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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tragische Figur im CL-Finale 1997 Wolfgang Feiersinger – der vergessene Held des BVB
Riedle, Ricken, Kohler, Sammer: Wenn sich an diesem Samstag der Champions-League-Triumph von Borussia Dortmund zum 25. Mal jährt, gehören die Schlagzeilen jenen Spielern, die am 28. Mai 1997 den Pokal geholt haben. Einer war damals nur Zuschauer, obwohl die Mannschaft ohne ihn wohl nie dieses Endspiel erreicht hätte: Wolfgang Feiersinger.
Es gibt diesen Moment in der Karriere eines Fußballers, in dem du ganz oben angekommen bist, am Ziel deiner Träume, auf dem Gipfel. Für die Profis von Borussia Dortmund war der 28. Mai 1997 ein solcher Tag, an dem die Mannschaft das Finale der Champions League gegen Juventus Turin für sich entschied. Bilder der feiernden Spieler samt Trainer Hitzfeld mit dem silbernen Henkelpott haben sich ins Gedächtnis gebrannt.
Einer aber fehlte, weil der vermeintlich größte Tag seiner Karriere für ihn zum persönlichen Tiefpunkt wurde und sein Traum ebenso unerwartet wie erbarmungslos zerplatzte: Wolfgang Feiersinger. Im Halbfinale noch der Held auf dem Platz, stand er im Endspiel nicht einmal im Kader. "Es nagt immer noch an mir. Mich wurmt das immer noch", hat der Österreicher noch Jahre später 2015 in einem Interview mit dem Online-Portal "alpin.de" über "die bittersten Stunden meiner Karriere" gesprochen. Die Freude am Fußball hatte er da längst verloren und sein Glück als Hüttenwirt in den Alpen gefunden: "Dieses Rumgegurke hatte ich satt!"
"Plötzlich beim geilsten Verein der Welt"
Zur Saison 1996/97 war Wolfgang Feiersinger vom SV Austria Salzburg erst zwei Tage vor dem Saisonstart zum BVB gewechselt. Den Dortmundern machten die häufigen und langwierigen Verletzungen von Matthias Sammer Sorgen, der sich mit seinen Leistungen als Libero nur wenige Monate zuvor zu Europas Fußballer des Jahres gekrönt hatte.
Feiersinger, in seiner Heimat zweimal Meister geworden, sollte ihn ersetzen, wenn es nötig wurde. Und ging das Abenteuer Bundesliga mit großer Vorfreude an: "Hitzfeld hat mich erst in einem Alter geholt, als für mich der Zug als Fußballer eigentlich schon abgefahren war. Plötzlich spielte ich beim geilsten Verein der Welt."
Und das auch tatsächlich, denn Sammer fiel immer wieder aus. In der Bundesliga konnte er nur 16 Spiele bestreiten, stand sonst gar nicht im Kader. In der Champions League war es ähnlich: Nur dreimal in der Gruppenphase und im Viertelfinal-Hinspiel gegen Auxerre lief der deutsche Nationallibero auf.
So war es immer wieder Wolfgang Feiersinger, der die Abwehr der Borussia mit seiner ruhigen Art zusammenhalten sollte – und das nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch immer besser tat. In sieben Partien leistet er seinen Beitrag auf dem Weg ins Finale. Viermal stand er dabei über die vollen 90 Minuten auf dem Platz – und in allen vier Partien ließ die Borussia mit ihm als Libero kein Gegentor zu.
- Vor 25 Jahren: So gewann der BVB die Champions League 1997
Nach den Siegen in der Gruppenphase bei Steaua Bukarest (3:0) und Atletico Madrid (1:0) lieferte der 31-Jährige im Halbfinale gegen Manchester United sein Meisterstück ab, als der BVB mit zwei 1:0-Erfolgen gegen Beckham und Co. ins Endspiel einzog. "Feiersinger, Feiersinger" tönte es aus der Fankurve. Und der "Sali", wie der gebürtige Saalfeldener gerufen wurde, fieberte wie ganz Dortmund dem Finale gegen Juventus entgegen.
Was dann passierte, hat Ottmar Hitzfeld danach oft als "die schwerste Entscheidung meines Lebens" bezeichnet. Feiersinger hatte sie nicht ansatzweise kommen sehen. Zwar war Sammer wieder fit geworden, doch Trainingsrückstand und fehlende Spielpraxis sprachen gegen seinen Einsatz.
"Dass Sammer spielte, war nie ein Thema", erinnerte sich der Österreicher im Interview. "Man reist drei Tage vorher nach München, trainiert gut. Am Finaltag bittet mich der Trainer mittags zu einem Gespräch, von dem ich glaubte, es sei eine Taktik-Besprechung. Da bekam ich die Nachricht, dass ich nicht einmal auf der Ersatzbank sitze."
Für Feiersinger brach eine Welt zusammen. Da nur 16 Spieler im Kader erlaubt waren, entschied sich Hitzfeld für den flexibel einsetzbaren Rene Tretschok. Und schickte den Mann, der mit seinen Leistungen einer der Väter des Finaleinzugs war, auf die Tribüne. Wolfgang Feiersinger war so frustriert, dass er nach dem Triumph erst gar nicht mit der Mannschaft feiern wollte: Er ist der erste Österreicher, der die Champions League gewinnt – und doch nur Zuschauer.
Leben auf der Alm: "Habe mit dem Fußball abgeschlossen"
Ein stückweit war es wohl auch dieses Erlebnis, dass ihn später einen kompletten Schlussstrich unter den Fußball hat ziehen lassen. Zunächst ging es beim BVB für ihn weiter; der neue Trainer Nevio Scala adelte ihn in der Folgesaison nach dem Gewinn des Weltpokals sogar mit dem Satz: "Nur Gott ist perfekt, aber Feiersinger ist es als Spieler."
1998 geriet er unter Michael Skibbe aufs Abstellgleis, wechselt heim in die Alpenrepublik und beendete 2002 die Profikarriere. Den Versuch, als Jugendtrainer bei RB Salzburg im Fußball-Business zu bleiben, brach er 2008 nach zwei Jahren ab und zog einen radikalen Schlussstrich. Er kehrte dem Sport komplett den Rücken, stattdessen zog es ihn samt Freundin in die Natur. Feiersinger übernahm 2009 in Aurach bei Kitzbühel die Hochwildalmhütte.
Ein Schritt aus Überzeugung, wie er bei alpin.de betonte: "Ich habe mit dem Fußball und seiner Scheinwelt abgeschlossen. Als bodenständiger Mensch habe ich die Freude am Fußball über die Jahre verloren. Alles drehte sich nur noch ums Geld. Für mich gibt es mehr im Leben als 70 mal 100 Meter Rasen."
Über zehn Jahre bewirtschaftete Feiersinger als Hüttenwirt die Alm, auch seine ehemaligen Mitspieler Andi Möller und Knut Reinhardt statteten ihm hier mal einen Besuch ab. Seinen geliebten Bergen ist er auch danach bis heute noch immer treu geblieben.
Nur mit dem Fußball hat er nichts mehr am Hut – wobei, so ganz stimmt das doch nicht: Tochter Laura ist erfolgreich in Papas Fußstapfen getreten, wurde mit dem FC Bayern Deutscher Meister und kickt aktuell bei Eintracht Frankfurt. Und da ist auch Wolfgang Feiersinger dann doch ganz stolzer Papa.
- Eigene Recherchen
- alpin.de: "Vom Fußballprofi zum Hüttenwirt"