Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Das "schwache Geschlecht" Frauen- und Ausländerhass liegen nah beieinander
Der Weg in einen autoritären Staat ist lang. Frauenfeindlichkeit ist eine der vorletzten Warnungen. Als solche ist sie Teil eines übergeordneten Problems und muss durch einen umfassenden Ansatz bekämpft werden.
Ich weiß, noch bevor ich den erstes Satz zum Thema Frauenhass zu Ende geschrieben habe, werde ich weitere Zuschriften voller Frauenhass generiert haben. Unter den Absendenden werden andere Frauen sein, zu geschätzt 80 Prozent werden es Männer sein, so lässt sich anhand von Statistiken des Bundeskriminalamts vermuten. Sie werden schreiben, Frauenhass gebe es gar nicht, ich könne bloß keine Kritik vertragen. Einige werden ihre Botschaften in vulgäre und abwertende Worte fassen. Erstaunlich daran ist nur eines: Sie liefern selbst die Belege für eben jenen Frauenhass, den es ihrer Ansicht nach gar nicht geben soll.
Soll man vor diesem Hintergrund nun über Frauenhass schreiben, oder soll man es lassen? Für den persönlichen Seelenfrieden sollten die Tasten gewiss besser ruhen. Doch dann würde sich nicht nur nichts ändern, sondern die Lage würde schlimmer. Vor 50 Jahren am 16. Februar 1971 wurde der Begriff "Fräulein" aus dem Amtsdeutsch getilgt. Fortan musste eine weibliche Erwachsene keinen Mann mehr heiraten, um offiziell vollwertig zu sein und nicht mehr als "kleine Frau" abgestuft zu werden.
Körperliche Stärke war bequem
Umgekehrt wurde Attraktivität nicht mehr von Amts wegen auf junge Weiblichkeit beschränkt. Heute bricht der heilige Furor los, wenn es ums Gendern geht – aber schon damals wurden diejenigen beschimpft, verspottet und verachtet, die dessen Abschaffung befürworteten. Auch sie hätten es lassen können. Ebenso wie jene, die für das Frauenwahlrecht gekämpft haben.
Solche Episoden der Geschichte wurden möglich, weil Männer es kraft ihrer körperlichen Überlegenheit über Frauen von archaischen Zeiten an gewöhnt waren, als ein Faustschlag zur Beendigung einer Diskussion noch lingua franca war, den Lauf der Dinge zu bestimmen. Kein Wunder also, wenn "Männlein" nie zur Anredeform geworden ist. Körperliche Stärke war außerdem bequem: Statt eine Beziehung zu einer Frau aufbauen zu müssen, nahm man sich einfach, was man wollte. Keine Ahnung, was sich Gott oder die Natur dabei gedacht haben, es führte jedenfalls geradewegs ins Patriarchat und zu sehr viel Leid und Gewalt. Bis heute plagen wir uns mit dem Erbe herum.
Verbindungen vom Frauenhass zum Rechtspopulismus
Erst in der Moderne konnten die sozialdarwinistischen Denkstrukturen der Menschheit etwas aufgebrochen werden. Sachliche Argumente, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt entfalteten nach und nach größere Überzeugungskraft als Duelle, Schlägereien oder Kriege. Diese moderne Entwicklung ließe sich nur mit revanchistischen Mitteln aufhalten, ergo mit sehr viel Leid und Gewalt. Frauenhass ist daher ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie. Frauenhass ist eine vorletzte Warnung auf dem Weg in Richtung Autoritarismus – eine letzte Warnung wäre das Vorgehen gegen politische Gegnerinnen und Gegner unabhängig von ihren persönlichen Eigenschaften.
"Der Spiegel" hat diese Woche eindrücklich die Verbindungen von Frauenhass zum Rechtspopulismus à la AfD, zum Rechtsextremismus, Islamismus und Terrorismus aufgezeigt. Ob Dschihadisten oder die Attentäter von Hanau, Halle, Christchurch, Oslo – alle hatten nicht nur rassistische und antimuslimische, sondern zugleich frauenfeindliche Motive. In Polen hat die Problematik die staatliche Ebene bereits erreicht. Die von rechtskonservativen Männern dominierte Regierungspartei PiS hat Schulter an Schulter mit den Wortführern der katholischen Kirche das Tor zum Autoritarismus ein Stück weiter aufgestoßen.
Frauenfeindlichkeit ist die Fortsetzung der alten Ausländerfeindlichkeit
Erst ging es gegen Geflüchtete und "Fremde", dann gegen Homosexuelle und Transmenschen, en passant wurden Medien und Justiz geschleift. Nun hat die PiS unter Übervater Jarosław Kaczyński mit dem Angriff auf Frauen den nächsten Testballon gestartet, indem sie ihnen mittels Abtreibungsrecht die Bestimmung über ihren eigenen Körper genommen hat. Verschanzt hinter dem vorgeschobenen Argument, es gehe um den Schutz ungeborenen Lebens, beobachten sie nun, ob ihr Ballon durchkommt.
Frauenfeindlichkeit ist die Fortsetzung der alten Ausländerfeindlichkeit. Ist letztere der Gesellschaft erst vermittelt, wagt man sich ans "Frauenproblem". Alles, was den traditionellen Machtverhältnissen im Weg steht, muss abgeräumt werden. Den Polinnen und Polen kann man mit Greta Thunberg sagen: "Ich will, dass ihr in Panik geratet." Wir in Deutschland, die wir noch weit weg von polnischen Zuständen sind, sind vor der Gefahr nicht gefeit. Deshalb müssen wir handeln.
