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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Die Nanny" führt ihn an Aufstand in Hollywood
Mehr als hunderttausend Schauspieler treten in den Streik. Der massenhafte Arbeitsaufstand in Hollywood ist aber nur ein Vorgeschmack auf das, was bald überall in der Wirtschaft droht.
"Es liegt etwas in der Luft in Hollywood", sang Madonna einst in ihrem gleichnamigen Welthit. Ab sofort aber brennt die Luft in Hollywood. Denn die weltgrößte Filmindustrie in Los Angeles wird buchstäblich lahmgelegt.
Mit einem historischen Doppelstreik ihrer Gewerkschaften blockieren mehr als hunderttausend Schauspielerinnen und Schauspieler, Autoren und Autorinnen alles, was auch nur entfernt mit der Filmwirtschaft zu tun hat. Eine derart massiv angelegte Aktion gegen die mächtigen Produktionsfirmen Hollywoods gab es seit über sechs Jahrzehnten nicht mehr.
Fran Drescher ist die Präsidentin der mehr als 160.000 Mitglieder starken Schauspielergewerkschaft "The Screen Actors Guild – American Federation of Television and Radio Artists" (SAG-AFTRA). Sie wandte sich am Donnerstag mit drastischen Worten an Streaminganbieter und Filmstudios wie Netflix, Disney oder Warner Bros. Und sie hatte eine Warnung für alle dabei. Als sie in Los Angeles vor die Presse trat, sagte sie: "Was hier passiert, ist wichtig, denn was mit uns passiert, passiert in allen Bereichen der Arbeit."
Arbeitgeber würden die Börse an der Wall Street und ihre Gier zur Priorität machen und die Mitwirkenden vergessen, die die Maschine in Wahrheit am Laufen hielten, so Fran Drescher. Dann rief sie: "Wir fordern Respekt und Ehre für unseren Anteil. Teilen Sie den Reichtum, denn ohne uns können Sie nicht existieren!"
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Ein Streik mit Folgen für die ganze Welt
Was in Hollywood derzeit passiert, könnte tatsächlich bald sehr viel mehr Bereiche der Wirtschaft treffen. Denn es geht bei diesem massenhaften Streik um eine Bedrohung, die kaum noch aufzuhalten scheint: Künstliche Intelligenz, die Arbeitsplätze vernichtet. Es wird immer klarer, dass diese Technologie die nächste Revolution für die Arbeitswelt bedeutet. Millionen Menschen werden davon betroffen sein, nicht nur Schauspieler und Autoren.
Anlass für den historischen Doppelstreik der Gewerkschaft der Schauspieler, der "Screen Actors Guild", und der Gewerkschaft der Drehbuchautoren, der "Writers Guild of America", ist zwar eigentlich, dass sich die Arbeitnehmervertreter nach Wochen der Verhandlungen nicht über Löhne, Arbeitsbedingungen sowie Gesundheits- und Rentenleistungen mit den Produktionsfirmen einigen konnten.
Ein weiterer wichtiger Streitpunkt ist: Autoren und Schauspieler fordern strenge Regeln für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in TV- und Filmproduktionen. Sie wollen einerseits finanziell beteiligt werden, wenn auf der Grundlage ihrer Arbeit Daten gesammelt und neu verwendet werden. Andererseits fürchten viele, dass ihre kreative Arbeit wegen automatisierter Prozesse künftig schlicht wegfallen könnte. Am Ende steht sogar die Frage: Wird sie menschliche Kreativität ersetzen?
Künstliche Intelligenz als Bedrohung
Wie notwendig Regeln für den Einsatz Künstlicher Intelligenz längst sind, wurde am Tag des Streikbeginns bekannt. Die Erfinder der bekannten KI-Software ChatGPT sollen gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen haben, besonders im Umgang mit Daten. Die "Federal Trade Commission" (FTC), die amerikanische staatliche Regulierungs- und Verbraucherschutzbehörde, hat deshalb eine umfangreiche Untersuchung der Firma OpenAI eingeleitet.
