Düsseldorf Schlange stehen für Corona-Test: Versicherung für den Urlaub
Eine Region im erneuten Ausnahmezustand: Am Mittwoch war im Kreis Warendorf für Kinder und Jugendliche schon wieder der letzte Schultag. Zugleich drängten so viele Menschen dort und im Kreis Gütersloh in die Corona-Testzentren, dass viele auf den nächsten Tag vertröstet werden mussten. Denn nur mit negativem Test kommt man noch an manche Urlaubsziele - während Österreich seinerseits für seine Bürger eine Reisewarnung für NRW ausrief. Auch die politische Debatte tobt. Und ein Experte hat eine Vermutung, wie der Ausbruch im Tönnies-Werk passiert sein könnte: Die Luftumwälzung in den gekühlten Zerlegehallen soll schuld sein.
Der Bonner Hygiene-Experte Martin Exner war am Wochenende selbst im Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück und präsentierte am Mittwoch seine ersten Untersuchungsergebnisse. Nach seiner ersten Einschätzung könnte der Corona-Ausbruch im Fleischbetrieb auf die Luftkühlung im Zerlegebetrieb zurückgehen. In dem Bereich würde die Luft auf 6 bis 10 Grad Celsius heruntergekühlt, während die Arbeiter bei hohem Tempo und harter, körperlicher Belastung die geschlachteten Schweine zerlegen, sagte der Professor bei einer Pressekonferenz im Kreishaus in Gütersloh. Um die Luft zu kühlen, würde diese aus dem Raum gezogen, gekühlt und zurück in den Raum gebracht. Exner schlug Hochleistungsfilter und UV-Strahlen als Lösung vor.
Dieses Problem betreffe die gesamte Fleischbranche und sei bislang nicht im Blick der Wissenschaft gewesen, sagte der Experte. Bei dem jetzt möglicherweise entdeckten Problem nahm er Tönnies ausdrücklich von Kritik aus. Dafür teilte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty aus: Er forderte von der Landesregierung, dass sie Urlaubs-Stornokosten von Menschen aus den betroffenen Kreisen übernehmen und sich von Tönnies zurückholen solle.
Tatsächlich wird es für viele Menschen gerade schwieriger, in bestimmte Regionen zu kommen. Niedersachsen, Bayern und Schleswig-Holstein sprachen Beschränkungen für Touristen aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf aus. Ausnahmen gibt es zum Beispiel in Bayern, wenn man einen negativen Coronatest vorweisen kann. Auch aus diesem Grund bildeten sich am Mittwoch vor den Testzentren lange Warteschlangen. Im Kreis Gütersloh war der Andrang so groß, dass schon am Mittwochmorgen die Kapazitäten ausgelastet waren. Viele Menschen sollten am Donnerstag wieder kommen.
Immerhin: Bürger in den Kreisen Gütersloh und Warendorf, die keine Corona-Symptome haben, können sich ab sofort auch bei ihrem Hausarzt auf das Virus testen lassen. Das hat die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) auf den Weg gebracht. Bevorzugt getestet werden sollen Menschen, die bald verreisen wollen.
Während viele Menschen um ihren Urlaub bangen, sprach eines der beliebtesten Ziele der Deutschen kurzerhand eine Reisewarnung für ganz NRW aus: Österreich rät seinen Bürgern von einem Trip in das Bundesland dringend ab. NRW steht damit in einer Reihe mit der chinesischen Provinz Hubei und der italienischen Lombardei.
Für Schülerinnen und Schüler war in Warendorf am Mittwoch bereits der letzte Schultag. Auch Kitas sind ab Donnerstag geschlossen. Im Nachbarkreis Gütersloh sind die Einrichtungen bereits seit Tagen dicht. Martin Wellnitz, Leiter der Mosaikschule in Ennigerloh (Kreis Warendorf) blickte mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. "Wir wissen überhaupt nicht, wie es nach den Sommerferien weitergehen soll." Die Corona-Krise habe "schon viel Arbeit gekostet. Mit jeder neuen Entwicklung war es, als müssten wir ein neues Schuljahr planen."
Apropos Schulen: Das Land will Schüler und auch Lehrer flächendeckender mit digitalen Endgeräten ausstatten. "Es wird keine Situation mehr geben, dass ein Kind zuhause, weil die Eltern keinen Computer haben, nicht mitlernen kann", versprach Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). So will man 380 Millionen Euro - davon 260 aus dem Landeshaushalt - investieren. Außerdem soll mehr Geld in die Anbindung von Schulen an schnelle Glasfasernetze fließen. NRW will für den Fall rüsten, dass die Corona-Pandemie erneut Unterricht auf Distanz notwendig macht - egal in welchen Regionen.
Neben der Bildung sollen die Bereiche Gesundheit und Kultur sowie die Kommunen mit zusätzlichen Milliarden unterstützt werden. Man wolle 3,6 Milliarden Euro in die Hand nehmen und das Konjunkturprogramm des Bundes um weitere 1,7 Milliarden Euro aus Landesmitteln aufstocken, kündigte Laschet im Landtag an.
Unterdessen richtete sich der Blick bereits gen Wochenende: Bis dahin wolle man wissen, "ob das Virus in andere Teile der Bevölkerung übergesprungen ist", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einer Aktuellen Stunde des Landtags. Bei der freiwilligen Massentestung der Bewohner des Kreises Gütersloh ist laut den Behörden bei den ersten 230 Befunden noch kein sicherer Corona-Nachweis dabei gewesen. Insgesamt seien bislang 600 Abstriche genommen worden.
Rund 900 Polizisten in beiden Kreisen unterstützen laut Laumann die Behörden bei der Durchsetzung der Quarantäne der rund 7000 betroffenen Tönnies-Beschäftigten. Ab Donnerstag sollen es noch mal mehr werden.
Laumann kündigte erneut einen scharfen Kurs gegen die Zustände in der Fleischindustrie an. "Das hat mit einer humanen Arbeitswelt nichts mehr zu tun", sagte er. Der CDU-Politiker wies Vorwürfe zurück, die Behörden hätten Schlachthöfe nicht gut genug kontrolliert. In 30 Schlachthöfen seien bei Kontrollen erhebliche Mängel festgestellt worden, so Laumann. Dazu gehörten auch Tönnies-Betriebe. "Der Arbeitsschutz war pausenlos unterwegs, gerade in den Hotspots in NRW." Das derzeitige "System der industriellen Schlachtung" habe keine Zukunft mehr, sagte Laumann mit Blick auf das geplante Bundesgesetz.
Unter dem Motto "Schalke ist kein Schlachthof - gegen die Zerlegung unseres Vereins" wollen Fans am Samstag demonstrieren. Sie sehen Missstände und Fehlentwicklungen im Club und im Fleisch-Unternehmen des Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies. Die Behörden in Gelsenkirchen haben die angekündigte Demonstration genehmigt. Maximal 2000 Besucher seien zugelassen, zudem müssten sich die Teilnehmer an Hygiene-Vorschriften halten. Verschiedene Fan-Gruppierungen hatten dazu aufgerufen, sich parallel zum Auswärtsspiel des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 in Freiburg an einer Menschenkette rund um das Vereinsgelände Berger Feld mit der Veltins-Arena zu beteiligen.