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Lindner und Habeck im Heizungsstreit: Schluss mit dem absurden Theater!


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Tagesanbruch
Das ist doch nicht wahr


Aktualisiert am 05.06.2023Lesedauer: 6 Min.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) beim Sparkassentag in Hannover.Vergrößern des Bildes
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) beim Sparkassentag in Hannover. (Quelle: IMAGO/Xander Heinl/photothek.de)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal braucht es einen Blick von außen, von ganz weit weg, damit scheinbar riesige Probleme auf einmal ganz klein werden. Manchmal genügt aber auch die Sparversion. In Deutschland zum Beispiel reicht es im Moment, sich den ganzen Irrsinn von Dänemark aus anzuschauen, nur kurz über die Grenze, wenige Kilometer von Flensburg entfernt. Von Robert Habecks Heimatstadt.

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Womit wir mitten im Thema wären: der aufgekratzten Heizungsdebatte. Über die hat nämlich Maybrit Illner Ende vergangener Woche in ihrer Talkshow im ZDF diskutieren lassen. Dabei waren die üblichen Verdächtigen mit den üblichen Argumenten. Und jemand aus Dänemark, der Journalist Mathias Sonne.

"Wie gucken Sie eigentlich in Dänemark auf diese deutsche Diskussion?", fragte ihn Maybrit Illner nach 40 Minuten Zeter und Mordio der Diskutanten. "Verwundert, würde ich sagen", antwortete der dänische Journalist und lächelte verschmitzt. "Das ist ja noch sehr nett", sagte Illner. "Ja, das ist sehr nett ausgedrückt."

In Dänemark sind sie nämlich schon viel weiter. Dort wurde der Einbau von Öl- und Gasheizungen im Neubau schon 2013 und in Altbauten 2016 verboten. Nicht konfliktfrei natürlich, aber erfolgreich. Den Dänen sei nur schwer zu vermitteln, dass man sich in Deutschland einen so tiefen Regierungsstreit leiste, dass von "Heiz-Hammer" und "Planwirtschaft" die Rede sei, von allem Schlechten und Bösen, in einer fast identitätspolitischen Debatte. "Ich wollte nicht darüber lachen", sagte Mathias Sonne bei Illner, als er irgendwann lachen musste, "denn das ist ja tiefer Ernst".

Aber wahrscheinlich ist Lachen inzwischen angebracht, um nicht weinen zu müssen. Denn es ist ein absurdes Theater, das mittlerweile um die Heizungen aufgeführt wird. Von der Politik und ja, auch von uns Medien.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Heizungsgesetz war anfangs zu streng, mit zu vielen unnötigen Verboten für Neubauten, zu wenig großzügigen Übergangsfristen, mit unnötigen Härten und zu schlecht abgestimmt auf den Ausbau der Fernwärme, der zu wenig Priorität genoss. Zu allem Unglück hatte dann auch niemand einen Plan, wie man den Leuten ein paar der Lasten nehmen will.

Die Union, auf der Suche nach einem knalligen Thema in der Opposition, hat das dann alles sehr grell ausgeleuchtet. Vielleicht mitunter zu grell, aber man kann Oppositionsarbeit so interpretieren, wenn man das will. Die FDP fand das Gesetz genauso schlecht wie die Union und hat sich entschieden, es ebenso grell zu machen. Die Liberalen holten gewissermaßen selbst den "Heiz-Hammer" raus und warfen den anderen eine "Verschrottungsorgie" vor.

Das war von Anfang an ungewöhnlich, weil die FDP eben nicht in der Opposition, sondern Teil der Koalition ist. Sie zerhämmerte auch ihre eigene Regierungsarbeit. Ich würde der FDP oder Teilen von ihr zu Beginn trotzdem ehrenwerte Motive unterstellen. Sie wollten das Gesetz besser machen und sahen sich zur großen Geste genötigt, zumindest stellen es so die klügeren, gemäßigteren Liberalen dar.

Nicht unterschätzen darf man auch, wie sehr die Union die FDP nervös macht. Die Liberalen fürchten sich wohl zu Recht davor, dass sich viele ihrer Wähler bei der nächsten Bundestagswahl mit einer CDU von Friedrich Merz anfreunden könnten. Es kann durchaus ehrenwert sein, nicht aus dem Parlament fliegen zu wollen – und deshalb nicht allein der Union die Heizungswut zu überlassen. Wenn Parteien nicht nach Macht streben, machen sie sich überflüssig.

Nur idealerweise wird das Machtstreben niemals zum Selbstzweck. Und idealerweise findet man als Regierungspartei irgendwann zum Regieren zurück.

Mittlerweile, so muss man es sagen, ist da nichts mehr ehrenwert. Die FDP richtet das Chaos im Heizungskeller inzwischen selbst an, um sich anschließend als Aufräumkommando aufzunötigen. Es ist ein unwürdiges Schauspiel. Und zwar spätestens, seit die Bundesregierung das Heizungsgesetz am 19. April beschlossen hat, alle gemeinsam im Bundeskabinett, mit den Liberalen.

Das Theater begann schon am Tag des Beschlusses. Die FDP verschickte ein Papier, in dem sie sich auf den ersten zwei Seiten selbst für ihre Erfolge in den Verhandlungen lobte. "Im Ergebnis ist es gelungen, im Gebäudeenergiegesetz Technologieoffenheit, Wirtschaftlichkeit und soziale Ausgewogenheit als entscheidende Leitplanken für den Klimaschutz im Gebäudebereich zu verankern", heißt es dort.

