Wer gewinnt die US-Wahl? Die Wähler haben Trump missverstanden
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Im gesamten Wahlkampf hat sich zwischen Kamala Harris und Donald Trump kein klarer Sieger abgezeichnet. Doch welche der Strategien der beiden Kandidaten könnte am Ende zu einem Sieg führen?
Bastian Brauns und David Schafbuch berichten aus Washington
So offen wie dieses Mal war es selten: Bei der Präsidentschaftswahl in den USA hat sich bis zur Öffnung der Wahllokale kein klarer Favorit in den Umfragen abgezeichnet.
Klar ist nur, dass beide Lager sehr unterschiedliche Strategien im Wahlkampf angewendet haben, die offenbar ähnlich viele Menschen in den USA ansprechen. Was könnten am Ende also die Gründe dafür sein, dass Donald Trump oder Kamala Harris die Wahl gewinnen?
Unser US-Korrespondent Bastian Brauns und unser stellvertretender Ressortleiter für Politik und Wirtschaft, David Schafbuch, haben nach möglichen Erklärungen gesucht.
Trump gewinnt, weil die Wähler seine Botschaft missverstanden haben
Von David Schafbuch
Falls Donald Trump am 20. Januar 2025 offiziell zum 47. Präsidenten der USA vereidigt werden sollte, hat er die Wähler nicht durch einen einzelnen Programmpunkt, sondern durch sein Weltbild überzeugt: Es ist ein Denken, das von einem nationalistischen Egoismus geprägt ist, in dem es außerhalb der USA keine Freunde, sondern maximal Geschäftspartner gibt.
Trump hat den Amerikanern eine Politik verkauft, die sich angeblich nur um die Frage dreht: Was springt am Ende für die USA – also für alle Bürger des Landes – heraus? Seinen Wählern ist dabei nur nicht aufgefallen, dass die Frage im Kopf des 78-Jährigen eigentlich immer lautet: Was springt für mich dabei heraus?
Diese Fehldeutung könnte Trump den Sieg bringen – und gleichzeitig würde das beweisen, dass viele Amerikaner für seine falschen Versprechen bereit sind, die Demokratie ihres Landes aufs Spiel zu setzen.
Trump redet immer wieder davon, die Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig Einwanderer aus dem Land herauszuhalten. Auf den letzten Metern seines Wahlkampfs zeichnet er dafür ein immer düstereres Bild der USA: Alles sei schlimmer als je zuvor, die Regierung so schlecht wie nie. Er könne aber alles im Handumdrehen ändern. Die Steuern kommen runter, vielleicht entfällt die auf das Einkommen sogar komplett. Durch Deregulierung sollen Unternehmen mehr Freiheiten haben. Andere Länder werden mit hohen Zöllen unter Druck gesetzt.
Dass Experten warnen, dass dieser Weg womöglich nur den vermögendsten Amerikanern zugutekommt? Dass neue Zölle die US-Firmen mehr belasten und Steuersenkungen die Inflation anheizen könnten? Diese Warnungen haben offensichtlich viele Wähler nicht erreicht – oder interessiert.
Das Versprechen, Trump werde die USA abriegeln und die Einwanderung einigermaßen unmöglich machen, fußt ebenso auf einer recht dünnen Argumentation. Wie er Massenabschiebungen ermöglichen oder den Bau seiner Mauer an der mexikanischen Grenze fortsetzen will? Man weiß es nicht.
Was aber gewiss ist: Seine Pläne zu dem Grenzwall sind schon in seiner ersten Amtszeit gescheitert. Ein härteres Maßnahmenpaket zum Grenzschutz ließ er kurzfristig im Kongress stoppen, damit er das Thema im Wahlkampf ausschlachten konnte. Sein Sieg würde beweisen: Viele Amerikaner haben auch das entweder bewusst ignoriert oder schon wieder vergessen.
Trumps erneuter Einzug ins Weiße Haus würde auch mit den Schwächen seiner Gegnerin zusammenhängen: Kamala Harris startete nach dem Rückzug von Joe Biden spät mit ihrer Kampagne – das aber mit Schwung. Optimistisch und deutlich agiler zeigte sie sich allerdings nur zu Beginn. Mit Tim Walz suchte sie einen sympathischen Vizekandidaten aus, der auch einen guten Ton setzte: "Merkwürdig", oder auf Englisch: "weird", nannte er Trump und seine Gefolgsleute.