Bessere empirische Erfassung erforderlich
Die Forderung, frauenfeindliche Motive in unserer polizeilichen Kriminalitätsstatistik sichtbarer zu machen, wie sie aktuell Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) erhoben hat und derer sich die SPD nun offenbar annehmen will, ist zwar absolut richtig, reicht aber nicht aus. Sie ist aber nötig, um das Problem empirisch erfassen zu können. Mit den gewonnen Daten lassen sich rechtliche, politische und gesellschaftliche Gegenmaßnahmen besser justieren.
Das Spektrum ist breit: Es geht ums Frauenbild in Religionen oder um die Beschönigung von Femiziden als "Eifersuchts-" und "Beziehungstaten", "Familiendrama" oder "Ehrenmorde". So wie einst die Anrede "Fräulein" müssten Catcalling, Altherrenwitze und sonstiger Sexismus weiter geächtet werden. Weit mehr als Ächtung ist jedoch bei misogynen Einstellungen und antifeministischer Hetze aus der Manosphere rund um Maskulisten, Incels, Men Going Their Own Way (MGTOW) oder Pick-Up Artists (PUA) erforderlich: zum Beispiel die Erweiterung des Paragrafen 46 StGB, der die Kriterien der Strafzumessung umfasst, wie sie der Deutsche Juristinnenbund schon länger fordert.
Frauenfeindlichkeit wird als übertrieben relativiert
Derzeit werden nur rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe explizit aufgeführt. Der Antisemitismus soll als strafverschärfend hinzukommen, so viel ist vereinbart. Sexismus gehört genauso in diese Reihe, damit das Problem stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gelangt. Denn mit Frauenfeindlichkeit ist es ähnlich wie mit Islamfeindlichkeit – ihre Existenz wird teilweise immer noch geleugnet oder als übertrieben relativiert.
- Kolumne: Die Kirche am Pranger
Die Gefahren für die Demokratie wären mit solchen Maßnahmen allerdings nicht beseitigt. Wir brauchen einen ganzheitlichen Blick. Alles hängt mit allem zusammen – Antifeminismus, Antisemitismus, Islamismus, Homophobie, Ableismus, antimuslimischer Rassismus, Antiziganismus etc. Wir müssen grundsätzlich lernen, intersektional zu denken. Die Mechanismen der Feindinnen und Feinde der Demokratie sind die gleichen, ihre Ausrichtungen austauschbar: mal ist es Hautfarbe, mal Herkunft, mal Glaube, mal Weltanschauung, mal Geschlecht… Männliche Überlegenheitsfantasien mischen sich mit religiösen, völkischen oder nationalistischen. Oft sind sie nur schwer zu trennen. Keine Frau und kein Mann ist außen vor, nur weil lediglich die anderen angefeindet werden. Wenn autoritäre Tendenzen entstehen, verengt sich am Ende die Lebenswelt aller.
Gemeinsames Eintreten für Gleichberechtigung
Wir brauchen mehr Zusammenhalt. Wir müssen uns von der isolierten Betrachtung der jeweiligen menschenfeindlichen Einzelphänomen lösen. Wer Misogynie anprangert, muss Fremdenfeindlichkeit anprangern. Wer antimuslimischen Rassismus beklagt, muss Homophobie beklagen. Ziel ist das gemeinsame Eintreten für Freiheit, Pluralität und Gleichberechtigung aller Gruppen. Emanzipation ist gelebte Demokratieförderung. Wir sollten uns da nicht auseinander dividieren lassen, wie es die Feindinnen und Feinde der Demokratien beabsichtigen, indem sie Whataboutism betreiben. Dagegen müssen wir als Gesellschaft sprachfähig werden und dürfen uns nicht einschüchtern lassen.
Manche Frauenfeindinnen und -feinde relativeren mit dem Verweis auf Männerhass. Es gibt Männerhass und er ist ebenso abgrundtief falsch. Beide Phänomene lassen sich dennoch nicht auf eine Stufe stellen. Das wäre ähnlich problematisch wie die von Rechts beschworene Gleichsetzung mit "Rassismus gegen Weiße". Es ist etwas anderes, wenn über "Kopftuchmädchen und sonstige Taugenichtse" oder über "alte weiße Männer" gesprochen wird. Bei letzteren beziehen sich Sprechende zumeist auf eine Gruppe, die im Gegensatz zur ersteren privilegiert ist – aus der besonders viele Menschen überproportional viel Macht besitzen, sodass sie die Institutionen dominieren; das gilt hierzulande, in Saudi-Arabien wäre die Bewertung eine andere.
Angeblich "schwaches Geschlecht"
Es geht um Strukturen, nicht um Einzelfälle. Selbstverständlich gibt es "alte weiße Männer", die marginalisiert sind und in Schutz genommen werden müssen. Karikaturen sind gut, wenn sie die Starken treffen, nicht die Schwachen, und je mehr sich Mächtige wie der türkische Präsident Recep Erdoğan über Karikaturen beschweren, desto mehr würden wir sie verteidigen.
Viele Geschlechtsgenossinnen spielen eigene Verletzungen runter, wenn sie sexistisch angefeindet werden. Ich bin da vermutlich von Zeit zu Zeit keine Ausnahme. Als angeblich "schwaches Geschlecht" wollen wir keine Schwäche zeigen. Wir wollen keine Opfer sein. Aber das sind wir als Gruppe auch nicht, und deshalb ist es wichtig, dass wir Frauen den Mut aufbringen, Attacken gegen uns anzuprangern – so wie das für alle Gruppen gilt, die angefeindet werden. Nicht sie haben Schuld, nicht sie sind das Problem, sondern jene Gruppen, die ihre Stärke zum diskriminierenden Nachteil anderer ausnutzen.
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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.