"Europa ist nicht nett" Immer mehr Iraker kehren in ihre Heimat zurück
Enttäuschte Hoffnungen: Wegen lange andauernder Verfahren und schlechter Unterkünfte kehren immer mehr Iraker in ihr Land zurück. Die Nachfrage nach Flugtickets steigt stetig.
Leith Khdeir Abbas hat genau vor Augen, was er tun wird, wenn er am nächsten Tag zurück in seiner irakischen Heimat sein wird: "Wenn ich wieder in Bagdad bin, werde ich niederknien und die Erde küssen", sagt der 27-Jährige. Noch aber steht er in der Abflughalle des Berliner Flughafens Tegel und wartet mit rund 50 anderen Irakern, dass ihr Flug aufgerufen wird: Iraqi Airways - direkt aus der deutschen Hauptstadt ins kurdische Erbil, in gut fünf Stunden. Einmal pro Woche geht ein solcher Flieger. Wer will, kann von Erbil aus direkt weiter nach Bagdad fliegen. Die meisten Rückkehrer hatten auf ein besseres Leben in Deutschland und eine Anerkennung als Flüchtling gehofft. Doch vielen wird dies verwehrt oder die Verfahren dauern ihnen zu lange.
"Ich bin nach Deutschland geflüchtet, um meine Zukunft aufzubauen. Aber ich habe gemerkt, dass ich das auf der Grundlage von falschen Versprechungen nicht schaffen kann", sagt Abbas, der vor vier Monaten nach Deutschland kam. "Ich habe Heimweh und fühle mich erniedrigt." Er berichtet von schlechten Bedingungen in den Unterkünften, unhygienischen Toiletten und fadem Essen. Der Iraker erzählt, seine Flucht habe 4000 Dollar gekostet - inklusive eines Betrags für einen Schlepper, der eine Überfahrt von der Türkei nach Griechenland organisierte. Später sei er weiter über die Balkanroute bis nach Deutschland gereist.
"Europa ist nicht nett"
Sein Landsmann Hassan, der aus den Kurdengebieten im Nordirak stammt, zeigt sich ebenfalls tief enttäuscht: "Europa ist nicht nett. Sie gaben mir keine Aufenthaltsgenehmigung, kein Geld." Nun gehe er nach drei Monaten zurück.
"Es ist traurig zu sehen, wie so viele junge Männer sich auf den Weg zurück in ein Kriegsgebiet machen", sagt Iraqi-Airways-Vertreterin Andesha Karim. Weitere Flüge nach Erbil bietet die Fluggesellschaft von Düsseldorf und Frankfurt an.
37.200 Migranten wollten bisher zurück
Ardalan Hassan von der Reiseagentur Dania Travel im Stadtteil Wedding berichtet von 70 bis 90 Personen, die pro Woche aus Berlin freiwillig die Rückreise antreten und dafür bei ihm oder anderen Reisebüros die Flugtickets kaufen.
Bundesweit machten sich nach Angaben des Innenministeriums im vergangenen Jahr 37.200 Migranten freiwillig auf den Weg zurück und wurden dabei finanziell unterstützt. Dies waren mehr als die 21.000, die per Abschiebung das Land verlassen mussten. Aus den als sicher geltenden Westbalkanstaaten Albanien, Kosovo und Serbien stammten allein fast 27.000 Rückkehrer.
Aus dem Irak waren es 724, davon 19 aus Berlin. Allerdings steigt die Zahl deutlich an: Während es bis August pro Monat weniger als 30 Iraker waren, die sich eine Rückreise bezahlen ließen, waren es im September 61, im Oktober 124 und im Dezember schon 201 Person. Über die Internationale Organisation für Migration bekommen sie die Kosten bezahlt, eine Reisebeihilfe oder eine sogenannte Starthilfe pro Person.
1600 Behelfspässe ausgestellt
In den Zahlen sind diejenigen nicht erfasst, die ohne Förderung auf eigene Faust das Land verlassen. Denn in Deutschland gibt es kein Ausreiseregister. Der wachsende Trend zur Rückkehr in den Irak lässt sich auch an der Zahl der bei der Botschaft beantragten Behelfspässe ablesen, die für eine einmalige Einreise in den Irak gelten. Bis Ende Januar wurden nach Angaben des Auswärtigen Amts 1600 davon ausgestellt - Ende Oktober waren es erst 150.
Laut Reisemanager Hassan, der selbst aus dem Irak stammt, können viele Landsleute das Ticket durchaus aus eigener Tasche bezahlen oder sie bekommen Geld von ihren Familien geschickt. Sie hätten daher auch keine Lust, zwei Monate auf die Zusage für eine Förderung zu warten. Ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung sagt, bei den Rückkehrern handele es sich nicht selten um junge Leute, die es einfach mal in Deutschland probiert hätten und dann merkten, dass es für sie hier nicht so funktioniere, wie gedacht.
Zurück zu ihren Familien
Laut Hassan sind die meisten Iraker aus wirtschaftlichen Gründen gekommen. Sie wollten vor allem der Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatland entkommen - oft beeinflusst von schönen Bildern und falschen Versprechungen über Deutschland in den sozialen Medien. Doch schnell hole sie die Wirklichkeit ein, und es komme die Erkenntnis, dass es ihnen in der Heimat bessergehe. Viele wollten auch einfach zurück zu ihren Familien. Und das alles, obwohl die Situation im Irak alles andere als sicher sei. Allerdings liegen Erbil wie auch Bagdad außerhalb der von der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) kontrollierten Gebiete.
Doch längst nicht alle Iraker in Deutschland haben die Hoffnung auf ein besseres Leben hier aufgegeben. Abdallah al-Alagi etwa ist nur zum Flughafen gekommen, um Abschied von seinem Freund Abbas zu nehmen. "Ich bleibe. Wenn es keine Fortschritte bei meinem Asylantrag in Deutschland gibt, werde ich in ein anderes europäisches Land gehen." Abbas muss beim Abschied seine Tränen unterdrücken. Al-Alagi ruft ihm hinterher: "Sag meiner Mutter, sie soll mir gutes Essen schicken."