdessen entspann sich unter den Kontrahenten ein friedliches Duett, aus dem der gut vorbereitete Wüst als klarer Sieger hervorging. Das von Kutschaty repräsentierte SPD-Wahlprogramm krankte dagegen an den altbekannten Problemen: Wenig Profil, wenig Substanz im Vergleich zur Konkurrenz.
Dass das so manch einen vormaligen SPD-Wähler frustrierte, ist nachvollziehbar. So verzeichnete die SPD ein Minus an Stimmanteilen von 4,6 Prozent im Vergleich zur Wahl 2017. Eine Entwicklung überraschte dann aber doch.
NRW-Landtagswahl: CDU – die neuen Sozialdemokraten?
Laut einer Analyse des Wahlforschungsinstituts Infratest dimap wählten 300.000 Bürgerinnen und Bürger, die 2017 noch SPD gewählt hatten, 2022 lieber gar nicht. 40.000 wanderten ab zur CDU.
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Letzteres lässt sich leicht erklären: Beide Parteien wiesen große Schnittmengen in ihrem Wahlprogramm auf. Die CDU genoss dabei den Heimvorteil der amtierenden Regierungspartei. Ein Trumpf, den Wüst zuletzt beim Live-Duell mit großem Selbstvertrauen für sich nutzte.
Nur wahlmüde oder unterrepräsentiert?
Dass 300.000 vormalige SPD-Wähler 2022 lieber gar nicht wählten, anstatt zu anderen Landtags- oder Kleinstparteien abzuwandern, ist dagegen nicht nur bedenklich, sondern bietet vor allem einen Grund zum Kopfschütteln.
Natürlich könnte man den Massenabgang an SPD-Wählern auf die allgemeine Wahlmüdigkeit schieben. Die viel entscheidendere Frage ist aber: Was wurde von der SPD erwartet, was keine andere Partei und Kleinstpartei liefern konnte?
Für die SPD bedeutet das bis zur nächsten Wahl Stoff zum Nachdenken. Aber ganz ehrlich: Dass es der SPD an Profil mangelt, ist nicht erst seit 2022 ein Problem. Wer 2017 überzeugt ins Wahllokal gehen und SPD wählen konnte, hätte in diesem Jahr keinen neuen Grund gehabt, sich anders zu entscheiden.
Die perfekte Partei gibt es nicht
Und trotzdem haben am Sonntag 300.000 vormalige Wahlgänger – sei es aus Frust oder aus Prinzip – die Wahl lieber boykottiert, als irgendetwas anderes als SPD zu wählen. Das hat etwas von Bockigkeit. Und wieder einmal wundert man sich nicht über das Klischee vom verbohrten SPD-Stammwähler.
Nein, die perfekte Partei gibt es nicht. Jeder, der sich vor einer Wahl mit den Parteiprogrammen und dem Wahl-o-Mat auseinandersetzt, muss abwägen. Welche Standpunkte sind unverhandelbar? Bei welchen bin ich flexibel?
Abo kündigen reicht nicht
Eine hundertprozentige Übereinstimmung gibt es nicht und gab es noch nie. Zumindest nicht unter denen, die sich ihre Meinung auch abseits von Parteitagen und Stammtischen bilden.
Ebenso wenig eine Demokratie ohne Wahlen. Und eine Wahl, an der sich gerade einmal 50 Prozent der Landesbevölkerung beteiligen, trägt auf Dauer keine Gesellschaft. Und die ist, in Zeiten der Spaltung, wichtiger denn je.
In diesem Sinne sollte sich jeder, der 2022 vom SPD-Stammwähler zum Nichtwähler mutierte, beim nächsten Mal ein Beispiel aus dem Alltag zu Herzen nehmen: Ein Abo kann man zwar kündigen – aber auch wechseln.