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Impfgegner und Corona-Leugner: Wie geschichtsvergessen kann man sein?


Meinung
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Impfgegner und Corona-Leugner
Wie geschichtsvergessen kann man sein?

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

17.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Ein Demonstrant auf einer "Querdenken"-Demonstration in Düsseldorf gegen Impfungen: "Impfgegner und Corona-Leugner haben nichts Originelles", meint t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Ein Demonstrant auf einer "Querdenken"-Demonstration in Düsseldorf gegen Impfungen: "Impfgegner und Corona-Leugner haben nichts Originelles", meint t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: imago-images-bilder)

Die "Querdenken"-Bewegung macht Stimmung gegen Impfungen in der Corona-Pandemie. Das sei ignorant und unvernünftig, meint t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor. Die Geschichte lehre uns Demut.

Es liegt in der Natur der Sache. Wer am lautesten gegen Corona-Maßnahmen und Impfstoffe wettert, war selbst bisher nicht betroffen von einer Ansteckung, kennt keine schwerer Erkrankten im engeren Familien- und Bekanntenkreis oder hat eine Infektion nur ohne Symptome bzw. mit mildem Krankheitsverlauf erlebt. Selbst jetzt angesichts von Rekorden bei täglichen Infektions- und Todeszahlen drängen die Unverbesserlichen immer noch mit allen juristischen Mitteln auf die Straßen. Fast eintausend Tote in 24 Stunden. Und eine sächsische Klinik bestätigt Triage. Was für eine erschreckende Entwicklung bei jedem einzelnen Schicksal.

Die Ignoranten könnten einen Moment darüber nachdenken, welche glücklichen Lebensumstände ihnen ihre Unvernunft überhaupt erst ermöglichen. Ohne den Fortschritt in der Medizin und ohne die ökonomische Stabilität in diesem Land wären die "Querdenkerinnen" und "Querdenker" gar nicht imstande dazu. Demut ist ein guter Ratgeber, und die Geschichte lehrt uns Demut. Wäre das SARS-CoV-2-Virus ein paar Generationen früher ausgebrochen, hätte es ein Massensterben verursacht.

Die Seuchen der Vergangenheit

Als sich ab 1889 die sogenannte "Russische Grippe" nach Asien und Europa ausbreitete, hinterließ sie wohl bis zu eine Million Todesopfer. Die Ärzte damals waren heillos überfordert, nur ansatzweise verstanden sie die Übertragungsketten.

Einen Lockdown mit Geschäftsschließungen, Ausgangssperren, Reisewarnungen etc. bei gleichzeitiger Versorgung der abgeriegelten Bevölkerung gab es damals nicht und er hätte unter den gegebenen Alltagsbedingungen weder konsequent überwacht noch durchgesetzt werden können. Selbstquarantäne ließ sich angesichts beengter Wohnverhältnisse vieler Arbeiter schlecht umsetzen, Bauern in entlegenen Dorfschaften erreichten die Warnungen oft gar nicht oder zu spät. An "Novemberhilfen" oder Ähnliches wäre kaum zu denken gewesen. Dafür sollte man dann zum Beispiel Brandy trinken oder Whiskey, rieten die Ärzte.

1918/19 bei der verheerenden "Spanischen Grippe" stümperten manche Mediziner damit herum, Patienten Kampferöl zu injizieren; das erinnert fatal an Donald Trumps Idee, Menschen Desinfektionsmittel gegen Covid-19 zu spritzen. Statt kostenloser FFP2-Masken, die sich 27 Millionen Menschen aus Corona-Risikogruppen seit dieser Woche in Apotheken abholen können, hielten sich die Menschen vor lauter Verzweiflung in Eukalyptusöl getränkte Taschentücher vors Gesicht.

Erste Massenimpfung im Zweiten Weltkrieg

Unternehmer-Scharlatane nutzten die Lage aus und schalteten Werbeanzeigen, in denen sie ihre Produkte kurzerhand zu Hilfsmitteln gegen die Epidemie verklärten: Plötzlich galt Fleischextrakt von Bovril als Abwehrmittel, und kein Robert Koch-Institut (RKI) und keine Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren da, um solchen Stuss zu entlarven.

Grippe-Impfstoffe gab es noch nicht, bloß den Wunsch danach, was die Forschung anschob. Die britischen Virologen Christopher Andrewes, Patrick Laidlaw und Wilson Smith brauchten jedoch 14 Jahre, bis sie 1933 das menschliche Grippevirus isolieren, sprich entdecken konnten. Weitere Jahre dauerte es bis zur Entwicklung eines Influenza-Impfstoffs. Die ersten Tests an Menschen verliefen wenig überraschend wenig erfolgversprechend. Viele erkrankten. Im Zweiten Weltkrieg dann, also rund 20 Jahre später, kam es zu ersten Massenimpfungen.

