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Hoffnung für Europa: Slowakei – Kleines Land mit großem Mut


Meinung
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Hoffnung für Europa
Kleines Land mit großem Mut

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 12.08.2019Lesedauer: 4 Min.
Zuzana Čaputová ist die erste Präsidentin der Slowakei: Ihre Wahl ist ein gutes Zeichen für die Demokratie.Vergrößern des Bildes
Zuzana Čaputová ist die erste Präsidentin der Slowakei: Ihre Wahl ist ein gutes Zeichen für die Demokratie. (Quelle: David W. Cerny/reuters)
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In der Slowakei trieb eine Bürgerbewegung den Regierungschef aus dem Amt und wählte eine junge Anwältin zur Präsidentin. Ein gutes Zeichen in einer unguten Zeit.

Ich bin vor längerer Zeit mal durch die Slowakei gefahren, einem kleinen Land, das stolz auf seine Unabhängigkeit ist, 1993 errungen. 5,5 Millionen Menschen leben dort. Der Export nach Deutschland übertrifft den Import aus Deutschland, erstaunlich. Die Slowakei hatte sogar eine Zeit lang eine sogenannte "flat tax" von 19 Prozent für alle Bürger, bis der Staat in Kapitalnot geriet und das übliche gestaffelte Steuersystem einführte.

Preis für die Präsidentin

Der Staat ist ein Mitglied der Europäischen Union, führte den Euro ein und gehört auch der Nato an. Die Slowakei ist aber auch ein Nachbar Russlands und pendelt deshalb nicht zufällig zwischen Distanz und Nähe zu Wladimir Putin, je nach Regierung und strategischer Ausrichtung.

Die Slowakei kam mir in den Sinn, weil ich in Ascona an einer Veranstaltung teilnahm, die "Diner Républicaine" heißt und Jahr für Jahr einen Europa-Preis vergibt. Diesmal bekam ihn Zuzana Čaputová, die Präsidentin der kleinen Slowakei.

Preise gibt es überall. Manchmal für ein Lebenswerk, manchmal aber auch für einen Anfang. Als Ermutigung. Als Antrieb. Als Auftrag. Als Symbol.

Der Tod eines Journalisten

Zuzana Čaputová steht am Anfang, sie wurde erst im März gewählt, ist 45 Jahre alt, aber sie ging einen weiten Weg: Anwältin, Bürgerrechtlerin, keine geborene Politikerin, ins Amt getragen von einer Bewegung, die sich gegen die korrupte Regierung bildete – gegen ein geschmeidiges Netzwerk aus Regierung, Unternehmen und Organisierter Kriminalität.

Genau genommen brachte sie ein Journalist ins Amt. Jan Kuciak schrieb auf aktuality.sk, das ist eine Online-Plattform, die der deutsche Springer Verlag gemeinsam mit dem Schweizer Ringier Verlag betreibt. Dort veröffentlichte er die Panama Papers und recherchierte derart intensiv, dass ihm der Ministerpräsident öffentlich Konsequenzen androhte. So jung, wie Kuciak war, so erfahren war er als Reporter und Rechercheur. Nur 27 Jahre alt wurde er. Dann löschte ein Auftragsmörder sein Leben und das seiner Verlobten Martina Kusnirova aus.

Die Mafia, das Model und der Ministerpräsident

Posthum erschien sein unvollendeter Artikel über den tiefen Staat, der bis zur italienischen 'Ndrangheta reichte. Slowakische und deutsche Medien übernahmen den Bericht und veröffentlichten ihn ebenfalls. Auch t-online.de fasste seine letzten Recherchen zusammen. Da rührte sich etwas im Land: Zorn, Liberalität, Zivilcourage. Vor allem aber: bürgerlicher Anstand.

Eine zivile Bewegung gegen die unzivile Regierung entstand. Daraufhin mussten zurücktreten: der Ministerpräsident, der Innenminister und der Polizeichef. Ein ehemaliger Polizist soll gestanden haben, dass er die beiden ermordete. Ein Unternehmer, der den Ermittlern als Auftraggeber gilt, ist angeklagt und sitzt wie mehrere weitere Angeklagte in Haft.

