Kann sich Schoigu noch halten? Putins mögliches Bauernopfer
Im Zentrum der Kritik von Wagner-Chef Prigoschin steht ein Mann: der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Noch hält Putin an ihm fest.
Die Revolte des Wagner-Chefs Jewgenij Prigoschin war der bisherige Höhepunkt seiner massiven Kritik an Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Dem Putin-Vertrauten werden schon länger Versäumnisse in der Führung des Ukraine-Kriegs vorgeworfen. Prigoschin war die lauteste Stimme und forderte wiederholt seinen Rauswurf. Doch auch nach dem nun abgebrochenen Marsch der Wagner-Söldner Richtung Moskau ist Schoigu noch im Amt.
Putins Sprecher Dmitri Peskow beeilte sich am Samstag zu sagen, ihm sei nicht bekannt, dass sich die Haltung von Präsident Wladimir Putin seinem Verteidigungsminister gegenüber geändert habe. Personalfragen seien nicht Gegenstand der Gespräche zur Beendigung des Aufstands gewesen, sagte Peskow.
Bericht: Zugeständnisse über Zukunft Schoigus gemacht
Der amerikanische Sender ABC News berichtet unter Berufung auf US-Quellen, dass Putin völlig schockiert darüber gewesen sein, wie schnell sich die Wagner-Gruppe durch Russland bewegte. Nach Einschätzung der USA wolle Putin nicht dabei gesehen werden, wie er über die Zukunft seines Verteidigungsministers verhandelt. Die Quelle sagte aber dem Sender, die USA seien davon überzeugt, dass Zugeständnisse hinsichtlich der Zukunft Schoigus und von anderen gemacht wurden.
Als Chef der russischen Privatarmee Wagner hatte Prigoschin Minister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Niederlagen in dem Krieg verantwortlich gemacht. Er sagte immer wieder, dass der Krieg mit dem Minister und Gerassimow nicht zu gewinnen sei. Prigoschin beklagte auch Korruption, Bürokratie, Betrug und Diebstahl in den russischen Streitkräften unter der Führung der beiden.
Schoigu wollte Söldner unter das Kommando des Minsteriums stellen
"Das Verteidigungsministerium versucht, den Präsidenten und die Öffentlichkeit zu täuschen", sagte Prigoschin vor der Revolte. "Die militärische Spezialoperation wurde aus ganz anderen Gründen begonnen."
Dann fügte der berüchtigte Söldnerchef hinzu: "Der Krieg war notwendig, damit Schoigu den Titel eines Marschalls erhält. (...) Und nicht, um die Ukraine zu demilitarisieren und zu denazifizieren." Außerdem hätten sich russische und prorussische Oligarchen Vorteile von dem Krieg erhofft, wetterte Prigoschin. Beweise legte er dafür nicht vor. Der 68-jährige Schoigu wiederum hatte ins Gespräch gebracht, die Söldnertruppen unter sein Kommando zu stellen – was Prigoschin vehement ablehnte.
Kritik an Schoigu von mehreren Seiten
Doch Prigoschin war nicht der Einzige, der Schoigu ins Visier genommen hatte. Schon kurz nach Kriegsbeginn gab es Stimmen aus den russischen Reihen, die Zweifel an Schoigus Fähigkeiten äußerten. Ein ehemaliger Kommandeur der prorussischen Streitkräfte in der Ostukraine machte bereits im Mai 2022 dem russischen Verteidigungsminister wegen ausbleibender militärischer Erfolge schwere Vorwürfe. "Ich beschuldige Sergej Schoigu mindestens der kriminellen Fahrlässigkeit", sagte Igor Girkin in einem Videointerview, das auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht wurde. Der russische Nationalist ist selbst kein Unschuldiger: Er ist wegen seiner Beteiligung am Abschuss des MH-17-Fluges über der Ukraine in Abwesenheit in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Erst vor wenigen Tagen machte ein Kurzvideo die Runde, in dem Putin bei einer Veranstaltung Schoigu die kalte Schulter gezeigt haben soll. Spekulationen wurden laut, dass sich das Verhältnis der beiden abgekühlt habe.
