Heftige Debatte Umweltverbände wollen gegen mögliche AKW-Verlängerung klagen
In der Debatte um die deutschen AKW fordern Umweltverbände, die Meiler wie geplant abzuschalten. Notfalls werde man das juristisch durchsetzen.
Im Falle einer Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke wollen Umweltverbände alle Rechtsmittel ausschöpfen, um diese zu verhindern. Dies kündigte der Chef des Bund Naturschutz Bayern, Richard Mergner, in München an.
Gemeinsam mit allen anderen Umweltverbänden wie Greenpeace appelliere der BUND an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie an die Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen, den Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft zu verhindern und die deutschen Reaktoren wie geplant am 31. Dezember abzuschalten.
Zweifel an Effizienz der Kraftwerke
Nach Ansicht von Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital würde der Weiterbetrieb der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke im kommenden Jahr ohnehin nur noch deutlich weniger Strom ergeben als bislang. 2023 läge der Anteil an der bundesweiten Stromerzeugung nur noch bei rund ein Prozent, sagte Atomphysiker Smital. 2021 betrug der Stromanteil der deutschen Meiler noch rund sechs Prozent.
Smital erklärte den deutlichen Leistungsunterschied mit der Tatsache, dass die Reaktoren im kommenden Jahr nur mit "leergefahrenen" Brennelementen betrieben werden könnten, diese seien vergleichbar mit ausgepressten Zitronen oder einem leeren Autotank. Niemand käme auf die Idee, dass mit einem leeren Tank weiter gefahren werden könne.
Greenpeace-Experte: Auch Atomkraftwerke nutzen Russland
Wegen der Energiekrise, die sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zugespitzt hat, gibt es seit Monaten eine heftige Debatte über die Atomkraftwerke – angestoßen von der Union und FDP. Die Ampel-Regierung hat deshalb einen weiteren Stresstest zur Sicherheit der Stromversorgung angesetzt. "Der laufende Stresstest der Regierung wird zeigen, ob wir die drei Atommeiler noch etwas länger brauchen und deshalb in den Streckbetrieb gehen müssen", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil der Mediengruppe Bayern (Donnerstag).
Smital bezeichnete die Diskussion um eine Laufzeitverlängerung im Kontext der Versorgungssicherheit als eine "unverantwortliche Scheindebatte". Die Diskussion habe nur zum Ziel, den gesetzlich festgelegten Atomausstieg wieder umzukehren.
In der Atomdebatte werde zudem falsch dargestellt, dass Deutschland durch längere Laufzeiten unabhängiger von Russland werde, kritisierte Smital: "Wer glaubt, der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken trage zur Unabhängigkeit von Russland bei, irrt gewaltig. Fast die Hälfte des in der EU eingesetzten Kernbrennstoffs stammt aus Russland und dem eng mit Russland verbündeten Kasachstan." Daher gebe es bisher auch keinerlei EU-Sanktionen in dem Bereich gegen Russland.
Auch Alter der AKW bereitet Sorgen
Um auf die "ernstzunehmende Energielage" angemessen zu reagieren, sei vielmehr eine Debatte um Energiesparungen notwendig, sagte Smital. Mit der Atomkraft könne nur rund 0,7 Prozent des zur Stromproduktion verwendeten Gases eingespart werden. Wenn alle Haushalte ihre Heizungen nur um 0,5 Grad senken würden, hätte man bereits einen größeren Effekt als durch längere Laufzeiten.
Für Diplom-Physikerin Oda Becker sind die mehr als 30 Jahre alten Atomkraftwerke unkalkulierbare Sicherheitsrisiken. Wichtige Sicherheitsüberprüfungen seien überfällig, Natur- und Klimagefahren würden unterschätzt, es gebe keinen Schutz vor Terrorangriffen oder Flugzeugabstürzen, international anerkannte Sicherheitsregeln würden nur schleppend umgesetzt und noch immer viele Fehler in den Reaktoren nur durch Zufälle entdeckt.
Hinzu komme, so Becker weiter, dass die Meiler aufgrund ihres Alters anfälliger würden. Eine Untersuchung ihrerseits habe ergeben, dass es in den drei verbliebenen Meilern Isar 2, Emsland und Neckar-Westheim seit 2016 alleine 40 meldepflichtige, teils sicherheitsrelevante Ereignisse gegeben habe, die auf die Alterung zurückzuführen seien.
- Nachrichtenagentur dpa