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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Dr. Sommer" aus Mumbai Indischer Sex-Guru gibt mit 91 noch Tipps
Dr. Mahinder C. Watsa sitzt in seinem Büro auf seinem mit Bast bespannten Holzstuhl. Männer und Frauen schicken ihm täglich haufenweise Briefe und Mails.
Sex-Guru beantwortet 65 bis 70 Mails pro Tag
Die Fragen, die er bekommt, sind oft sorgenvoll und verwirrt, andere prahlerisch oder von Aberglauben beeinflusst, oft auch kurios oder gar grotesk. Jeden Tag beantwortet Dr. Watsa 65 bis 70 Mails, hinzu kommen handgeschriebene Briefe, die er ebenfalls durchackert.
Sexperte macht seinen Job seit über 60 Jahren
"Kann übermäßig häufiges Masturbieren die Größe des Penis verringern?", wurde Dr. Watsa jüngst gefragt. "Verringert der häufige Gebrauch deiner Zunge deren Größe?", fragte er gewitzt zurück. Ein anderer wollte wissen: "Ich habe gehört, dass säurehaltige Substanzen Schwangerschaften verhindern können. Kann ich nach dem Geschlechtsverkehr einige Tropfen Zitronen- oder Orangensaft in die Scheide meiner Freundin tröpfeln?"
Dr. Watsa lacht nicht, wenn er das vorliest. Höchstens ein kleiner Seufzer kommt ihm über die Lippen. Denn schon seit den 60er Jahren beantwortet der Gynäkologe und Geburtshelfer diese Fragen, erst in einer "Lieber Doktor"-Kolumne, nun in der täglichen Spalte "Fragen Sie den Sexperten" in der Zeitung "Mumbai Mirror". Die Probleme hätten sich nur wenig verändert über die Jahrzehnte, sagt der 91-Jährige. Immer wieder muss er bei Null anfangen.
Offen über Sex zu sprechen, ist in Indien ein Tabu
Denn Sexualaufklärung gibt es in den meisten Schulen in Indien nicht, in vielen Bundesstaaten ist sie sogar verboten. Statt werden zarte Umschreibungen verwendet.
Wenn jemand "Sex" beim Abendessen sagt, verstummen mit Sicherheit alle am Tisch. "Es gibt diesen Glauben in Indien, dass die Jugendlichen schneller Sex haben, wenn sie aufgeklärt sind", ärgert sich Dr. Watsa.
Verstockte Sexmoral und Aufklärung durch schmutzige Witze
Von einer verstockten Sexualmoral spricht auch Ketaki Chowkhani, die ihre Doktorarbeit zum Thema Sexualkunde und Sexualität von Heranwachsenden in Mumbai schreibt. Sex vor der Ehe werde praktiziert, doch abschätzig beurteilt, sagt sie. "Wenn niemand offen darüber spricht, erfahren viele Kinder von Sex zunächst nur durch schmutzige Witze, Schimpfwörter, Nacktfotos und Pornos."
Masturbation und Verhütung: wichtige Themen für Jugendliche
Weil Sozialarbeiter an dem Thema nicht interessiert waren, Doktoren nicht Bescheid wussten und Schulen nicht durften, habe er die Sexualkunde eben selbst in Angriff genommen, sagt Dr. Watsa. 1976 bildete er die ersten Sexualforscher Indiens aus.
Für die nicht-staatliche Gesellschaft für Familienplanung (FPAI) entwarf er Unterrichtsstunden außerhalb des Lehrplans. "Die Jugendlichen wollen ja über Masturbation und Verhütung reden, die sind wissbegierig", sagt Kalpana Apte von FPAI.
Sansrit-Verse aufsagen fürs Kinderkriegen
"Kann eine Frau schwanger werden, wenn Sperma in einer Plastikflasche aufbewahrt und dann in ihre Scheide gegossen wird?", war eine der Fragen an Dr. Watsa. Ein anderer Wissbegieriger erhielt von einem Astrologen den Rat, altindische Sanskrit-Verse zu rezitieren und dabei am Penis zu ziehen. "Wenn das helfen würde, hätten die meisten Männer Penisse bis zum Knie", antwortete Dr. Watsa.
Noch eine Frage: "Nachdem ich viermal am Tag Sex hatte, fühle ich mich an nächsten Tag schwach. Etwa fünf Minuten lang sehe ich schwarz und ich erkenne nichts richtig. Bitte helfen Sie mir." Die Antwort: "Was erwarten Sie? Hurra- und Helden-Rufe in der ganzen Stadt?" Nach nun 40 000 Anfragen erkenne er eben, wenn ihn jemand auf den Arm nehmen wolle, sagt Dr. Watsa. Dann bekommen die Fragesteller statt einer gutmütigen Antwort seinen scharfzüngigen Witz zu hören.
Berufsende noch lange nicht in Sicht
Ans Aufhören denkt Indiens Dr. Sommer nicht. Vor wenigen Tagen ist sein erstes Buch erschienen, "It's Normal!" (Es ist normal), eine Sammlung der dunkelsten Sex-Ängste und pointiertesten Antworten.
Auch habe gerade mal wieder jemand gegen ihn Klage eingereicht, sagt er. Der Vorwurf: Er verderbe die Jugend und sei obszön. "Aber ich bin ja jetzt 91 Jahre alt, da habe ich eine Bescheinigung von meinem Arzt, dass ich nicht mehr vor Gericht muss", sagt er verschmitzt.