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US-Wahlen 2020: Warum trotzdem so viele Donald Trump gewählt haben


Stimmen von Minderheiten
Warum trotz allem so viele Trump gewählt haben

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 05.11.2020Lesedauer: 5 Min.
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Unterstützerinnen von Trump: Die Verwunderung über den Erfolg des Präsidenten bei Minderheiten liegt oft in Vorurteilen begründet.Vergrößern des Bildes
Unterstützerinnen von Trump: Die Verwunderung über den Erfolg des Präsidenten bei Minderheiten liegt oft in Vorurteilen begründet. (Quelle: reuters)

Donald Trump konnte selbst bei Schwarzen, Latinos und weißen Frauen zulegen. Wie kann denn das bitte sein? Die Antwort auf diese Frage hat viel mit eigenen Vorurteilen zu tun.

Demokratie ist alles andere als leicht und manchmal auch verdammt schwer zu ertragen. Diese Regierungsform verlangt von Bürgerinnen und Bürgern viel ab: Selbstkontrolle, Duldsamkeit, Toleranz und Resilienz. In Diktaturen sind die Menschen der Machtlosigkeit ausgeliefert, in einer Demokratie sind sie dazu verdammt, sich selbst zurückzunehmen, Enttäuschung, Frust, Wut und Unverständnis zu regulieren, und anderen zähneknirschend den Vortritt zu lassen. Donald Trump kann all das nicht. "Er ist kein Demokrat, und selbst als Autokrat ist er lausig", heißt es treffend in einem Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers.

Donald Trump hat die Wahl gegen Joe Biden noch nicht gewonnen, auch am zweiten Tag nach der Abstimmung ist noch alles offen, aber er hat erstaunlich große Erfolge erzielt. In Texas, Florida, Ohio, drei Bundesstaaten mit vielen Wahlpersonen, fuhr er entgegen der letzten Umfragen einen deutlichen Vorsprung von teilweise acht Prozentpunkten ein, selbst in Florida sind es mehr als drei Prozentpunkte und nicht mehr nur einer, wie 2016, als Donald Trump gegen Hillary Clinton antrat.


Das liegt unter anderem daran, dass Donald Trump laut Edison Research bei ethnischen Minderheiten zulegen konnte. 2016 stimmten acht Prozent der Schwarzen für ihn, jetzt waren es zwölf. Bei den Latinos steigerte sich Donald Trump ebenfalls um 4 Prozentpunkte.

Bestürzung geprägt durch Vorurteile

Viele Menschen in und außerhalb der USA sind völlig perplex, geradezu konsterniert, wenn ausgerechnet Minderheiten jemanden wie Donald Trump wählen. Diese Bestürzung hat viel mit eigenen Vorurteilen zu tun. Es gibt schließlich viele verschiedene Gründe, warum Minderheiten für Donald Trump votiert haben.

Der wichtigste Grund ist: Auch Angehörige von Minderheiten sind ganz normale Menschen. Nicht alle sind auf ihre Unterscheidungsmerkmale wie etwa ihre Herkunft fixiert und definieren sich beispielsweise allein über ihre Hautfarbe oder ihre Zuwanderungsgeschichte; diese Einseitigkeit wird ihnen vor allem von außen dauernd zugeschrieben.


Sie sehen sich vielleicht primär als Konservative, als Antikommunisten, als Evangelikale und sind in den entsprechenden sozialen Milieus unterwegs, sodass für sie nicht Donald Trumps Äußerungen im Kontext von Rassismus im Vordergrund stehen, sondern seine Eigenschaft als Republikaner. An der Wahlurne dann blenden sie den Trumpismus aus, weil der Kandidat aus ihrer Sicht die eigenen subjektiven Probleme besser erfasst hat.

Vielschichtige Persönlichkeiten, nicht nur äußerliche Zuschreibungen

Gleiches gilt für weiße Frauen. Bei ihnen konnte Mister "Grab them by the pussy" ebenfalls zulegen. Nun können Frauen in sich selbst auch mehr als nur die Frau sehen. Es mag einige Männer ja irritieren, aber Frauen haben ebenfalls vielschichtige Persönlichkeiten und lassen sich nicht nur eindimensional über ihre Geschlechtszugehörigkeit verstehen. So fühlt sich eine Frau, die sich vor allem anderen zum Beispiel als Unternehmerin versteht, von Donald Trump womöglich sozioökonomisch stärker adressiert, und die Annahme, er tue mehr für die Wirtschaft, wird für sie wahlentscheidend sein.