Was in Hollywood am Donnerstag als Riesenstreik in der Filmbranche begonnen hat, dürfte bald überall auf der Welt zu spüren sein. Denn gemäß den Streikregeln der Gewerkschaften dürfen die Schauspieler und Autoren weder an Dreharbeiten noch an Podcasts oder an sonstigen Auftritten im Zusammenhang mit dem Filmgeschäft teilnehmen. Sie müssen jegliche Arbeit niederlegen, sonst gelten sie als Streikbrecher und müssen mit dem Rauswurf bei ihrer jeweiligen Gewerkschaft rechnen.
Produktionen, die bereits laufen, können nun nicht fortgesetzt werden und sogar Filme, für die die Dreharbeiten bereits abgeschlossen sind, können nicht fertiggestellt werden. Denn die Schauspieler stehen für die üblichen Nachdrehs nicht mehr zur Verfügung. Geplante Produktionen müssen größtenteils eingestellt werden.
Hollywoodstars werden zudem nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen, um neue und kommende Veröffentlichungen zu bewerben. Für die Branche wichtige Events wie die für Ende Juli geplante Comic-Con in San Diego, eine der weltweit größten Comicmessen, und die Emmy-Verleihung im September, die bedeutendste amerikanische Fernsehpreisverleihung, müssen möglicherweise verschoben werden oder ganz ausfallen. Internationale Veranstaltungen wie die Filmfestivals von Toronto und Venedig sollen nach aktuellen Angaben allerdings stattfinden, obwohl Schauspieler der teilnehmenden Gewerkschaften nicht wie sonst teilnehmen können.
Stars verlassen Europa-Premiere von "Oppenheimer"
Was das konkret bedeutet, zeigte sich am Donnerstag bei der Europa-Premiere des Films "Oppenheimer" in London: Stars wie Matt Damon, Emily Blunt, Cillian Murphy und Florence Pugh verließen sie vorzeitig, nachdem der Streik verkündet worden war. Bereits zu Beginn des Abends hatte Matt Damon auf dem roten Teppich angekündigt: "Sobald es offiziell wird, werden sich die Schauspieler natürlich solidarisieren." Deshalb habe man die Premiere vorverlegt. Es sei bereits klar gewesen, "dass wir nach Hause gehen, sobald der Streik ausgerufen wird", so Damon.
Doch es geht um viel mehr als nur den Ausfall von wichtigen Veranstaltungen. Wie ernst die Debatte um die Regulierung von Künstlicher Intelligenz ist, zeigte eine Anhörung vor einem Ausschuss im Senat der Vereinigten Staaten im Mai. Dort sagte Sam Altman aus, der Chef der KI-Firma OpenAI, und forderte die Gesetzgeber auf, die schnell wachsende KI-Technologie und ihren Markt zu regulieren.
Das Problem seien nicht nur Falschinformationen, die kaum noch als solche zu identifizieren sind, oder Datenschutzverletzungen. "Das wird Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben", antwortete Altman, als ein Senator ihn fragte, was sein schlimmster Albtraum sei. "Ich denke, die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Gesetzgeber ist erforderlich, vor allem aber, dass der Gesetzgeber handelt."
Wenn sogar die Industrie schon um Regulierung bettelt, klingt das für viele so, als sei es bereits zu spät, um die Folgen der Technologie noch einzufangen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Autorinnen und Autoren Hollywoods wollen sich damit nicht mehr abfinden. So deutlich wie niemand sonst bislang stellen sie die Frage: Wer beschützt unsere Arbeit vor Künstlicher Intelligenz? Es liegt etwas in der Luft in Hollywood.
- Eigene Recherchen
- sagaftra.org: "Strike Notice and Order" (Englisch)
- Pressekonferenz von Fran Drescher (Englisch)
- bbc.com: "SAG strike: Hollywood actors announce major walkout" (Englisch)
- nytimes.com: "A.I.’s Threat to Jobs Prompts Question of Who Protects Workers" (Englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa