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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schulz vor den Europa-Wahlen "Das müssen wir Europäer endlich begreifen"
In einer Woche findet die Europawahl statt. Martin Schulz, ehemaliger EU-Parlamentspräsident, spricht im Interview über zwei zentrale Themen im Wahlkampf: die Asylpolitik und den Ukraine-Krieg.
Europa steht unter Druck: von außen durch Russlands Angriffskrieg und eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident im November. Von innen durch die Flüchtlingsfrage. Martin Schulz (SPD), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, fordert mehr Einigkeit. Auf der Veranstaltung EuroJam sprach er mit t-online darüber, wie Europa seine Probleme angehen sollte.
- Wahl-O-Mat zur Europawahl 2024: Welche Partei passt zu Ihnen?
t-online: Herr Schulz, eines der wichtigsten Themen der Europa-Wahl ist die Asylpolitik: Die EU will dem Libanon eine Milliarde Euro geben, damit er Flüchtlingen hilft und verhindert, dass sie zu uns kommen. Passt das zu den europäischen Idealen?
Martin Schulz: Der Libanon ist eines der Hauptziele von Flüchtlingen aus der ganzen Region und leistet seit vielen Jahren eine unglaubliche Arbeit bei der Unterbringung und Versorgung von sehr vielen Menschen. Dass Europa hier unterstützt, finde ich mehr als richtig.
Zur Person
Martin Schulz, 68 Jahre alt, ist Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor gehörte er knapp 20 Jahre lang der Parteispitze der Bundes-SPD an. Ab 2012 war er der Präsident des Europäischen Parlaments, bis er 2017 für die SPD als Bundeskanzler kandidierte und mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis der SPD seit 1945 einfuhr. Er ist gelernter Buchhändler und war ehrenamtlicher Bürgermeister von Würselen in Nordrhein-Westfalen.
Aber baut die EU damit nicht die Festung Europa aus, wie es ihr viele vorwerfen?
Nein, denn wir nehmen ja nach wie vor viele Flüchtlinge auf. Wir haben nach wie vor ein umfassendes Asylrecht und helfen zugleich einem Land, das im Gegensatz zu uns kaum in der Lage ist, die Migration allein zu bewältigen.
Im Libanon ist die Terrororganisation Hisbollah einer der wichtigsten Akteure und kämpft zudem gegen Israel. Was ist, wenn das europäische Geld in falsche Hände gerät?
Die Hisbollah muss keine Flüchtlingshilfe stehlen, die hat ohnehin genug Geld. Wir müssen jedoch den Libanon unabhängig von der Flüchtlingsfrage dringend stabilisieren. Im schlimmsten Fall könnte er auseinanderfallen und in einem Bürgerkrieg versinken, wie schon einmal von 1975 bis 1990.
Ein zweites großes Thema ist der Ukraine-Krieg. Halten Sie es angesichts des Krieges für vorstellbar, dass Europa je wieder eine normale Beziehung zu Russland haben wird?
Das ist eine der schwierigsten Fragen, die man überhaupt stellen kann. Die Antwort ergibt sich allerdings erst nach dem Ende des Putin-Regimes.
Das ist nicht in Sicht. Militärisch ist Russland aktuell überlegen und Putin hat zudem noch immer viel Rückhalt in der Bevölkerung.
Das stimmt. Aber Diktatoren halten sich nur so lange, wie sie das liefern, was sie versprochen haben. Putin militärisch zurückzudrängen, und ihn politisch und wirtschaftlich zu isolieren, ist das, was wir tun müssen.
Machen die Europäer dafür genug?
Insgesamt ja, wobei ich mir von manchen Staaten ein ähnlich starkes Engagement wie das der Bundesrepublik wünschen würde. Die republikanische Blockade im US-Kongress war ein schwerer Schlag für die Ukraine. Aber ich bleibe optimistisch, denn trotz russischer Geländegewinne bin ich überzeugt, dass sie aufgehalten und zurückgedrängt werden können.
Was macht die EU, wenn im November Donald Trump als US-Präsident wiedergewählt wird und die Ukraine nicht mehr länger unterstützen will?
Dann müssen wir die Ukraine umso mehr unterstützen. Wenn ein amerikanischer Präsident aus der westlichen Staatengemeinschaft ausscheiden würde, würde das erneut eines zeigen: Die Strategie eines US-Präsidenten ist nicht immer unbedingt im Interesse Europas. Das müssen wir Europäer endlich begreifen und danach handeln.
Und das heißt?
Wir müssen schneller unsere eigene Verteidigungsfähigkeit stärken, um die eventuell gefährdeten Staaten Europas besser zu schützen. Zudem müssen wir zügig überlegen, wie wir die Staaten im westlichen Balkan enger an uns binden können.
Seit 2009 sind Sie Ehrendoktor an der Technischen Universität Kaliningrad. Wäre es angesichts des Krieges nicht an der Zeit, ein klares Signal zu setzen und diesen Titel abzulegen?
Mir wurde dieser Titel verliehen, weil ich mich für die Partnerschaft des Europainstituts der TH Aachen mit dem der Universität Kaliningrad jahrelang eingesetzt habe. Dort konnten Studentinnen und Studenten aus Russland und Deutschland gemeinsam Europastudien auf der Grundlage der europäischen Werte betreiben. Das Institut war eine der letzten pro-europäischen Bastionen, die es damals noch gab. Falls ich jemals wieder die Chance habe, mich für ein solches Institut einzusetzen, werde ich das sofort tun.
Also wollen Sie den Titel behalten?
In jedem Fall, dann hat die Universität wenigstens einen Ehrendoktor, der den Krieg gegen die Ukraine als das bezeichnet, was er ist: ein verbrecherischer Angriff auf einen souveränen Staat.
- Interview mit Martin Schulz beim Eurojam