Harris und Walz taten etwas, womit Trump überhaupt nicht umgehen konnte: Sie machten sich über ihn lustig. Darauf hatte das Trumplager zunächst keine Antwort. Und wenn Trump zurückschlug, dann wirkte es stets wie das Jammern eines gekränkten Rowdys, der nie gelernt hatte, zu verlieren.
Diesen Pfad verließ das Harris-Team aber aus unerklärlichen Gründen: Harris klang am Ende wieder wie Joe Biden, als sie ständig vor Trump warnte. Dazu passt auch Harris’ Wahlslogan, "We're not going back", also: Man werde nicht in eine weitere Amtszeit Trumps "zurückkehren", hat sie monatelang wiederholt. Vielleicht hätte sie häufiger davon sprechen sollen, wohin sie stattdessen will – in Abgrenzung zu Trump, aber auch zu Joe Biden.
Sollte Trump gewinnen, hätte er bewiesen, dass er seine Ideen besser verkaufen konnte. Seine Themen waren den Wählern offenbar so wichtig, dass andere Dinge dabei nicht ins Gewicht fielen: dass Trump als Präsident etwa einen Rachefeldzug angekündigt hat, um seine Widersacher mit juristischen und womöglich auch mit militärischen Mitteln zu verfolgen.
Dass er Russland mehr oder weniger freie Bahn im Krieg gegen die Ukraine in Aussicht gestellt hat. Dass er in einer Rede sagte, dass man möglicherweise in vier Jahren nicht mehr wählen müsse. Oder dass die Präsidentschaft Trump wohl eine längere Zeit im Gefängnis wegen zahlreicher Vergehen erspart.
Was das alles für seine Amtszeit bedeuten wird, kann jetzt noch niemand wissen. Doch der Donald Trump von heute ist ein anderer als der, der 2016 und 2020 zur Wahl angetreten war: Er ist düsterer, wütender und besser vorbereitet.
Kamala Harris gewinnt, weil Amerika abschließen will
Von Bastian Brauns
Sollte Kamala Harris am Ende als erste amerikanische Präsidentin dastehen, ist es ihr tatsächlich gelungen, mit ihrem moralischen Gegenangebot zu Donald Trump die empfindlichen Verluste auszugleichen, die unter anderem durch unzufriedene Demokraten entstanden sind. Zwar lasteten viele Amerikaner parteiübergreifend die jahrelange Inflation und die anhaltend hohen Preise der Biden-Regierung an und damit auch der Vize-Präsidentin. Doch am Ende überwogen für die Mehrzahl der Menschen offenbar die Gründe, die für Harris sprechen.
Dazu gehörte: Die Präsidentschaftswahl 2024 zwischen Vizepräsidentin Kamala Harris und dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump macht die Unterschiede im Führungsstil, in den politischen Prioritäten und der öffentlichen Wahrnehmung sehr deutlich.
Die Vizepräsidentin hat dabei während ihres gesamten Wahlkampfes auf eine präsidiale Ausstrahlung gesetzt: Kompetenz, Stabilität und ein Engagement für parteiübergreifende Zusammenarbeit standen für sie im Vordergrund.
Auch ihr Versprechen, Republikaner in ihr künftiges Kabinett aufzunehmen, zeugte von dieser Strategie. Damit unterstrich sie ihre Bemühungen, politische Gräben zu überwinden. Harris inszenierte sich als Gegenpol zu Trumps konfrontativem und spaltendem Ansatz.
Das könnte ein attraktives Angebot gewesen sein für eine Wählerschaft, die der jahrelangen politischen Turbulenzen überdrüssig ist. Denn Trumps polarisierendes Image konnte insbesondere Unentschlossene, Wechselwähler und sogar Teile der Republikaner in Richtung Harris treiben. Die zahlreichen kritischen Wortmeldungen, sei es von ehemaligen Trump-Mitarbeitern, von investigativen Journalisten wie Bob Woodward oder von Politikern seiner eigenen Partei, nach denen Trump die demokratischen Normen und Institutionen verachtet, haben ihre Wirkung nicht verfehlt.
