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Deutschland und der Westen: Mit Taliban reden? Bloß nicht!


Meinung
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Deutschland und der Westen
Mit den Taliban reden? Bloß nicht!

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 19.08.2021Lesedauer: 6 Min.
Eine Pressekonferenz der Taliban am Dienstag: Bei dem Medienauftritt schlugen die Islamisten versöhnliche Töne an.Vergrößern des Bildes
Eine Pressekonferenz der Taliban am Dienstag: Sollte der Westen mit den Islamisten sprechen? (Quelle: Rahmat Gul/ap)
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Mit Rechten reden – unter diesem Titel entstand vor einigen Jahren nicht nur ein erfolgreiches Buch, sondern auch eine breite Debatte. Heute müsste der Titel lauten "Mit Taliban reden". Kann das gut gehen?

Mit der Eroberung Afghanistans durch die Taliban ist uns die schwierige Frage aufgezwungen worden: Soll Deutschland mit den Taliban reden? Sollen wir es machen wie Russland und die Botschaft offen halten? Oder sogar wie China, das nach eigenen Worten "freundschaftliche Beziehungen" zu den Taliban anstrebt?

Diese Debatte haben wir allein dem außenpolitischen Versagen des Westens zu verdanken. Hätte dieser seine Mission ordentlich zu Ende gebracht, würde sich die Frage so nicht stellen. Und hätte die Bundesregierung zumindest in den letzten Monaten, in denen abzusehen war, dass die Nato-Truppen aus Afghanistan abziehen werden, ihren Job gemacht, hätte man sich für die Antwort wenigstens etwas mehr Zeit lassen und die Entwicklung im Land abwarten können.

Wir aber haben lieber darüber diskutiert, ob es einen Großen Zapfenstreich geben soll, um den Bundeswehreinsatz am Hindukusch zu würdigen, und ob oder welche Menschen eine Aufnahme in Deutschland wert sind.

Das alles hätte vermieden werden können

Jetzt geht es um Leben und Tod. Deutsche Staatsbürger, afghanische Ortskräfte, Frauen und Mädchen, Menschenrechtsaktivisten oder politische Gegner der Taliban – die Menschen sind so unvorstellbar verzweifelt, sie klammern sich sogar an startende Transportflugzeuge, um aus dem Land zu kommen. Sie nehmen es lieber in Kauf, aus großer Höhe vom Triebwerk einer C-17 abzurutschen oder in ihrem Fahrwerk ums Leben zu kommen, als den Taliban in die Hände zu fallen. Die Folge sind hektische Evakuierungsmaßnahmen, Chaos und ein Sturm der Entrüstung, der samt Rücktrittsforderung aufgekommen ist. Und womit? Mit Recht.

Denn das alles hätte vermieden werden können, wenn die Bundesregierung die vielen Warnungen ihrer eigenen Leute vor Ort und die zahlreicher Expertinnen und Experten ernst genommen und schon vor Wochen entschieden hätte, deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte auszufliegen, statt etwaige Flüchtlingsdiskussionen zu fürchten.

Ein beispielloses Versagen der Bundesregierung

Die Politik weigerte sich ewig, mutige Entscheidungen zu treffen und proaktiv zu handeln. Ihre fatale Strategie, immer alles auszusitzen und so lange zu warten, bis der öffentliche Handlungsdruck nichts anderes mehr zulässt, hat Deutschland in die Bredouille gebracht. Es ist schon ein beispielloses Versagen, mit dem sich diese Bundesregierung hier nach 20 Jahren Einsatz in den Geschichtsbüchern verewigen wird.

Mit Taliban reden? Normalerweise ist die Antwort auf die Frage eindeutig. Nein. Auf keinen Fall. Taliban sind radikale Islamisten. Sie verfolgen eine extremistische Haltung. Für sie gilt: schwarz oder weiß. Gut oder schlecht. Dafür oder dagegen. Kompromisse kennen sie nicht. Sie geben vor, angeblichen göttlichen Vorgaben zu folgen. Ergo müssten sie demgemäß die "Regeln des Allmächtigen" auf einem Verhandlungstisch verschachern. Wie soll das gehen? Folglich muss man davon ausgehen, dass sie nur zum Schein auf Verhandlungen eingehen.

Mit welchen Taliban will man verhandeln?

Die Taliban sind heterogen, kein straff durchorganisierter Block. Einige Mitglieder sind ihren Stammesbeziehungen mehr verbunden als dem ideologischen Wahn ihrer Kampfbrüder. Andere umgekehrt. Es gibt die Taliban, die in Katars Hauptstadt Doha mit den USA verhandeln. Es gibt die Taliban, die den militärischen Kampf im Land führen. Und es gibt die Taliban, die aus Pakistan beeinflusst werden – durch fundamentalistische Kleriker und womöglich durch die Geheimdienste dort.

Die Folge sind interne Machtkämpfe und Richtungsstreits. Die USA unter Ex-Präsident Donald Trump haben auf die Befürworter des Doha-Prozesses gesetzt, Präsident Joe Biden sah keinen Grund für Zweifel. Heute steht die einstige Weltmacht dumm da. Mit welchen Taliban will man also verhandeln?

Das Recht des Stärkeren

Allen Unterschieden zum Trotz – klar ist: Auf Dauer können sich die Taliban nur mit brutaler Gewalt halten, mit Einschüchterung und drakonischen Strafen. Ihr Regime kann nur durch Angst im Volk Bestand haben. Widerspruch kann nicht geduldet, inhaltliche Positionen dürfen nicht aufgeweicht werden. In einem extremistischen Umfeld zählt das Recht des Stärkeren. Wer skrupelloser ist als seine Konkurrenten, behält die Oberhand. Jede Schwäche bietet Angriffsflächen. Jeder Anschein von Mäßigung öffnet Raum für radikalere Positionen und verschafft anderen Machtoptionen.

