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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Atomkraft Habecks Widersprüche
Zwei Meiler sollen vielleicht noch ein bisschen weiterlaufen. So stellt sich Robert Habeck die Zukunft der deutschen Atomkraft vor. Das hat allerdings ein paar Haken.
Der Mann des Abends kommt spät und geht früh. Robert Habeck hat gerade nicht viel Zeit für seine Grünen. Und doch landen beim Empfang der Bundestagsfraktion am Dienstag viele Gespräche irgendwann bei ihm. Meist sind sie freundlich.
Der Wirtschaftsminister hatte am Vortag erklärt, was denn nun eigentlich passieren soll mit den letzten deutschen Atomkraftwerken. Er präsentierte dabei eine Lösung, die nicht einfach "Abschalten" heißt – und die trotzdem die anti-Atom-bewegten Grünen weitgehend befriedet hat. Zwei Atomkraftwerke sollen bis Ende April zur Verfügung stehen – wenn sie gebraucht werden.
Doch Robert Habeck lässt sich nicht lange feiern, er muss weiter, zu "Maischberger" ins Fernsehen. Denn er muss erklären, was seine Lösung denn eigentlich genau bedeutet. Ganz leicht zu verstehen ist sie nämlich nicht.
Habeck wird mit ihr gewissermaßen zum Mister Vielleicht-noch-ein-bisschen-Atomkraft. Es ist eine Transformation, die nicht ohne Widersprüche auskommt.
1. Der Widerspruch mit dem Stresstest
Wer vor dem Montag mit manch hochrangigen Grünen über den Stresstest gesprochen hat, der konnte den Eindruck gewinnen, es handle sich um ein fast magisches Dokument. Die Expertise an sich, so erzählten sie es, werde darüber entscheiden, ob die letzten drei Meiler noch etwas weiterlaufen müssen oder nicht. Eine rein fachliche Entscheidung sei das und eben keine politische. Ideologie? Nein, danke.
Dabei sollte spätestens seit der Corona-Krise klar sein, dass nicht die Wissenschaft entscheidet, wie es weitergeht – sondern eben die Politik. Idealerweise auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Habeck selbst sprach am Montag von einer politischen Entscheidung und seinen Schlussfolgerungen aus dem Test. Was eben auch bedeutet, dass sie natürlich nicht alternativlos sind.
Immerhin empfehlen die Übertragungsnetzbetreiber in der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse explizit: "Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Stromerzeugungs- und Transportkapazitäten wird dringend empfohlen!" Und Unterpunkt 5c lautet anschließend: "Verfügbarkeit der KKW (Atomkraftwerke) ist ein weiterer Baustein zur Beherrschung kritischer Situationen." Man hätte also auf Basis des Stresstests auch zu einem anderen Ergebnis kommen können.
2. Der Widerspruch mit der Einsatzreserve
Zwei der drei letzten Atomkraftwerke sollen nun eine "Einsatzreserve" bilden. Das ist Habecks Plan. In Medienberichten war zuvor sogar von einer "Notreserve" geschrieben worden, ohne genau zu erklären, was das eigentlich sein soll. Denn anders als etwa Gaskraftwerke eignen sich Atommeiler nicht im klassischen Sinne als Reserve, die man schnell mal anschmeißen kann, wenn es eng wird.
Das hatten die Grünen vorher selbst immer betont, als es darum ging, ob AKW die Stromerzeugung mit Gas ersetzen können. Können sie eben nicht. "Einsatzreserve" bedeutet deshalb in diesem Fall: Man entscheidet später, ob die zwei Atomkraftwerke in den Streckbetrieb gehen, also bis April mit den vorhandenen Brennstäben weiterlaufen. Einer der Betreiber hat nun Bedenken angemeldet, ob das so funktionieren kann.