Hinzu kam die deutliche Positionierung von Kamala Harris in Bezug auf Frauenrechte, insbesondere die Abtreibungsrechte. Es ist die erste Präsidentschaftswahl seit der umstrittenen Aufhebung des jahrzehntealten Grundsatzurteils "Roe v. Wade", wodurch das verbriefte Recht auf Abtreibung in zahlreichen konservativen Bundesstaaten fallen konnte. Das Thema mobilisierte schon bei vergangenen Wahlen die sogenannten "pro choice"-orientierten Wähler. Jetzt hat es dem Harris-Wahlkampf zusätzlichen Schwung bereitet, gerade bei jungen Wählerinnen.
Historisch betrachtet haben sich spät entschlossene Wähler oft gegen Amtsinhaber entschieden. Die Wahl 2024 stellt aber eine Sondersituation dar: Kamala Harris gehört zwar zur Biden-Regierung, sie wird jedoch in den Augen vieler Wählerinnen und Wähler eben nicht als Amtsinhaberin wahrgenommen. Stattdessen könnte Trump für viele wie der Wiedergänger und Ex-Amtsinhaber wirken, dessen Image am Ende gegen ihn arbeitete. Die 60-jährige Kamala Harris wirkte darum womöglich – weil sie weder Joe Biden noch Donald Trump ist – wie die einzige frische und ja, auch deutlich jüngere Alternative.
Die Harris-Strategie, den Fokus einmal mehr auf die sogenannten "Blue Wall"-Staaten – also Wisconsin, Michigan und Pennsylvania – zu legen, hat sich ausgezahlt, sollte sie gewinnen. Diese Staaten waren schon im Jahr 2020 ausschlaggebend für Joe Bidens Sieg. Weitere mögliche Erfolge in den südlichen Swing States Georgia und North Carolina könnten ihren Vorsprung ausgebaut haben. Selbst wenn der Bundesstaat Arizona am Ende bis zum Schluss hart umkämpft bleibt, könnte es schließlich gereicht haben.
Obwohl Trump im Jahr 2020 für einen republikanischen Kandidaten eine historische Rekordzahl an Stimmen erhielt, zeigte schon seine damalige Niederlage, dass er am Ende kein Kandidat für die breitere Wählerschaft ist. Harris ist es sowohl im TV-Duell als auch in der Endphase des Wahlkampfs gelungen – unterstützt von Donald Trump – ihn als Ursache für anhaltende Konflikte und Chaos darzustellen. Ihre Inszenierung als Heilerin einer tief gespaltenen Nation zahlte sich aus.
Trumps kurze Phase als Kandidat der nationalen Einheit nach dem vereitelten Attentat gegen ihn war schnell verflogen. Sie war schlicht nicht kompatibel mit seinem Image und damit auch nicht glaubhaft.
Auch wenn Geld allein keine Wahlkämpfe gewinnen kann, könnte die finanzielle Überlegenheit der Harris-Kampagne ein weiterer Grund für ihren Sieg bei der teuersten Wahl in der Geschichte der USA gewesen sein. Mit effektiver Wähleransprache in Wahlwerbespots, in den sozialen Medien, aber auch beim professionell organisierten, sogenannten "Groundgame" – also mit Telefonanrufen und Klopfen an Türen – konnte Kamala Harris in der entscheidenden Endphase einen Unterschied machen.
Schließlich könnte die menschlich mitfühlende, emotionale und moralische Ansprache von Kamala Harris eine bedeutende Rolle gespielt haben. Weil außerdem viele Amerikaner tatsächlich den Schutz gewisser demokratischer Grundprinzipien in Gefahr sehen, hat ihre Kandidatur wohl zu einer ungewöhnlichen Koalition innerhalb der Wählerschaft geführt. Eine, die es so vielleicht noch nie gegeben hat: Kamala Harris wird von linken und moderaten Demokraten unterstützt, von gemäßigten Republikanern bis hin zu Unabhängigen.
Ausreichend Amerikaner könnten sich obendrein daran erinnert haben, warum sie Donald Trump bereits im Jahr 2020 abwählten. Amerika will mehrheitlich nicht zurück zu ihm. Der Wahlkampf-Spruch von Kamala Harris wurde vielfach als zu wenig inspiriert bezeichnet, weil er zu wenig von dem verriet, was sie mit dem Land vorhat. "We're not going back" aber scheint momentan die wichtigste Priorität für viele Amerikaner zu sein. Denn nur dann kann das Land in ihren Augen offenbar voranschreiten.
- Eigene Überlegungen und Beobachtungen