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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zu wenig offizielle Unterstützung? Flüchtlingshelfern geht die Puste aus
Seit Beginn des Krieges leistet der Verein "O.K. Human Rights Ukraine" Hilfe für Menschen in der Ukraine und Geflüchtete in Bremen. Obwohl der Bedarf nach wie vor groß ist, stoßen die Ehrenamtlichen inzwischen an ihre Grenzen. Sie wünschen sich mehr Unterstützung von offizieller Seite.
Die Schlange vor der "Help Base" ist bereits eine Stunde vor der offiziellen Öffnungszeit lang. Viele der ukrainischen Geflüchteten, die dort warten, kommen derzeit in den nahegelegenen Messehallen 6 und 7 unter und benötigen Kleidung und andere Dinge des täglichen Bedarfs, die sie auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg nicht mitnehmen konnten. Die Kleiderkammer, die aus mehreren Räumen besteht, wird am Ende des Tages wieder fast leer sein.
In einem Gebäude des Energieversorgers SWB hat der Verein "O.K. Human Rights Ukraine" (OKHRU) in der Findorffstraße 11 einen Anlaufpunkt geschaffen, den nach Angaben der Mitglieder etwa 100 bis 150 Menschen pro Tag aufsuchen. Von Dienstag bis Freitag finden sie in den Räumlichkeiten neben Kleidung und Schuhen unter anderem auch Kinderwagen, Bettwäsche oder Koffer.
Hinzu kommen seit neuestem Freizeitangebote für Kinder und Erwachsene: Malen, Basteln oder kleinere Willkommenskurse, um zum Beispiel die deutsche Bürokratie besser zu verstehen. "Diejenigen, die mittlerweile eine Unterkunft und Kleidung haben, wollen sich jetzt integrieren", sagt Olga Kovalenko, die den Verein Ende März zusammen mit ihrem Partner gegründet hat.
Bremen: Ukraine-Helfende stoßen an finanzielle Grenzen
Innerhalb kürzester Zeit bauten die gebürtige Ukrainerin und ihre Mitstreiter eine große Community auf. "Wir standen zunächst alle unter Schock und haben pausenlos geweint", erzählt die 30-Jährige. "Dann sind wir aber relativ schnell an den Punkt gekommen, wo wir uns ablenken und etwas Sinnvolles tun wollten." Mithilfe von Lkw und Sprintern schickten sie bisher etwa 300 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine und schufen in Bremen mehrere Angebote für die Ankommenden.
Doch den Mitgliedern des Vereins geht langsam die Puste aus: "Sollte sich nicht zeitnah etwas ändern, können wir unser jetziges Pensum wahrscheinlich nur noch wenige Wochen aufrechterhalten", erzählt Kovalenko. Das liege vor allem daran, dass viele der Freiwilligen seit Wochen Zeit und privates Geld in den Verein stecken und ihren eigentlichen Berufen nicht mehr nachkommen können. "Viele von uns haben unbezahlten Urlaub genommen oder sich freistellen lassen", sagt Kovalenko.
Verein wünscht sich schnelle und pragmatische Hilfe
Die 30-jährige selbstständige Ingenieurin sei selbst seit zwei Monaten nicht mehr im Dienst. "Auch wenn man seinen Lebensstandard einschränkt – laufende Kosten hat man weiterhin", sagt sie. Mehrere Tausend Euro hätten die Ehrenamtlichen bereits aus eigener Tasche in den Verein gesteckt. "Bei mir sind es sicherlich zwischen 5.000 und 6.000 Euro", sagt Svetlana Kotelnikova, die zu den Mitgliedern der ersten Stunde zählt.
Besonders die Tankkosten für Fahrten innerhalb der Stadt und die Transporte in die Ukraine gingen ins Geld. Die Ehrenamtlichen sind enttäuscht darüber, bisher nicht mehr Unterstützung von offizieller Seite erhalten zu haben. "Wenn man so viel Arbeit leistet und die Stadt so unterstützt, dachte ich, dass auch etwas zurückkommt", sagt Olga Kovalenko.
