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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorfall auf Fähre "Mit einem Hubschrauber wäre das nicht passiert"
Nach dem versuchten Sturm auf eine Fähre mit Wirtschaftsminister Habeck an Bord stellt sich die Frage nach der Sicherheit von Politikern. Müssen sie besser geschützt werden?
Wütende Bauern und Protestierende aus dem mutmaßlich rechtsextremen Spektrum hinderten Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstagabend daran, eine Fähre zu verlassen. In Schlüttsiel, einem kleinen Dorf an der Nordsee, blockierten sie den Anleger, über den Habeck nach seinem Urlaub auf der Hallig Hooge wieder an Land gehen sollte.
Mehrere wütende Protestierende versuchten, die Fähre mit dem Minister an Bord zu erstürmen – und konnten von der Polizei nur unter dem Einsatz von Pfefferspray daran gehindert werden. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Wut der Bürgerinnen und Bürger auf dem Privatleben von Politikern entlädt. Marc Dehler kennt sich damit aus, denn der Personenschützer und Chef einer Sicherheitsfirma ist auch für den Schutz von Politikern zuständig. Im Gespräch mit t-online erklärt Dehler, wie der Vorfall um Robert Habeck hätte verhindert werden können und ob Politiker in Zukunft besser geschützt werden müssen.
t-online: Herr Dehler, am Donnerstag verhinderten zahlreiche Menschen, dass Wirtschaftsminister Habeck von einer Fähre an Land gehen konnte. Was ist da hinsichtlich des Sicherheitskonzepts schiefgelaufen?
Marc Dehler: Grundsätzlich hätte das Bundeskriminalamt, das für die Sicherheit von Robert Habeck und anderer Politiker verantwortlich ist, eine ausführlichere Analyse der Gefahrensituation machen müssen. Man hätte früh feststellen können, dass sich ein potenziell gewalttätiger Mob versammelt und auf die Anlegestelle der Fähre zubewegt. Man hätte einfach präventiv Maßnahmen ergreifen können. Diese Situation vom Donnerstagabend hätte gar nicht entstehen müssen.
Wie hätte man das verhindern können?
Man hätte besser darauf achten können, dass gar nicht so viel über Herrn Habecks Urlaub nach außen dringt – insbesondere nicht, dass er eine öffentliche Fähre nimmt. Das hätten die Verantwortlichen im Rahmen der Risikobewertung verschleiern müssen. Falls Herr Habeck unbedingt auf dieser Insel Urlaub machen will, muss man eigentlich eine Wegstrecke mit geringerem Störpotenzial wählen.
Welche Möglichkeiten fallen Ihnen da ein?
Eine Möglichkeit wäre gewesen, den Minister zu einer anderen Uhrzeit an Land zu bringen und zu verschleiern, welche Fähre er nimmt. Alternativ hätte man auch ein anderes Transportmittel wählen können. Mit einem Hubschrauber wäre das nicht passiert.
Haben die Mitarbeiter von Habecks Sicherheitsteam und die Polizei am Donnerstagabend gut auf die Situation reagiert?
Die Situation war natürlich für alle Beteiligten schwierig. Für Personenschützer ist es eigentlich ganz normal, zahlenmäßig unterlegen zu sein. Und dann müssen sie halt schauen, wie sie die zu schützende Person in Sicherheit bringen können. Die Fähre umdrehen zu lassen und die Situation auf diesem Wege zu deeskalieren, war die richtige Entscheidung.
Die aktuellen Bauernproteste sind in ihrer Symbolik schärfer als viele Großproteste in den vergangenen Jahren. Unter anderem präsentierten die Landwirte eine Ampel am Galgen. Wie hat sich die Sicherheitslage für Politiker in den vergangenen Jahren verändert?
In den letzten Jahren wurde im Vergleich zu anderen Ländern noch relativ wenig demonstriert. Schauen Sie nach Frankreich: Als Macron dort die Rentenreform durchgedrückt hat, sind die Menschen in Scharen auf die Straßen gestürmt. Das hat hier bei gesellschaftlichen Veränderungen in den vergangenen Jahren weitestgehend gefehlt. Aber langsam merken die Menschen aufgrund der steigenden Inflation und den ganzen Krisen, dass sie sich auch nicht mehr alles leisten können. Sie haben mehr Motivation, ihre Wut auf die Straße zu tragen. Das könnte insbesondere im kommenden Jahr, wenn die Bundestagswahl stattfindet, dafür sorgen, dass wir bestehende Sicherheitskonzepte überdenken und bei Bedarf verschärfen müssen.
Wie sollte diese Anpassung Ihrer Meinung nach aussehen?
In der jetzigen Situation wäre es vermutlich sinnvoll, die Bundespolizei und das BKA zu verstärken und hinsichtlich der Schutzmaßnahmen für in der Öffentlichkeit stehende Personen zu schulen. So könnte man dafür sorgen, dass Kriminelle ihre Pläne nicht in die Tat umsetzen können.
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?
Wenn sich die Stimmung noch mehr aufheizt, muss man natürlich überlegen, wie man Politiker effektiver schützt. Eine Möglichkeit wären "Gated Communitys", also abgeschlossene Wohnviertel. Denn wir sehen immer wieder – auch zum Beispiel an der Demonstration, die plötzlich vor dem Haus von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer stand – dass es schwierig ist, gewöhnliche Wohnhäuser in ganz gewöhnlichen Vierteln zu schützen. Das können die Sicherheitsbeamten im Einsatz quasi gar nicht leisten.
Marc Dehler
Marc Dehler ist Gründer und Eigentümer der Sicherheitsfirma Dehler Security aus dem Siegerland. Das Unternehmen bietet Objekt-, Event- und Personenschutz in ganz Deutschland an.
Glauben Sie denn, dass wir in Zukunft häufiger Angriffe auf Politiker sehen werden?
Ich sage es mal so: Man sollte immer auf das Beste hoffen, aber mit dem Schlimmsten rechnen. Aus meiner Sicht kann es schon sein, dass sich die Angriffe auf Politiker häufen. Denn die soziale Lage in Deutschland verschärft sich ja derzeit eher, als dass sie sich entspannt.
In der kommenden Woche erwartet uns eine Aktionswoche mit großen Bauernprotesten in vielen Bundesländern. Wie schätzen Sie das Gefahrenpotenzial dabei ein?
Die Gefahr, dass Politiker angegriffen werden, ist da. Ein Grund dafür ist, dass bestimmte Grenzen, wie jetzt im Fall Habeck, schon überschritten wurden. Somit brauchen gefährdete Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, in der nächsten Woche besonders viel Schutz.
Wie kann man Übergriffe bei diesen dezentralen Aktionsformen verhindern?
Die Polizeieinheiten der Länder müssen auf mögliche Ausnahmesituationen vorbereitet werden, weil ja in vielen verschiedenen Städten demonstriert wird. Sie müssen auf den Ernstfall vorbereitet sein. Wir hoffen natürlich im Sinne aller Sicherheitskräfte und Politiker, dass die Proteste friedlich ablaufen. Aber die Polizei muss gut auf diese Proteste vorbereitet sein und darf im Ernstfall nicht zögern, bei gewalttätigen Ausschreitungen einzugreifen. Eine höhere Zahl von Einsatzkräften einzusetzen, wäre sinnvoll.
Herr Dehler, vielen Dank für das Gespräch.
- Video-Interview mit Marc Dehler