Das lässt sich gut am Beispiel der Hamas im Gazastreifen studieren: Erst gewann sie selbst mit ihrer Radikalität die Oberhand, inzwischen wird sie von anderen Islamisten herausgefordert und vor sich hergetrieben. Die Taliban können sich daher so moderat geben wie sie wollen, sich von Frauen im TV interviewen lassen, Mädchen Schulbesuche zusagen, Amnestieversprechen abgeben – am Ende des Tages werden sie brutaler sein müssen als andere, um sich behaupten zu können. So sind die Spielregeln in der Welt, in der sie leben.

Wir sollten es Russland und China nicht gleichtun

Verhandlungen bedeuten politische Anerkennung, und damit implizit die Anerkennung ebensolcher brutaler Methoden. Während Syriens Staatschef Baschar al-Assad vielen schon wieder als Gesprächspartner gilt, verblassen die Gräueltaten seines Regimes. Das sendet schlimme Signale an die Radikalen dieser Welt aus. Sie besagen: Macht es wie Baschar al-Assad, wenn ihr über eine staatliche Armee verfügt, oder macht es wie die Taliban! Wenn ihr die Macht habt, bleibt der Weltgemeinschaft früher oder später nichts übrig, als mit euch zu verhandeln.

Russland und China tun genau das, aber wir sollten andere Ansprüche an uns stellen und das nicht tun. Wir reden auch nicht mit Rechtsradikalen oder Rassisten im Wissen darum, es würde sie und ihre Positionen aufwerten. Wir reden nicht mit Terroristinnen und machen ihnen Zugeständnisse, weil das neue Terroristinnen hervorbringen würde.

Am Ende müssen die Afghaninnen und Afghanen selbst kämpfen

Wegen des außenpolitischen Desasters, das angerichtet wurde, wird man zu allem Überfluss aber in den kommenden Tagen vielleicht um Verhandlungen mit den Taliban nicht ganz herumkommen. Die oberste aller Pflichten ist nämlich: Gefährdete Personen und Verbündete, für die Deutschland nach zwei Einsatzdekaden Verantwortung trägt, aus dem Land zu holen. Sobald die Rettung abgeschlossen ist, müssen die Gesprächskanäle wieder geschlossen werden.

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Das geschieht dann zwar um den Preis, dass man Menschen im Stich lassen muss, die nicht fliehen können. Am Ende aber müssen die Afghaninnen und Afghanen ihren Kampf selbst kämpfen. Solange Machthaber keine Völkermorde begehen oder ihr eigenes Volk massakrieren, verdeutlicht die jüngere Geschichte: militärische Intervention sorgt nicht automatisch für weniger Leid: Vietnam, Irak, Libyen und nun Afghanistan – um nur ein paar Beispiel zu nennen.

Dem Westen fehlte es an Willen und Ausdauer

Nation-Building im Nebenjob funktioniert nicht. Die halbherzige Zwangsbeglückung fremder Staaten durch äußere Mächte geht meist nicht auf. Demokratie-Export gelingt in der Regel nur dort, wo man Staaten langfristig begleitet und in gemeinsame politische Strukturen einbindet: in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, am Balkan nach den Jugoslawien-Kriegen.

In Afghanistan hatte man weder die Ausdauer noch den Willen, Ähnliches zu tun. An der Stelle sei erinnert: die USA marschierten 2001 wegen al-Qaida, den Drahtziehern der Terroranschläge vom 11. September, und deren Taliban-Unterstützer in Afghanistan ein, nicht um das Land zu befreien.

Demokratisches Wolkenkuckucksheim

Viele Afghanen – zunächst außerhalb der Hauptstadt Kabul – haben früh geahnt, dass ihr Vertrauen in die westlichen Truppen womöglich auf Sand gebaut ist. Dass die Nato es nicht so richtig ernst mit ihnen meint. Dass Gelder in irgendwelche dunklen Kanäle verschwinden und Versprechen nicht gehalten werden. Die Enttäuschung in Kombination mit dem angsteinflößenden Ruf, der den Steinzeitkriegern vorauseilt, sind gute Erklärungsansätze für den vielfach mangelnden Widerstand gegen die islamistische Eroberung.

Ähnliches konnte man 2014 bereits im Irak anhand des Durchmarschs der Terrormiliz IS studieren. Einfache, unpolitische Personen, die nicht fliehen müssen, werden eher versuchen, sich mit dem Teufel zu arrangieren, um nicht öffentlich verstümmelt, gesteinigt oder geköpft zu werden, anstatt sich ihm für ein demokratisches Wolkenkuckucksheim entgegenzustellen.

Wir können trotzdem helfen

Untätig müssen Deutschland und der Rest der westlichen Welt in der Außenpolitik dennoch nicht bleiben. Wir können uns national und international um Menschen kümmern, die aus Angst um ihr Leben geflüchtet sind. Wir können dabei die Integrität und Humanität beweisen, die uns von Staaten wie China und Russland unterscheidet.

Wir können jenen Menschen in anderen Staaten, die unsere Werte von Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit teilen, moralisch und materiell unterstützen, wenn sie uns um Hilfe bitten; indem wir sie etwa diplomatisch aufwerten; indem wir sie finanziell und personell fördern – auch mal unkonventionell, wenn es sein muss. Und wir können ihre Gegner schwächen und ausgrenzen – zum Beispiel, indem wir nicht mit ihnen reden.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen.

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