Auch Svetlana Kotelnikova wünscht sich schnelle und pragmatische Hilfe. "Es müssen ja keine neuen Fahrzeuge angeschafft werden, aber es stehen doch sicherlich ein paar Sprinter rum, die mitgenutzt werden können", sagt sie. Bisher müssen die Mitglieder sich einen alten Bus teilen, den einer der Freiwilligen zur Verfügung gestellt habe, wie sie erzählt. "Wir benötigen aber mehr Fahrzeuge", sagt Kotelnikova.
Helfende in Kontakt mit mehr als 3.000 Geflüchteten via Chat
Zusätzlich zu der Anlaufstelle in der Findorffstraße verfügt der Verein nämlich über ein Lager in der Überseestadt, das ihnen von der Firma Zech Logistics kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Dort sammeln sie unter anderem Spenden, die direkt in die Ukraine geschickt werden. Zudem seien die Mitglieder in mehreren Flüchtlingsunterkünften der Stadt aktiv und würden beispielsweise bei der Verteilung von Sachspenden oder Übersetzungsarbeiten helfen.
Dass die Arbeit der Freiwilligen zeitintensiv ist, verdeutlicht auch eine andere Zahl: Der Verein steht laut eigenen Angaben über den Nachrichtendienst Telegram mit mehr als 3.000 Geflüchteten in Bremen in Kontakt und beantwortet aufkommende Fragen. Zum Vergleich: Laut Angaben des Sozialressorts halten sich derzeit etwa 7.500 Geflüchtete aus der Ukraine im Land Bremen auf, davon 5.700 in Bremen und 1.800 in Bremerhaven.
Wie wichtig die Arbeit des Vereins ist, wurde den Ehrenamtlichen in den vergangenen Wochen von verschiedensten Seiten attestiert – unter anderem von höchster Stelle. So war Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) Mitte April in der "Help Base" vor Ort und sagte: "Es ist einfach unglaublich, was die Ehrenamtlichen hier leisten."
Neben den sieben festen Vereinsmitgliedern, die die Hilfsangebote koordinieren, sind laut Kovalenko bis zu 300 Freiwillige im Einsatz, unter ihnen auch zahlreiche Ukrainer, die erst seit wenigen Wochen in Bremen leben.
"Nur mit Lob kann niemand seinen Tank füllen"
Auch die sozialpolitische Sprecherin der Bremer CDU-Fraktion, Sigrid Grönert, hat sich in den vergangenen Wochen ein Bild von der Arbeit des Vereins gemacht und kann nicht nachvollziehen, warum man sie nicht mehr unterstützt. "Der Verein ist gut aufgestellt und arbeitet strukturiert. Die Arbeit der Ehrenamtlichen ist ein wichtiger Integrationsfaktor", so Grönert.
"Nur mit Lob, selbst wenn es vom Bürgermeister kommt, kann niemand seinen Tank füllen, um Hilfsgüter zu transportieren oder zum Übersetzen zu fahren. Dieser Verein braucht dringend Geld, um seinen Dienst weiterzumachen", kommentiert die CDU-Politikerin einen Beitrag des Senats bei Instagram.
Der Verein habe sich bereits mit Schreiben an die Sozialbehörde und den Bürgermeister mit der Bitte um Unterstützung gewandt – bisher nur mit mäßigem Erfolg, sagen Kovalenko und ihre Mitstreiter. So habe eine Vertreterin der Sozialbehörde zwar über mögliche Fördermöglichkeiten informiert, diese hätten sich aber größtenteils auf Fördertöpfe bei privaten Stiftungen bezogen, deren Anträge häufig lange Vorlaufzeiten benötigen. "Diese Zeit haben wir aktuell nicht", sagt Kovalenko.
Aus der Sozialbehörde heißt es auf Nachfrage dazu: "Die Arbeit des Vereins 'O.K. Human Rights Ukraine' für Geflüchtete aus der Ukraine ist sehr beeindruckend und ein herausragendes Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement in unserer Stadt."
Stadt Bremen beruft sich auf begrenzte Mittel
Die Mittel, die die Stadt zur Verfügung stellen könne, seien jedoch begrenzt. "Den Wunsch, sehr schnell finanzielle Unterstützung zu bekommen, kann ich nachvollziehen", sagt Wolf Krämer, Sprecher im Sozialressort. "Als öffentliche Hand können wir solche Mittel aber nicht freihändig vergeben, sondern müssen – auch aus Gründen der Fairness und Transparenz – die bewährten Verfahren einhalten."
