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Syrien: Al-Kaida zieht vom Hindukusch ans Mittelmeer


Zweiter Gottesstaat in Syrien?
Al-Kaida zieht vom Hindukusch ans Mittelmeer

spiegel-online, Von Raniah Salloum

16.05.2016Lesedauer: 3 Min.
Ein Konvoi der syrischen Nusrah-Front, die zu Al-Kaida gehört, rollt durch eroberte Dörfer nahe Idlib.Vergrößern des BildesEin Konvoi der syrischen Nusrah-Front, die zu Al-Kaida gehört, rollt durch eroberte Dörfer nahe Idlib. (Quelle: Reuters-bilder)

Eine ganze Gruppe altgedienter Kaida-Top-Terroristen soll in diesem Jahr nach Syrien umgezogen sein. Die Vorteile liegen für die Extremisten auf der Hand. In der apokalyptischen Dschihadisten-Theologie spielt Syrien eine zentrale Rolle. Es ist zudem einfacher zu bereisen als die afghanisch-pakistanische Grenzregion, liegt näher an Europa und grenzt dazu noch an Israel.

"Al-Kaida hat vor Kurzem damit begonnen, einige hoch einflussreiche Dschihadisten aus seiner Zentralführung nach Syrien zu schicken", schreibt der Terrorexperte Charles Lister, der sich auf Al-Kaida in Syrien spezialisiert. Er geht davon aus, dass sich inzwischen mehrere Dutzend hochrangige Kaida-Veteranen in Nordsyrien aufhalten.

Umgezogen sind demnach etwa Saif al-Adel, Abu Al-Khayr al-Masri und Abdullah Ahmed Abdullah, die an den ersten großen Kaida-Anschlägen 1998 auf zwei US-Botschaften in Afrika beteiligt gewesen sein sollen.

Auch Rifai Ahmad Taha, der zusammen mit Osama bin Laden und dem aktuellen Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri 1998 eine Drohung gegen die USA und Israel sowie deren Staatsbürger unterzeichnete. Taha wurde kurz nach seiner Ankunft in Syrien durch einen US-Drohnenangriff getötet.

Die Nähe zu Israel schlachtet Al-Kaida propagandistisch aus. "Der Dschihad in Syrien ist der Schlüssel zur Befreiung Jerusalems", sagte Hamza bin Laden, Sohn von Kaida-Gründer Osama bin Laden, in einer im Mai veröffentlichten Audiobotschaft. Zugleich rief er die Dschihadisten in Syrien dazu auf, sich zu einigen, wie kurz zuvor schon Chef Sawahiri.

Bald könnte es zwei "Gottesstaaten" in Syrien geben

In Syrien stehen die Zentralführung von Al-Kaida und der "Islamische Staat" (IS) bisher in Konkurrenz. Bald schon dürften in dem zerfallenden Land zwei vermeintliche Gottesstaaten konkurrieren. Terrorexperte Lister geht davon aus, dass Al-Kaida in Syrien im Nordwesten bald einen eigenen Staat ausrufen könnte. Und der "Islamische Staat" im Osten Syriens ist zwar geschrumpft, aber noch lange nicht besiegt.

Zuletzt schien es um Al-Kaida ruhiger geworden zu sein. Aber dieser Eindruck täuscht. Während der "Islamische Staat" die Schlagzeilen dominierte, hat sich die Kaida-Gruppe in den letzten Jahren im Verborgenen ausgebreitet - im Jemen und in Syrien in Form der Nusra-Front.

Die Nusra-Front besteht anders als der "Islamische Staat" größtenteils aus syrischen Einheimischen. Ihr Gedankengut ist nicht minder radikal als das der IS-Konkurrenz. Auch personell gibt es Überschneidungen. Doch anders als die Nusra-Front will die IS-Führung keine Anweisungen von Kaida-Chef Sawahiri akzeptieren und inszeniert sich selbst als Nachfolger des getöteten Osama bin Laden - unter Umgehung Sawahiris.

Die Nusra-Führung wiederum ist eng verwoben mit der Zentralführung von Al-Kaida, weshalb sie auch als syrischer Ableger von Al-Kaida bezeichnet wird. Seit 2013 steht sie daher auf der Terrorliste der Uno.

Im Nordwesten gibt die syrische Al-Kaida den Ton an

Unterstützung scheint die Nusra-Front dabei vom reichen Golfstaat Katar zu erhalten. Bewiesen ist dies nicht, doch hat Katar offensichtlich Einfluss auf die Nusra-Front: Bereits mehrmals konnte Katar Geiselfreilassungen mit der Gruppe vermitteln. Zudem bot es auf seinem Staatssender Al-Jazeera dem Nusra-Anführer eine Werbeplattform für seine Botschaften.

Im Nordwesten Syriens hat die Nusra-Front langsam aber stetig ihren Einfluss auf Verwaltung und Recht ausgeweitet, auf Kosten anderer Rebellengruppen. Terrorexperte Lister macht dafür die Zurückhaltung des Westens verantwortlich: "Die Nusra-Front hat in Syrien Einfluss bekommen, weil moderatere Elemente der Opposition unzureichende Unterstützung bekommen haben. Dies muss sich ändern."

Als Zeichen ihrer wachsenden Ambition hat die syrische Al-Kaida zuletzt sogar eigene Institutionen ausgerufen, die sie "Verwaltung der befreiten Gebiete" nennt. Seitdem müssen Syrer in den Städten Idlib oder Dschisr al-Schughur ihren Strom und Wasser von der syrischen Al-Kaida kaufen und ihre Steuern den Terroristen zahlen.

Viele Syrer sehen die Radikalislamisten kritisch. In diesem Jahr gab es wochenlange Demonstrationen gegen die Nusra-Front. Ob dies aber die Dschihadisten beeindrucken wird, ist fraglich. Auch gegen den "Islamischen Staat" in Syrien gab es anfangs Proteste. Doch die Terrormiliz ließ ihre Gegner foltern und brutal hinrichten. Zivilen Widerstand gibt es nun nur noch im Untergrund.

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