Kriminalität Blutbad in Zeitungsredaktion schockt die USA
Annapolis (dpa) - Es ist eine Titelseite, die unendlich viel Kraft gekostet haben muss: Die Mitarbeiter der "Capital Gazette" trauern um fünf ihrer Kollegen.
Ein bewaffneter Mann war am Donnerstag in die Redaktion der kleinen Lokalzeitung in Annapolis/Maryland eingedrungen und hatte das Feuer eröffnet - offenbar hegte er seit langem einen tiefen Groll gegen die Zeitung.
Die überlebenden Journalisten stellten nur wenige Stunden später eine Zeitung auf die Beine. Vom Titel prangten die Gesichter der Toten. "Wir sind untröstlich, am Boden zerstört. Unsere Kollegen und Freunde sind weg", schrieb der Herausgeber der Zeitung, Rick Hutzell. Die Meinungsseite blieb bis auf wenige Worte leer.
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich Berichten zufolge um einen 38-Jährigen aus der Region. Der Polizeichef Timothy Altomare bestätigte, dass die Behörden ihnen mittels einer Technologie zur Gesichtserkennung identifizierten. Der Polizist weigerte sich, den Namen des Verdächtigen zu nennen, um ihm nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu geben.
Den Ermittlern zufolge stürmte der Mann am Donnerstagnachmittag mit einer Pumpgun in die Redaktion und schoss auf Mitarbeiter. "Der Kerl war da, um so viele Menschen wie möglich zu töten", sagte Polizeichef Altomare.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft verbarrikadierte der Verdächtige einen Ausgang der Redaktion, damit die Mitarbeiter nicht entkommen konnten. Die Redaktion habe zwei Türen gehabt, sagte Staatsanwalt Wes Adams. Der Mann sei zur vorderen Tür hineingekommen, die hintere habe er verbarrikadiert. Eines der Opfer habe versucht, durch diese Tür zu entkommen, und sei dann getroffen worden.
Reporter des Blattes berichteten, wie sie sich unter ihren Schreibtischen verschanzten. "Ich habe nur gehofft, dass mein Telefon nicht klingelt", sagte der Journalist Phil Davis dem Sender CNN. Eine andere Reporterin musste den Tod eines Kollegen aus nächster Nähe mit ansehen. "Ich sah nicht den Täter, aber ich sah, wie er (der Kollege) getroffen wurde", sagte sie. Ein Fotograf erklärte, er sei um sein Leben gerannt und habe dabei über die Leiche eines Kollegen hinwegspringen müssen. Ein Journalist sprach von einem "Kriegsgebiet".
Unter den Opfern sind zwei Frauen - eine Verkaufsassistentin, die erst seit kurzem bei dem Blatt arbeitete, sowie eine Lokalreporterin und Kolumnistin. Getötet wurden auch ein langjähriger Sportjournalist, ein Leitartikel-Autor und der stellvertretende Chefredakteur. Zwei Menschen erlitten Verletzungen.
Der Schütze wurde festgenommen. Der 38-Jährige soll mit dem Blatt seit Jahren einen erbitterten Rechtsstreit ausgefochten haben. Der stellvertretende Polizeichef Bill Krampf sprach von einem gezielten Angriff. Vor den tödlichen Schüssen habe es über soziale Medien Drohungen gegen die Redaktion gegeben, sagte er. Details zu Inhalt und Urheber nannte er zunächst nicht.
Laut "Capital Gazette" hatte die Zeitung 2011 über Belästigungsvorwürfe gegen den Mann geschrieben. Er soll einer ehemaligen Mitschülerin auf Facebook gedroht und ihr das Leben zur Hölle gemacht haben. Wegen der Berichterstattung über den Fall sei der Mann vor Gericht gezogen und habe verloren, schrieb die Zeitung. Weder der Kolumnist, der damals berichtete, noch der damalige Herausgeber und Verleger arbeiteten heute noch für die Zeitung, zum Zeitpunkt des Angriffes seien sie auch nicht in der Redaktion gewesen.
Das Entsetzen über die Tat ist groß. Präsident Donald Trump drückte den Opfern und ihren Angehörigen via Twitter sein Mitgefühl aus. Am Freitag verurteilte er die Attacke noch einmal scharf und nahm den Berufsstand der Journalisten in Schutz: "Journalisten, wie alle Amerikaner, sollten bei ihrer Arbeit frei sein können von der Angst gewalttätiger Angriffe", sagte der Präsident. Er kündigte an, seine Regierung werde nicht ruhen, ehe alles getan sei, um die Fälle von Gewaltverbrechen zu reduzieren.
Der Angriff auf die kleine Redaktion fällt mitten hinein in eine Zeit, in der das gesellschaftliche Klima in den USA in vielen Bereichen vergiftet erscheint. In sozialen Netzwerken ergießt sich immer wieder Hass gegen Medien. Manche Journalisten berichten von Todesdrohungen.
Trump teilt selbst immer wieder gegen ihm unliebsame Medien aus, er hat sie als "Feinde des amerikanischen Volkes" bezeichnet. Nach der Tat wurde diese Äußerung auf Twitter etliche Male aufgegriffen. Spekulationen über das mögliche Motiv des Täters schossen ins Kraut. Der Sender CNN fragte am Freitag, ob die medienfeindliche Rhetorik zu weit gegangen sei.
Aber nichts deutet bislang darauf hin, dass die Tat mit Trumps Attacken oder der medienfeindlichen Stimmung in Teilen der Gesellschaft in Zusammenhang stehen könnte. Vielmehr deutet alles auf ein persönliches Motiv des Täters hin.
Der Mann wurde am Freitagmorgen des fünffachen Mordes angeklagt. Die "Capital Gazette" berichtete weiter. Reporter Phil Davis schrieb dazu: "Ich kann nicht schlafen, also werde ich das Einzige tun, was ich kann - und berichten."