"Ein Akt der Grausamkeit" Druck auf Wien und Balkanländer wächst
Schon seit Tagen hatte es an der mazedonisch-griechischen Grenze gebrodelt - am Montag dann entlud sich die Spannung in einem Gewaltausbruch mit mehreren Verletzten. Nun sind sich viele einig: Die Schuld daran tragen vor allem Österreich und die Balkanländer.
Mazedonien, erstes Land auf der sogenannten Balkanroute, hatte kürzlich ebenso wie Serbien und die EU-Staaten Kroatien, Österreich und Slowenien Tageshöchstgrenzen für die Einreise von Flüchtlingen eingeführt. In der Folge sitzen nach Angaben aus Athen über 22.000 Menschen in Griechenland fest.
Bis März könnten es 70.000 werden, warnte die Regierung. Sie traf sich am Montag zu einer Krisensitzung und öffnete eine Baseball-Arena in Athen, um dort 2000 Flüchtlinge unterzubringen.
"Akt der Grausamkeit und ein Irrglaube"
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Österreich und die anderen Balkanländer am Sonntagabend in der ARD scharf kritisiert. Diese könnten Griechenland nicht einfach aufgeben und "ins Chaos stürzen", sagte sie.
Aber auch in den Vereinten Nationen bringt man kein Verständnis für die Strategie Österreichs und der Balkanstaaten auf. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Zeid Ra'ad al-Hussein erhob heftige Vorwürfe: Die Flucht "dieser verzweifelten Menschen" mit dem Bau von Mauern und Grenzzäunen stoppen zu wollen, sei "ein Akt der Grausamkeit und ein Irrglaube".
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl beklagte, die Verantwortung für das "skandalöse Verhalten" Mazedoniens gegenüber Schutzsuchenden trage "die österreichische Regierung, die eine Kettenreaktion auf dem Balkan ausgelöst hat". Die Flüchtlinge säßen in Griechenland "in der Falle", die Balkanroute müsse wieder geöffnet werden, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Zuvor hatte bereits Frank-Walter Steinmeier das Verhalten Österreichs in der Flüchtlingskrise kritisiert. Der Bundesaußenminister warnte angesichts der aktuellen Lage vor Rissen im Verhältnis von Deutschland zu seinem Nachbarn. "Ich habe immer deutlich gemacht: nationale oder regionale Alleingänge mögen nur auf den ersten Blick Abhilfe bieten", sagte Steinmeier der griechischen Zeitung "Ta Nea".
Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bezeichnete die Kritik als "absurd". Wien müsse sich "keinen Vorwurf gefallen lassen - von keiner Seite", sagte sie der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Mehrere Verletzte an der mazedonischen Grenze
Am mazedonisch-griechischen Grenzübergang Idomeni war es am Vormittag zu dramatischen Szenen gekommen. Etwa 300 Iraker und Syrer durchbrachen die Polizeiabsperrungen und drangen auf die Bahnstrecke von Griechenland nach Mazedonien vor. Die Menschen versuchten, Stacheldrahtabsperrungen niederzureißen und riefen "Macht die Grenzen auf!".
Einige Flüchtlinge warfen Steine auf die Beamten, die mit Tränengas schossen. Die Menge zog sich schließlich zurück, nicht zuletzt, weil viele Kinder wegen des Tränengases Atemnot hatten. Es kam zu Panik.
"Mindestens dreißig Menschen haben um eine Behandlung gebeten, darunter viele Kinder", teilte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mit. Nach mazedonischen Angaben wurde auch ein Polizist verletzt ins Krankenhaus gebracht.
Mazedonischer Präsident erklärt Grund der Grenzschließung
Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov verteidigte das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte. Ohne die Grenzschließung "wäre Mazedonien mit Flüchtlingen überschwemmt worden", sagte er zu "Spiegel Online". Grund sei die Einführung der Obergrenze in Österreich. "Immer wenn ein Land weiter nördlich seine Grenze schließt, machen wir hier dasselbe."
Mehr als 7000 Flüchtlinge sitzen derzeit in Idomeni an der Grenze fest. Mazedonien lässt täglich nur noch wenige hundert Syrer und Iraker passieren. Viele Neuankömmlinge legten sich am Montag auf der griechischen Seite auf die Bahngleise. "Wir sind Menschen, keine Tiere", war auf Plakaten zu lesen.
Brüssel schnürt Nothilfepaket von 700 Millionen Euro
Die EU-Kommission bereitet offenbar umfangreiche Nothilfe für diese Flüchtlinge vor. Brüssel sei bereit, "alle verfügbaren Instrumente" zu nutzen, um eine humanitäre Krise zu verhindern, sagte eine Sprecherin. Es geht demnach um die Bereitstellung von Unterkünften, Sachleistungen und finanzieller Hilfe. Die Flüchtlingskrise steht auch auf einem EU-Sondergipfel in einer Woche in Brüssel auf der Tagesordnung.
Zudem berichtet das "Wall Street Journal", dass die EU-Kommission zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ein Nothilfe-Paket von 700 Millionen Euro schnüre. Das Geld solle in den kommenden drei Jahren vor allem nach Griechenland fließen. Zur Finanzierung könnte ein Topf angezapft werden, der eigentlich für Nothilfe in Afrika und anderen Regionen außerhalb der EU reserviert ist.