Bei anderen sind es Selbsthass beziehungsweise Insuffizienz- oder Minderwertigkeitsgefühle, die sie ungeachtet der Anfeindungen durch Donald Trump zu diesem tendieren lassen. Einige Frauen haben ihn gewählt, um zu sagen: "Seht her, ich bin keine schwache Frau, ich bin stark genug, selbst einem Macho meine Stimme zu geben."

Wie unter Mehrheiten gibt es unter Minderheiten Tendenzen zu Pauschalisierungen. "Es sind doch eh alle gleich", heißt es dann: "Barack Obama war ein Schwarzer, und was hat er uns gebracht? Nichts." Ein Trump-Votum kann auf dieser Ebene ein klassischer Ausdruck von Frust sein.

Statuserhöhung durch Trump-Wahl

Unterprivilegierte Menschen erhoffen sich eine Statuserhöhung, wenn sie sich an den Trumpismus heften. Möglich sind in diesem Kontext auch Gefälligkeitsdienste oder Anbiederungsversuche: Manchen Wählerinnen und Wähler geht es vor dem Hintergrund der Rassismusdebatten um die Bewältigung eigener Ängste vor Ausgrenzung und Diskriminierung. Sie wollen den "White Supremacists" im Ernstfall zurufen können: "Hey, ihr braucht nicht mich anzufeinden. Ich hab Donald Trump gewählt!" Mitunter paart sich das mit dem Sankt-Florian-Prinzip: "Knöpft euch lieber die anderen von uns vor, die haben für Joe Biden gestimmt und sind für euch viel schlimmer."

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Die Vorstellung, Angehörige einer Minderheitengruppe hielten immer zusammen und seien untereinander solidarisch, ist ein hartnäckiges Vorurteil oder zumindest ein sehr weit verbreitetes Missverständnis, das sich seit langem hält.

Nicht nur Weiße können fremdenfeindlich sein

Ähnlich ist es mit einer weiteren Vorstellung: Instinktiv gehen viele davon aus, nur weiße Menschen seien Rassistinnen und Rassisten und würden andere Gruppen diskriminieren. Dem ist mitnichten so. Hispanoamerikanische, afroamerikanische Bürgerinnen und Bürger, Cherokee, Asiatinnen und Asiaten, Araberinnen und Araber usw. können ebenso Diskriminierung betreiben, fremdenfeindlich eingestellt sein und weitere Zuwanderung aus völkischen Motiven ablehnen. Sie wären folglich bei Donald Trump an der richtigen Adresse.

Schließlich kommen biografisch verankerte Gründe für ein Pro-Trump-Urteil hinzu, die man quantitativ gar nicht erfassen kann, oder selektive Sacherwägungen: Manche Jüdinnen und Juden etwa fokussieren Donald Trumps Unterstützung für Israel, manche sunnitischen Musliminnen und Muslime seine knallharte Frontstellung zum schiitischen Iran.

Wählbar ist nur das Komplettpaket

Aber, um eines klar zu stellen und etwaigen Verzerrungen vorzubeugen: Die allermeisten Wählerinnen und Wähler unter Schwarzen und Latinos (87 und 66 Prozent) haben für Joe Biden gestimmt. Die Erklärungsansätze für die Wahl Donald Trumps sind keinesfalls als Rechtfertigung zu verstehen.
Einen Präsidenten gibt es nur im Komplettpaket. Man kann nicht nur einen Teil von ihm wählen. Im Fall von Donald Trump ist diese Überlegung besonders bedeutsam, denn wer ihn wegen einer Facette, die einem gefällt oder persönlich nützlich erschien, wiedergewählt hat, hat absolute Rücksichtslosigkeit bewiesen und teils tödliche Folgen in Kauf genommen.

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Donald Trump mag den Teil, den man sich persönlich von ihm verspricht, erfüllen, aber der Preis dafür ist die Mitschuldigkeit an all dem, was der Rest des Präsidenten zu verantworten hat, wie Tote in der Corona-Pandemie, die gesellschaftliche Spaltung des Landes, die massive Verschärfung ethnischer Spannungen, die Verbreitung von Sexismus, die Unterminierung internationaler Abkommen wie des Pariser Klimavertrags und an vielem mehr. Wer nach vier Jahren Amtszeit mit so einer schockierenden Bilanz noch einmal für Donald Trump gestimmt hat, kann um solche Vorwürfe und kritische Nachfragen nicht herumkommen.

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In Zukunft wird in erster Linie jenseits des Atlantiks aber auch bei uns über die Verantwortung von Wählerinnen und Wählern stärker zu sprechen sein. Eine Wahl ist heilig, eine einzelne Wahlentscheidung nicht. Das verkompliziert zwar die Demokratie noch weiter, gehört allerdings wie das Anerkennen von Wahlergebnissen zwingend dazu.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin, die Mitglied der Grünen ist, für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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