Doch auch wenn es funktioniert: Die Entscheidung ist damit einfach nur vertagt. Um im Winter im Idealfall genauer zu wissen, ob die Meiler gebraucht werden oder nicht. Wirklich in den Stand-by-Modus müssten sie nur, wenn diese Entscheidung erst im neuen Jahr fallen würde und sie Ende des Jahres dann wie ursprünglich vorgesehen vom Netz müssten. Wer diese nicht ganz unwesentliche Entscheidung wann fällt, ist aber auch noch nicht klar.
3. Der Widerspruch mit der Sicherheit
"Atomkraftwerke sind kein Spielzeug", hatte Robert Habeck am Montag gesagt, als er den Stresstest vorstellte. Das sei eine "Hochrisikotechnologie". Die Sicherheitsbedenken waren für die Grünen auch vor der Entscheidung immer ein wichtiges Argument gegen jede Form des Weiterbetriebs der AKW.
Vor allem auch, so das grüne Argument, weil für die periodische Sicherheitsprüfung die Zeit nicht mehr ausreiche. Diese tiefe Überprüfung alle zehn Jahre hatte man für die drei Meiler zuletzt ausgesetzt. Mit dem Argument, dass sie ja ohnehin bald vom Netz gehen.
Das alles ist noch immer so. Doch jetzt nimmt man das einfach so hin. Die Überprüfung würde dann nicht durchgeführt werden können, sagte Habeck dazu selbst am Montag. Deshalb könne der Weiterbetrieb eben auch nur eine kurzzeitige Ausnahme sein. Bei der Haftung bei einem GAU ändert sich Habeck zufolge durch die jetzigen Pläne übrigens gar nichts. Dabei hatten Grüne vorher immer davor gewarnt, die Betreiber wollten die gesamte Haftung an den Staat abgeben.
4. Der Widerspruch mit dem Atomstrom
Die Grünen argumentieren, die möglichen Probleme bei der Stromversorgung im Süden Deutschlands lägen einerseits am schleppenden Ausbau der Erneuerbaren dort. Andererseits aber eben auch daran, dass in Frankreich gerade viele Atomkraftwerke aus technischen Gründen nicht am Netz sind.
Das ist nicht falsch, führt aber nun trotzdem zu einer skurrilen Situation: Denn ob die letzten zwei deutschen Atomkraftwerke noch bis April weiterbetrieben werden müssen, hängt nicht unwesentlich von den französischen Meilern ab. Wenn viele von ihnen wieder ans Netz gehen, wäre das deutsche Problem im Süden deutlich geringer.
Deutschland würde also darauf hoffen, dass die "Versagertechnik" (Jürgen Trittin) im sehr nahen Frankreich erst mal wieder funktioniert, um nicht die deutsche "Versagertechnik" anschmeißen zu müssen.
5. Der Widerspruch mit den Kosten
Sollte die Bundesregierung im Dezember nicht zu dem Schluss kommen, dass die zwei Atomkraftwerke gebraucht werden, müssen sie in den Stand-by-Modus. Das kostet, unter anderem, weil die Betreiber weiter Personal vorhalten müssen. Der Staat wird das bezahlen, auch das hat Habeck schon angekündigt.
Das heißt: Wenn sie nicht gebraucht werden, verursachen die zwei AKW von Januar bis April Kosten für den Steuerzahler, ohne dass sie Strom produzieren. Das sei "eigentlich die schlechteste aller Lösungen", sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm dem ZDF. Weil auch "keine günstige Energie produziert" werde, "die ja einen positiven Einfluss auf den Strompreis hätte".
Habeck und sein Ministerium bezweifeln zwar einen großen Einfluss der zwei Meiler auf den Strompreis. Um den zu dämpfen, will die Regierung den Strommarkt reformieren. Dass die Atomkraft gar keinen Einfluss hätte, behauptet aber auch niemand.
- Eigene Recherchen
- spiegel.de: Wie der Grüne Jürgen Trittin über die AKW-Notfallreserve denkt