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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Überfüllt und überfordert Tierheim schlägt Alarm: "Uns graust es komplett"
Ausnahmezustand im Tierheim Bremen: Neben "Kampfkatzen" bereiten vor allem Exoten große Sorgen. Dem Tierheim mangelt es besonders an Platz.
Ausgesetzte Tiere, misshandelte Hunde und überforderte Tierhalter sind für Gaby Schwab nichts Neues. Jedes Jahr sei es dasselbe und die Mitarbeiter des Bremer Tierheims müssten die Suppe dann auslöffeln, so die Pressesprecherin.
Zwei Phänomene bereiten den Tierschützern in Bremen besonders große Sorgen: "Kampfkatzen" und exotische Tiere, von denen immer mehr von der Einrichtung aufgenommen werden müssen. Auch die rasant steigenden Energiekosten setzen dem Heim zu – durch einen Kniff jedoch nicht so sehr wie anfangs befürchtet.
"Es ist voll, voll, voll", sagt Schwab t-online, "wir kommen nicht dagegen an". Immer wieder verhänge das Tierheim Aufnahmestopps, anders würde man gegen die Massen nicht ankommen. Fundtiere, akute Notfälle und jetzt auch noch "Kampfkatzen" – das Tierheim quillt über. Und das hat vor allem mit verstörten Tieren zu tun, die immer häufiger im Heim abgegeben werden.
Immer mehr "völlig verstörte Kampfkatzen"
Das Muster, das Schwab dabei erkannt haben will, sei stets dasselbe: Viele Katzen-, aber auch Hundebesitzer hätten sich zu Beginn der Corona-Zeit einen Vierbeiner angeschafft und diesen "von morgens bis abends betüdelt". In der akuten Corona-Phase, in der ein Großteil der Tierbesitzer im Homeoffice arbeitete, seien die Tiere verwöhnt worden. Halter widmeten den Tieren viel Zeit, versorgten sie mit viel Hingabe und Aufmerksamkeit. Doch dann kehrte der Alltag zurück.
Viele Katzen, die "unglücklicherweise dazu auch allein gehalten wurden", hätten in dieser Phase der Vernachlässigung Verhaltensweisen entwickelt, die es für ihre Besitzer offenbar unmöglich machten, sie weiter zu halten. Ein Großteil der Katzen sei unsauber geworden, viele verrichteten ihr Geschäft nicht mehr im Katzenklo, sondern nutzten dafür Ecken der Wohnung.
"Völlig verstört" seien die Tiere, die dann im Tierheim abgegeben werden. Und weil die Vierbeiner auch dort nicht sofort zur Ruhe kämen, lebten sie ihre antrainierten Ticks weiterhin aus. "Die hauen dann zu", sagt Schwab. Die meisten der Tiere hätten kein Sozialverhalten gelernt, sie dann wieder weiterzuvermitteln sei "schwierig bis unmöglich". Und da die "Kampfkatzen", wie Schwab und ihr Team die Tiere aufgrund ihres aggressiven Verhaltens nennen, auch auf Artgenossen losgehen würden, beißen und kratzen, müssten sie im Tierheim häufig allein gehalten werden. "Platzmangel ist dadurch vorprogrammiert."
Rentner mit Riesenhunden
In diesem Ausmaß habe das Tierheim so etwas noch nicht erlebt, sagt Schwab und ergänzt: "Bei Hunden ist die Situation nicht anders." Viele alte Menschen jenseits der 70 oder 80 Jahre hätten sich Tiere besonders großer Hunderassen im Welpenalter angeschafft, anscheinend jedoch nicht bedacht, dass daraus irgendwann mal Tiere mit einem Gewicht von 50 bis 70 Kilo werden können. Rottweiler, Schäferhunde, Kangals und auch Malinois – Rassen, die sich als Hüte- und Einsatzhunde bewährt haben, einen Senior jedoch überfordern, meint Schwab.
Doch zum Problem werden nicht nur Hund und Katze – ganz besonders sorgt sich Schwab um die Entwicklung im Bereich der Exoten. Schlangen, Echsen, Schildkröten und Bartagamen – das Tierheim "quillt über". Waren es in den vergangenen Monaten stets etwa jeweils 50, 60 und auch mal 70 exotische Tiere, habe sich die Zahl der aufgenommenen Lebewesen auf "weit über 100" pro Monat erhöht.
Hinter dieser Entwicklung sieht die Pressesprecherin vorrangig ein Problem: die steigenden Kosten für Energie. Die für Exoten benötigten Terrarien verbrauchen viel Strom. Und leisten könnten sich das mittlerweile immer weniger Menschen. Experimente, die Temperatur der Glaskästen beispielsweise um ein, zwei Grad zu verringern oder das Licht zu dimmen, sollten laut Schwab "tunlichst" vermieden werden.
Schwab: "Exoten leiden stumm"
"Die Tiere leiden dann elendig. Und Exoten leiden stumm." Anders als Hunde oder Katzen könnten sich Schlangen und Co. eben nicht durch Laute bemerkbar machen. Mehrfach wurden in Bremen und Umgebung in den vergangenen Wochen Schlangen ausgesetzt. Ob das mit steigenden Kosten für Strom und Gas zusammenhängt, lasse sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Eines versichert Schwab aber: "Wer meint, er würde einem Reptil die Freiheit schenken, indem er es aussetzt, handelt katastrophal."
Vor dem Hintergrund der weiter steigenden Energiekosten und der neuen Gebührenordnung der Tierärzte blickt Schwab mit einem mulmigen Gefühl in die Zukunft. Zum 22. November trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die es Tierärzten ermöglicht, wesentlich mehr für Behandlungen zu verlangen als bisher. (Mehr dazu lesen Sie hier)
"Uns graust es komplett", sagt Schwab mit Blick auf die kommenden Monate. Die ersten vernachlässigten Tiere kämen nach und nach im Tierheim an. Noch sei diese Zahl zwar händelbar, wesentlich mehr dürften es dennoch nicht werden.
Solaranlage mildert Stromkosten ab
Um eines muss sich das Tierheim laut Schwab zumindest keine allzu großen Sorgen machen: Da vor zwei Jahren eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach angebracht wurde, könnten etwa 90 Prozent der Stromkosten dadurch abgefangen werden. Laut Schwab belaufen sich diese auf etwa 40.000 Euro jährlich. Die Preise seien zwar hoch, aber zu stemmen.
So schaffe es das Tierheim auch, dass der Betrieb über den Winter komme, ohne Bereiche zu verkleinern oder gar ganz zu schließen. Gedankenspiele dazu habe es auch nie gegeben. Im Gegenteil: Das Tierheim habe eher anbauen und erweitern müssen. Denn Zulauf wird es weiter geben, ist sich Schwab sicher.
- Eigene Recherchen
- Telefonat mit Gaby Schwab, Pressesprecherin des Tierheims Bremen
- bremer-tierschutzverein.de: Tierheim in Zahlen
- bundestieraerztekammer.de: Gebührenordnung