Eine Option der Förderung seien etwa der Stadtteilfonds zur Teilhabe von geflüchteten Menschen. "Hier haben wir gerade erst die neue Förderrunde mit einem Gesamtvolumen von 82.000 Euro ausgeschrieben", so Krämer weiter.
Der Verein will sich zwar auf den neuen Stadtteilfonds bewerben, glaubt aber nicht daran, dass die Mittel langfristig ausreichen würden: "In der ersten Förderrunde haben Projekte bis zu 1.500 Euro bekommen – damit kommen wir nicht weit", sagt Kovalenko. Sie erhoffe sich vielmehr eine langfristige und intensivere Zusammenarbeit mit der Stadt. "Die Integrationsarbeit wird Bremen noch eine ganze Weile beschäftigen. Wir könnten dabei eine wichtige Vermittlungsrolle übernehmen. Einige von uns würden sich auch gerne langfristig und in Vollzeit engagieren."
Uneinigkeit über Hilfseinsatz bei Trägern
Etwas mehr Anerkennung wünscht sich "O.K. Human Rights Ukraine" indes auch von den Trägern der Flüchtlingshilfe, für die sie unterstützend im Einsatz sind. Laut eigenen Angaben helfe der Verein unter anderem in der Erstaufnahmeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Lindenstraße und in den Notunterkünften des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). "Das verlief bisher leider eher einseitig", sagt Olga Kovalenko.
Bei den Trägern selbst sieht man das etwas anders. "Der Verein spielt für Einrichtungen der AWO Bremen im Bereich Asyl, die im Auftrag der Sozialbehörde betrieben werden, keine Rolle", teilt Anke Wiebersiek, Sprecherin der AWO Bremen, auf Nachfrage mit. Es gebe lediglich gelegentlich einen Austausch mit Vertretern von "Gemeinsam in Bremen", einem trägerübergreifenden Projekt für ehrenamtliches Engagement im Flüchtlingsbereich, das von der AWO Bremen koordiniert wird.
Beim ASB schätzt man den Einsatz des Vereins unterdessen mehr. "OKHRU ist ein hilfreicher Kooperationspartner, wenn es um Sachspenden für unsere Notunterkunft in der Messehalle 6 und 7 geht", sagt ASB-Sprecher Julian Thies. "Zudem freuen wir uns, dass der Austausch zwischen dem Verein, den von uns betreuten Menschen und den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern des ASB auf vielen Ebenen positiv zu bewerten ist." Inzwischen seien auch Angebote gemacht worden, die Freiwilligen finanziell oder auf anderem Wege zu unterstützen.
Hilfsstelle musste aus Mangel an Spenden erstmals schließen
Neben finanzieller Unterstützung hofft der Verein in den kommenden Wochen zudem wieder auf mehr Sachspenden, um weiter Hilfsgüter in die Ukraine schicken zu können. "Die Spendenbereitschaft war am Anfang enorm und sehr beeindruckend. Mittlerweile gewöhnen sich leider viele an den Krieg, dabei ist der Hilfebedarf nach wie vor riesig", sagt Kovalenko.
Für den Transport in die Ukraine würden vor allem haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel benötigt. Den Ankommenden in Bremen fehle es derzeit vor allem an Sommerbekleidung und Schuhen. "Diese Woche mussten wir die 'Help Base' das erste Mal für einige Tage schließen, weil wir nicht mehr ausreichend Kleidung haben. Wir hoffen sehr, dass sich das wieder ändert."
- "O.K. Human Rights Ukraine": Webseite und Instagram-Account
- Besuch der "Help Base" von "O.K. Human Rights Ukraine" und Interview verschiedener Vereinsmitglieder
- Gespräch mit der sozialpolitischen Sprecherin der Bremer CDU-Fraktion, Sigrid Grönert
- Anfrage an Sozialbehörde Bremen
- Anfrage an Arbeiter-Samariter-Bund Bremen (ASB)
- Anfrage Arbeiterwohlfahrt Bremen (AWO)