Klingt gut? Würde man meinen. Nur folgt eine Seite weiter eine Protokollnotiz des Finanzministeriums zum Entwurf, in der sich die FDP gleich wieder distanziert. Man stimme nur zu "im Bewusstsein", dass der Gesetzentwurf im Bundestag "intensiv beraten" werde und "weitere notwendige Änderungen" vorgenommen würden. Am selben Tag sagten FDP-Politiker zum selben Gesetzentwurf wahlweise, er müsse "zurück in die Montagehalle" oder sei gleich eine "Atombombe für unser Land". Bumm, Hauptsache es knallt.

Der vorläufige Höhepunkt des Heizungstheaters folgte vor zwei Wochen. Die FDP weigerte sich, den Gesetzentwurf im Bundestag zu beraten, obwohl sie doch dort die "notwendigen Änderungen" vornehmen wollte. Sie versuchte wortreich zu erklären, was nicht zu erklären war: Warum sie das Gesetz, das sie im Parlament besser machen wollte, dort jetzt nicht mal mehr anzufassen gedachte. Knallt doch gerade so schön.

Vizekanzler Robert Habeck nannte es "Wortbruch". Nur um sich ein paar Tage später in den Staub unter dem Heizkörper zu werfen. Er sprach von "offensichtlichem" Nachbesserungsbedarf und machte vier Vorschläge: Für Bestandsgebäude später starten, Biomasseheizungen auch in Neubauten erlauben, weitere Ausnahmen für Härtefälle, und eine bessere Abstimmung mit dem Fernwärmeausbau.

Auf einmal kamen versöhnlichere Töne von der FDP. Obwohl das alles Dinge waren, die die Grünen schon seit Wochen als mögliche Kompromisse angeboten hatten, ohne dass die FDP darauf reagiert hätte. Doch nun rief sie Habeck im Staub zu, das sei der richtige Weg. Und der spielte mit, hatte das absurde Theater ja initiiert. Und verschwieg geflissentlich, dass man das natürlich alles schon etwas früher hätte haben können. "Bravo!", würde man im Theater bei einer so gelungenen Aufführung rufen.

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Und wir Medien machten mal wieder bereitwillig mit. Ohne uns, das sollte man zugeben, wäre so ein Schauspiel kaum möglich. Schlechter Journalismus führt immer wieder dazu, dass sich die Diskussionen sinnlos im Kreis drehen und die wirklichen Probleme aussparen können.

Ohne den Einfluss des Boulevards und des "Heiz-Hammers" auf die Parteien zu bedenken, ist die ganze Debatte ohnehin nicht zu verstehen. Aber es ist eben nicht nur die "Bild". Auch viele andere Medien versäumen es, Entwicklungen richtig einzuordnen.

Zum Beispiel, wenn sie von Habecks überraschenden Zugeständnissen schreiben und sie nicht als das beschreiben, was sie sind: politische Performance-Kunst. Oder wenn sie am Wochenende eine angeblich neue Forderung der FDP herbeifantasieren, nur weil der Fraktionschef zum 101. Mal die Erlaubnis für Biomasse verlangt (die für den Neubau längst zugesagt ist und für den Bestand nie verboten war).

Wir alle haben eine klügere Debatte verdient. Die zu einem klügeren Gesetz führen sollte. Nur muss sich die FDP dazu in dieser Woche vom Theater verabschieden – und den Gesetzentwurf endlich in den Bundestag lassen, wo er diskutiert, verändert und beschlossen werden kann. Es ist jetzt mal genug.


Was steht an?

Annalena Baerbock (Grüne) und Hubertus Heil (SPD) besuchen gemeinsam Brasilien. Die Außenministerin wird wohl vor allem versuchen, Präsident Lula da Silva endlich dazu zu bewegen, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen. Der Arbeitsminister will um Fachkräfte werben, vor allem für die Pflege.

In Bonn beginnt heute die UN-Klimakonferenz. Sie soll die große Weltklimakonferenz in Dubai Anfang Dezember vorbereiten.

Boris Pistorius (SPD) reist weiter nach Indonesien. Dort will der Verteidigungsminister über die deutsche Rolle im Indopazifik sprechen. Bis zum gestrigen Sonntag war Pistorius zu Gast bei der asiatisch-pazifischen Sicherheitskonferenz in Singapur.

Die Innen- und Justizminister von sechs europäischen Staaten treffen sich im belgischen Antwerpen. Es geht um die gemeinsame Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Für die Bundesregierung ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dabei.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) besucht die Deutsche Marine. In Rostock lässt er sich zeigen, was sie so kann.


Lesetipps

Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hat im Interview mit meinen Kollegen Daniel Mützel und Miriam Hollstein vorgeschlagen, die Musterung wieder einzuführen. Seitdem wird eifrig darüber diskutiert. Was sie damit beabsichtigt und was sie sonst noch vorschlägt, können Sie hier nachlesen.

Was macht eine Traditionsbrennerei, wenn der Obstler nach dem Essen aus der Mode kommt? Meine Kollegin Frederike Holewik hat das Unternehmen Ziegler besucht und mit dem Geschäftsführer darüber gesprochen, mit welchen Getränken er die Firma zukunftsfähig machen will.

Russland plündert seine Naturschätze. Nicht aus Ahnungslosigkeit, sondern mit Kalkül. Denn so rollt der Rubel in die Kassen des Kremls, schreibt unser Kolumnist Wladimir Kaminer.


Das historische Bild

Ausbeutung war in amerikanischen Fabriken des frühen 20. Jahrhunderts alles andere als ungewöhnlich. 1911 kam es zur Katastrophe. Hier lesen Sie mehr.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen theaterfreien Start in die Woche.

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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