Optimismus in Brüssel Wenn Politiker vom Brexit-Exit träumen
In Europa macht sich wieder gute Laune breit. Das liegt auch an den Visionen des neuen französischen Präsidenten und der Rückendeckung durch Angela Merkel. Beim EU-Gipfel in Brüssel träumen manche gar vom Brexit-Exit.
Wenn ein Politroutinier in Brüssel John Lennon zitiert, dann weiß man: Europa sieht sich im Aufwind. "You may say I'm a dreamer, but I am not the only one", sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk . "Ihr könnt mich einen Träumer nennen, aber ich bin nicht der einzige." Soweit Tusks poetischer Beitrag zur Frage, ob die Entscheidung Großbritanniens zum EU-Austritt umkehrbar wäre. Nach Jahren, in denen in Europa eine Krise der anderen folgte, macht sich derzeit gänzlich unüblicher Optimismus breit. Fragt sich nur, wie realistisch das ist.
In der Tat träumt Tusk dieser Tage nicht allein und nicht nur vom Brexit-Exit. Vieles scheint möglich, seit mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein glühender Europafreund in den Élysée-Palast eingezogen ist. Die Abfuhr für die EU-Gegner auch bei den Wahlen in den Niederlanden und eine Londoner Regierung, die dem Brexit bislang nur hilflos entgegen stolpert, tun ein Übriges. Brüssel bläst die Backen auf.
So viel gute Laune soll nicht verpuffen. Es sei Zeit für die Erneuerung Europas, sagt Macron. Aufdrücken dürfe man das den Völkern des Kontinents aber nicht, wie er der "Süddeutschen Zeitung" und anderen Blättern gerade erläutert hat. "Wir müssen sie mitnehmen, wir müssen sie wieder träumen lassen!" Auch von Europa, einem "Europa, das schützt", wie Macron gerne sagt: vor Sozialdumping, vor chinesischen Investoren-Heuschrecken, vor den harschen Winden ungezügelter Globalisierung. Gelingen soll das im Schulterschluss mit Berlin, in einer "Allianz des Vertrauens".
Merkel will Wachstum spürbar machen
Kanzlerin Angela Merkel, die Analytische, Erfahrene, reagiert auf Macrons Reformeifer mit viel Sympathie, aber auch Zurückhaltung. "Ich glaube, dass gerade auch Kreativität und neue Impulse, die von Frankreich ausgehen, die von Deutschland und Frankreich ausgehen, allen gut tun können", sagt sie. Aber sie weiß auch, worauf es zunächst ankommt. Endlich gebe es wieder Wachstum in allen Ländern. Das müsste aber auch "spürbar werden für die Menschen, sowohl was Arbeitsplätze anbelangt, aber auch was das Thema Sicherheit anbelangt."
Und beim Blick auf die Gipfel-Verhandlungen gibt es auch mindestens zwei Punkte, die Merkel nicht nur gute Laune machen. Da ist erst einmal der Streit um die beiden EU-Agenturen, die viele Länder gerne haben wollen. Dass es eine Absprache zwischen Deutschland und Frankreich gebe, wird von beiden Seiten zurückgewiesen, dass Merkel aber zumindest eine der beiden Prestige-Behörden, entweder die Bankenaufsicht EBA oder die größere Arzneimittel-Agentur EMA, nach Deutschland holen möchte, ist auch klar.
Noch heikler ist die Kritik an den Plänen für die Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland. Die EU-Kommission will dafür ein Verhandlungsmandat mit Russland. Merkel lehnt das bisher ab, weil es sich nach deutscher Lesart um ein privates unternehmerisches Projekt handelt. Macron und Merkel: Da bleibt noch vieles zu besprechen. Nächste Gelegenheit: Die Trauerfeier für Altbundeskanzler Helmut Kohl am 1. Juli in Straßburg. Gelegenheit vor allem auch, die neue deutsch-französische Nähe zu demonstrieren.