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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wilderer unter Verdacht "Wir dürfen das Thema nicht verniedlichen"
Die Verdächtigen im Fall der getöteten Polizisten wollten offenbar Jagdwilderei vertuschen. In dieser Dimension sei das ein Einzelfall, sagt ein Experte – und dennoch spricht er eine Warnung aus.
Wilderei in Deutschland? Bei den ersten Meldungen über die Hintergründe des tödlichen Angriffs auf zwei Polizisten in Rheinland-Pfalz reagierten viele Menschen zunächst irritiert. Doch auch wenn der Begriff Wilderei zunächst den Gedanken an ferne Länder weckt – auch in Deutschland sei das unberechtigte Jagen aktuell ein Problem, sagt Torsten Reinwald, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbandes, zu t-online.
Dafür sprechen ebenfalls die Zahlen des Statistischen Bundesamts: Rund 1.100 Fälle sind im Jahr 2020 polizeilich erfasst worden. "Das ist wenig. Wir vermuten aber, dass es nur die Spitze des Eisberges ist", so Reinwald.
Verlässliche Zahlen, wie viele Wilderer tatsächlich unterwegs seien, gebe es noch nicht. "Ich denke aber, dass es auf jeden Fall eine Dunkelziffer gibt", so Reinwald. Er warnt: "Wir dürfen das Thema nicht verniedlichen, es geht sehr oft um den Einsatz von Schusswaffen."
Bericht: Tonnenweise Wildfleisch gefunden
Die Verdächtigen im Fall der zwei getöteten Polizisten in Rheinland-Pfalz wollten in der Tatnacht offenbar Jagdwilderei vertuschen. Der Kofferraum soll voller Wild gewesen sein, zudem gebe es Hinweise, dass beide gewerblich und professionell gewildert hätten, so die Polizei und Staatsanwaltschaft.
Wie der "Spiegel" berichtet, fanden die Ermittler in Lagerräumen eines Verdächtigen tonnenweise verkaufsfertiges, tiefgefrorenes Wildfleisch. Er soll mit dem Verkauf zwischen September und Januar rund 40.000 Euro eingenommen haben. Das gehe aus Dokumenten hervor, die Ermittler ebenfalls im Lagerraum entdeckten. Lesen Sie hier mehr dazu.
Weil die Verdächtigen offenbar zu zweit unterwegs waren und ein Geschäft für Wild betrieben haben, spreche das für "einen besonders schweren Fall von Jagdwilderei", sagt Benjamin Grunst, Fachanwalt für Strafrecht, zu t-online. "Das kann mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren belegt werden." Sollte sich jedoch bewahrheiten, dass die beiden Männer die Polizisten getötet haben, um die Wilderei zu vertuschen, hat das weitaus mehr Konsequenzen.
Eine "völlig neue Dimension in Deutschland"
Die gewerbsmäßige Wilderei in diesem Ausmaß nennt Reinwald vom Deutschen Jagdverband einen Einzelfall. In den vergangenen drei Jahrzehnten habe er "so einen grausigen, kaltblütigen und gewalttätigen Angriff noch nicht erlebt". In Afrika gehe es häufig um Leben und Tod, wenn Gesetzeshüter und Wilderer aufeinandertreffen, doch in Deutschland erreiche die Tat eine "völlig neue Dimension".
Über andere Fälle von Wilderei werde der Experte hingegen häufiger informiert. Dabei gibt es ein großes Spektrum: Packt beispielsweise ein Autofahrer ein Tier nach einem Unfall in seinen Kofferraum, falle das schon unter den Begriff.
Auch Mutproben unter Jugendlichen, die mit Pfeil und Bogen auf ein Reh schießen, zählen dazu. "Wir kriegen immer wieder Meldungen, dass irgendwo ein verendetes Reh gefunden wurde, das sich wahrscheinlich sehr lange wegen eines Pfeils gequält hat", sagt Reinwald. Klassische Fälle seien auch Revierstreitigkeiten zwischen Jägern, denen eine Anzeige wegen Wilderei folge.
"Die Jagd läuft nicht in der Anonymität ab"
Hinweise auf Wilderei würden außerdem deutlich häufiger gemeldet, so Reinwald. In Deutschland gibt es ein Reviersystem, das heißt: Jäger dürfen nur in einem eng umgrenzten Gebiet jagen. Wenn sie oder die Menschen, die dort leben, verdächtige Personen oder Fahrzeuge entdecken, die auf Wilderei hindeuten, informieren sie die Polizei.
In einem dicht besiedelten Land wie Deutschland ist es selbst im Wald schwierig, im Verborgenen zu jagen. Und: Der Draht zwischen Jäger und Polizisten sei sehr gut – schon allein wegen der häufigen Wildunfälle, so Reinwald. "Die Jagd läuft nicht in der Anonymität ab."
Der Experte sieht Wilderei auch als großes Problem für den Tierschutz. Wilderer kümmerten sich nicht um Schonzeiten, die der Jäger einhalten muss. Ihnen sei auch egal, ob ein Reh beispielsweise ein Kitz zu versorgen hat. Und: Die illegalen Waffen, die auch teilweise selbstgebastelt werden, verursachen oft Leid bei den Tieren. "Es geht nicht nur darum, dass illegal Tiere getötet werden, sondern auch darum, wie sie getötet werden", so Reinwald.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Torsten Reinwald am 2. Februar 2022
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Spiegel: "Ermittler finden bei Andreas S. tonnenweise Fleisch aus mutmaßlicher Wilderei"