Selbst Kadyrow war unzufrieden
Im Januar hatte Wladimir Putin auf die schleppende Offensive in der Ukraine reagiert – und Generalstabschef Gerassimow zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Ukraine ernannt. Er ersetzte Luftwaffengeneral Sergej Surowikin, der Anfang Oktober den Posten erhalten hatte. Surowikin wurde Gerassimows Stellvertreter. Doch auch Gerassimow konnte bislang keine weiteren Erfolge nachweisen – und das schwächt auch die Stellung von Schoigu.
Neben Prigoschin hatte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow Kritik am Verteidigungsminister geübt. Er hatte im vergangenen September eine Generalmobilmachung gefordert. "Wenn man mich fragt, ich würde den Kriegszustand erklären und alle Möglichkeiten dafür nutzen, um so schnell wie möglich mit diesen Ungläubigen aufzuräumen", schrieb er damals auf Telegram. Er bemängelte öffentlich fehlende militärische Unterstützung – Putin erhob ihn trotzdem in den Rang eines Generaloberst.
PR-Kampagne als Gegenmaßnahme?
Nachdem die ukrainische Stadt Lyman von den russischen Besatzern wieder aufgegeben wurde, forderte die einflussreiche Bloggerin und ehemalige PR-Chefin des Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin, Anastassija Kaschewarowa, Antworten von Schoigu und Gerassimow: "Weiß der Präsident von den Vorfällen? Wer berichtet ihm? Wo ist die Ausrüstung? Wo sind die (Panzer) Armata? Wo ist alles? Wie konnte das passieren? Eingesackt? Verkauft? Wo ist es hin? Gab es das überhaupt?"
Der russische Verteidigungsminister ist sich der Anfeindungen offenbar bewusst. Das britische Verteidigungsministerium sah noch vor wenigen Tagen eine PR-Kampagne: "Schoigu ist sich wahrscheinlich der Notwendigkeit bewusst, angesichts der zunehmend unverhohlenen Kritik einiger Landsleute ein positives Image aufrechtzuerhalten", schrieb es in seiner Einschätzung. So würde der Minister übertrieben Behauptungen zu ukrainischen Verlusten aufstellen.
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Nie selbst in der Armee gewesen
Putins Mann für die Verteidigung hat selbst nie gedient – was ihm bisweilen ebenfalls zum Vorwurf gemacht wurde. Er ist studierter Bauingenieur, arbeitete zunächst in diesem Beruf. Seine politische Karriere begann noch unter Boris Jelzin – der gab ihm die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz. Schoigu wusste sich bei Unglücken in Szene zu setzen und wurde 1999 als "Held der Russischen Föderation" ausgezeichnet. 2012 machte Putin ihn zum Verteidigungsminister – und plötzlich war der Ingenieur auch Armeegeneral.
Die fehlende persönliche Erfahrung in Uniform sei ein Grund dafür, dass er in Militärkreisen nicht ernst genommen würde, berichtete der britische Geheimdienst. Es wurden sogar Gerüchte laut, er sei bei Putin in Ungnade gefallen. Noch hält der Kremlchef an Schoigu fest. Doch könnte dieser ein Bauernopfer werden, um nach dem Wagner-Aufstand die Wellen der Empörung abebben zu lassen. Ob der Mann aus Sibirien die nächsten Tage politisch überleben wird, muss sich nun zeigen.
- zdf.de:" London: Schoigu übertreibt bei Kriegsangaben"
- tagesspiegel.de: "Russische Misserfolge in der Ukraine: Sergej Schoigu – einst Putins Liebling, nun der Sündenbock"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- abcnews.go.com: "Wagner chief orders mercenaries to stop advance on Moscow" (englisch)
- Eigene Recherchen