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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Tod von Berlusconi "Es wird nichts Positives von ihm bleiben"
Was bleibt von Silvio Berlusconi? Der Politikwissenschaftler Roman Maruhn glaubt: nicht viel Positives.
Der frühere Regierungschef Mario Monti nannte ihn einst den "Vater aller Populisten", er sich selbst den "Jesus Christus der Politik": Jetzt ist Silvio Berlusconi, Medienmogul, Bauunternehmer, Fußballfunktionär und viele Jahre Ministerpräsident von Italien, im Alter von 86 Jahren verstorben.
Berlusconi prägte über lange Zeit die Politik seines Landes. Doch Politikwissenschaftler Roman Maruhn kann trotzdem nicht viel Positives sehen, was von dem verstorbenen Politiker bleiben wird. Im Gespräch mit t-online erklärt Maruhn, wie es mit der italienischen Regierung nun weitergehen wird, warum sich Berlusconi so lange in der Politik halten konnte und warum er in ihm nicht einen prototypischen Rechtspopulisten sieht.
t-online: Herr Maruhn, Silvio Berlusconi war viermal Ministerpräsident Italiens und insgesamt so lange in dem Amt wie kein anderer seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie sehr hat er das Land geprägt?
Roman Maruhn: Er hat trotz seiner Skandale eine Art Bilderbuchkarriere hingelegt: Er hat sich bis zu seinem Tod in der Politik gehalten und mit der Forza Italia eine erfolgreiche Partei geschaffen. Insofern hat er die italienische Politik sehr geprägt. Als Phänomen wird man ihn sicher nicht vergessen. Aber vielen Leuten wird es vielleicht jetzt auch dämmern, was er für einen politischen Schaden angerichtet hat. Ich kann nicht wirklich erkennen, dass etwas Positives von ihm bleiben wird.
Sein Politikstil wird bisweilen auch "Berlusconismus" genannt. Was machte diesen Stil aus?
Ob der Berlusconismus ein eigener Stil ist, weiß ich nicht. Wirklich kennzeichnend war aber die große Personalisierung: Seine Partei Forza Italia drehte sich immer nur um ihn. Das ging so weit, dass auch seine Regierungen darunter gelitten haben. Denn letztlich zählte immer nur sein Wort bei allen Entscheidungen – und er hörte auch sonst fast auf niemanden.
Zur Person
Roman Maruhn ist freier Journalist und Politikwissenschaftler und lebt in Palermo.
Wo war das erkennbar?
Berlusconi hat sich häufig mit den falschen Leuten eingelassen. Er hat zum Beispiel den libyschen Diktator Gaddafi nach Italien eingeladen und so aus der politischen Isolation geholt. Später hat Gaddafi Italien in der Flüchtlingskrise erpresst. Gleiches gilt für Berlusconis Nähe zu Wladimir Putin: In der aktuellen Regierung war er dort immer das schwache Glied. Denn er hat Putin auch nach Beginn seines Angriffskriegs in der Ukraine häufig verteidigt.
Für viele galt er als Prototyp des Rechtspopulisten. Hat er viele Politiker rechts der Mitte wie Wladimir Putin oder Donald Trump auch inspiriert?
Berlusconi war ein extremer Populist. Er ließ alles auf seine Person zulaufen. Er hat immer wieder versucht, juristische Ermittlungen gegen sich zu verhindern. Auch hatte er keine Scheu, mit extrem rechten Parteien zusammenzuarbeiten. Insgesamt würde ich ihn aber nicht als reinen Rechtspopulisten sehen. Ich sehe ihn eher im liberal-konservativen Spektrum. Wir dürfen nicht vergessen: Seine Partei gehört im EU-Parlament noch immer zur EVP, zu der auch CDU und CSU gehören.
Die Zugehörigkeit zur EVP ist allerdings umstritten. Wegen seiner vielen Skandale wurde Berlusconi im Ausland häufig eher belächelt bis abgelehnt. Warum hat ihm das in Italien weniger geschadet?
Wenn die Kritik aus dem Ausland zu scharf wird, stellen sich die Italiener gerne hinter ihren Regierungschef. Das traf auch auf Berlusconi zu, selbst wenn er mal wieder weit über die Stränge geschlagen hatte. Zudem hatte sich das Land irgendwann an ihn gewöhnt. Da wurde auch großzügig über die "Bunga Bunga"-Partys hinweggesehen. Trotzdem wurde er für einige Vergehen verurteilt und zeitweise vom Parlament ausgeschlossen.
Für einen Ministerpräsidenten hielt er sich trotzdem recht lange. Hat er nicht auch eine gewisse Stabilität gesorgt, die Italien sonst eher selten hat?
Er hat immer für sich gekämpft, sowohl politisch als auch juristisch. Es hatte einen Grund, warum er als erfolgreicher Geschäftsmann Anfang der Neunziger in die Politik ging: Vermutlich hatte er Angst, dass er sonst eines Tages Ärger mit der Justiz bekommen könnte. Es gab von Anfang an extreme Interessenskonflikte zwischen dem Politiker und dem Unternehmer Berlusconi. Sowas hätte vermutlich kaum ein anderes Land in Europa geduldet.
Er hat sich vor allem deshalb so lange gehalten, weil er verhindern wollte, dass ihn die Justiz ihn irgendwann verurteilt?
Absolut. Es ging ihm immer nur um sich selbst. Er hatte ansonsten keine wirkliche politische Mission. Deshalb wird außer seiner Partei auch wenig von ihm bleiben.
Hat die Forza Italia ohne ihn überhaupt eine Zukunft?
Echte Strukturen gibt es dort nicht. Zudem hat die Partei finanzielle Probleme. Berlusconi konnte das zu Lebzeiten ausgleichen. Ohne ihn halte ich es für denkbar, dass sie weiter an Stimmen verliert oder irgendwann ganz verschwindet.
Die Nummer eins ist die Forza Italia schon länger nicht mehr. Heute gibt es auch Parteien, die sie rechts überholt haben: die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni und die Lega von Matteo Salvini. Alle drei Parteien stellen heute die italienische Regierung. Könnte die Koalition jetzt durch seinen Tod auseinanderbrechen?
Das glaube ich eher nicht. Berlusconi hatte schon länger gesundheitliche Probleme. Meloni dürfte sich deshalb auf diese Situation vorbereitet haben. Bei der Forza Italia dürfte jetzt Antonio Tajani (ehemaliger Präsident des EU-Parlaments, Anm. d. Red.) eine große Rolle spielen, der Vizeregierungschef und Außenminister ist. Unter Umständen könnte die Regierung jetzt auch noch stabiler werden. Denn Berlusconi war immer ein Unruheherd.
Herr Maruhn, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Roman Maruhn