Heute schafft es die Welt in ein paar Monaten, gleich zu mehreren potenziellen Impfstoffen zu gelangen – in einigen Staaten sind die Impfkampagnen bereits angelaufen. Große Nationen wie die USA und Großbritannien spritzen Biontech/Pfizer, Russland Sputnik V und China Sinopharm. Die EU wird wohl am Montag die Zulassung erteilen. Emil von Behring, Seuchenforscher und erster Träger des Medizinnobelpreises, hatte nur ein kleines Team zur Verfügung, und bis seine Forschungen die Welt umrundeten, vergingen Wochen und Monate. Heute arbeiten Forscherkolonnen weltweit und teils in Echtzeit miteinander zusammen.

Angst vor Impfpflicht wird geschürt

Selbst die Idiotie der Corona-Rebellen lässt sich durch den Blick in die Geschichte entlarven. Sie wähnen sich durch vermeintlich "alternative" Medien im Netz aufgeklärt. Sie glauben, sie seien die einzig wahren Erleuchteten, die die vermeintlich sinistren Machenschaften erkennen, die die vermeintlich "Mächtigen" dank der Globalisierung des 21. Jahrhunderts weltweit schmieden. Dabei gab schon vor Hunderten Jahren Impfgegner und Verschwörungsschwurbler. Die Pocken, eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit mit Sterblichkeitsraten von bis zu 30 Prozent, rafften noch im 20. Jahrhundert rund 400 Millionen Menschen dahin.

Mit der Entdeckung moderner Impfstoffe konnten die Pocken, auch Blattern genannt, nach 1967 binnen weniger Jahre ausgerottet werden. Bis es so weit war, wurden Impfstoffe aber durch Horrorgeschichten, gegründete Zeitschriften und Vereine verteufelt. Sogar der Philosoph Immanuel Kant warnte zumindest anfangs davor, dass die von Kühen gewonnenen Vakzine (übrigens von Lateinisch für Kuh "vacca" abgeleitet) tierische Charakterzüge auf den Menschen übertragen würden.

Heute wird Furcht vor einer Impf-"Pflicht" als angeblich neuer Form der Überwältigung durch den Staat geschürt. Dabei wurde bereits 1801 in Bayern eine Impfpflicht verordnet. Ausgerechnet im Deutschen Kaiserreich, der Zeit, von der viele mit den Corona-Leugnern verbündete "Reichsbürger" träumen, wurde diese Pflicht im Reichsimpfgesetz von 1874 ausgeweitet. Und gewonnen werden konnte der Kampf gegen die Pocken erst durch eine Erneuerung dieser Impfpflicht.

Anti-Seuchen-Maßnahmen sind keine Erfindung der Neuzeit

Nicht einmal die AHA-Regeln, gegen die dieser Tage so heftig protestiert wird, sind eine Erfindung des "Merkel-Regimes". Sie sind seit Jahrhunderten Usus und gehören zum Portfolio der Seuchenbekämpfung. Im Mittelalter kennt man von der Pest her die Idee, kranke Menschen von gesunden zu separieren – und zwar 40 Tage lang; worauf der Ursprung des Wortes Quarantäne verweist.

Dem islamischen Propheten Muhammad wurden schon im 9. Jahrhundert die Worte zugeschrieben, man solle nicht in eine Region reisen, von der man höre, dass dort eine Seuche ausgebrochen sei, oder einer Region entfliehen, in der die Pest grassiere; nur sind Pestbeulen oder Pocken mit bloßem Auge freilich einfacher zu erkennen als symptomlose Corona-Infizierungen, die dennoch tödliche Krankheitsverläufe auslösen können.

Schon während der ersten großen Grippe-Epidemien wurden instinktiv Schulen, Fabriken, Theater etc. geschlossen. Selbst ohne die Geheimnisse von Aerosolpartikeln zu kennen, trugen einige schlaue Menschen vor hundert Jahren schon "Corona-Masken", um sich und andere zu schützen. Nicht einmal dieser "Maulkorb" ist mithin eine Erfindung von irgendwelchen bösen "Corona-Mächten" des 21. Jahrhunderts.

Mehr Vertrauen als Zweifel

Impfgegner und Corona-Leugner haben nichts Originelles. Sie setzen einfach fort, was Menschen früher schon getan haben. Es scheint, als hätten solche Phänomene etwas mit unserer Natur als Mensch zu tun. Heute können wir wirkungsvolle Maßnahmen erreichen, aber viele weigern sich, diese zu nutzen. Wie geschichtsvergessen kann man sein?

Freilich soll sich niemand leichtfertig irgendwelche Mittel spritzen lassen. Deshalb ist es gut, wenn die europäische Arzneimittel-Agentur Ema die Corona-Impfstoffe gründlich unter die Lupe nimmt. Aber nach einer profunden Prüfung durch sie, durch Ärztinnen und Ärzte, Forschende und Institutionen verschiedener Länder, sollten die Zweifel dem Vertrauen weichen. Irgendwann wird die Gefahr, durch Impfung zu erkranken, kleiner als die Gefahr, durch die Pandemie zu sterben.

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