Die Slowakei ist ein erstaunliches Land, was es schon mehrmals in seiner jungen Geschichte bewies. Es trennte sich friedlich 1993 von der Tschechischen Republik. Anders als im zerfallenden Jugoslawien, in dem Serbien Krieg gegen die separatistischen Teilrepubliken führte, verursachte die Abkehr keine tödlichen Konflikte. Vor rund zehn Jahren wählte es einen Ministerpräsidenten ab, der sich zum autoritären Herrscher aufschwingen wollte. Und jetzt stand das Land erneut gegen eine korrupte Regierung auf. Friedlich. Demokratisch. Mit der Wahl einer Bürgerrechtsanwältin zur Präsidentin.

Ohne den Rechtsstaat ist alles nichts

Europa braucht gute Nachrichten. Im Osten sind sie mindestens genau so rar wie im Westen. Viktor Orbán und sein autoritär gedrehtes Ungarn sind ein abschreckendes Beispiel. Nicht weniger der katholische Ständestaat nach dem Willen und der Vorstellung Jaroslaw Kaczynskis in Polen. Tschechien ist mit einem irrlichternden Präsidenten und einem berlusconihaften Ministerpräsidenten geschlagen.

Im Herbst sind es 30 Jahre, dass Osteuropa zu sich selbst aufbrach. In Ungarn, als die Grenze fiel. In Polen, wo die erste demokratische Regierung ins Amt kam. In Prag mit Václav Havel. In Rumänien, das seinen Diktator, der nicht ins Exil gehen wollte, am Ende tötete.

Alle diese Länder haben in diesen 30 Jahren mehrere Phasen durchgemacht. Sie haben die Demokratie eingeführt und versuchten sich an der Marktwirtschaft. Sie reduzierten den Staat und blähten ihn wieder auf.

Der Rechtsstaat ist das größte Problem, nicht nur der jungen Länder. Ohne Rechtsstaat kann sich die Korruption ausbreiten. Ohne ihn können Regierungen ihre organisierte Verantwortungslosigkeit betreiben. Der Rechtsstaat ist nicht alles, aber ohne ihn ist alles nichts.

Rebellion gegen die herrschenden Zustände

Journalisten werden in Russland umgebracht oder wandern hinter Gitter. Einfach so. Folgenlos für die Regierung und seinen Präsidenten. Der Mord in der Slowakei löste jedoch eine Rebellion gegen die herrschenden Zustände aus. Die Zivilgesellschaft zeigte ihre moralische Macht gegen die reale Macht, die glaubte, ihr könne niemand etwas anhaben, sie könnte sich sogar einen Doppelmord leisten. Irrtum.

Falls wir es bis hierhin noch nicht wussten, wissen wir jetzt, dass dieses kleine Land zu Europa gehört.

Zwei Tage lang haben Journalisten und Politiker, Wissenschaftler und Schriftsteller in Ascona über Europa geredet. Was davon haftet im Gedächtnis?


So viel auf jeden Fall: Nichts muss so bleiben, wie es ist. Das Jahr 1989 ist das weltumspannende Beispiel für historische Veränderungen. Nichts ist ein für allemal gesichert. Damals dachten wir: Von jetzt an geht es nur noch bergauf, die liberale Demokratie breitet sich aus, hier und überall. Ein Irrtum, leider.

Ja, heute zeigen Boris Johnson, Orbán und Kaczynski, was sich aus einer liberalen Demokratie auch machen lässt. Nicht gut. Es gibt aber auch Spanien und Dänemark und es gibt die kleine Slowakei. Dazu gibt es Emmanuel Macron und – noch – Angela Merkel. Man kann es auch so sagen: Europa hat Stärken, an denen seine Verächter am Ende scheitern werden.

Verwendete Quellen
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