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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nachwuchstalente im Fußball "Die Seele hechelt immer hinterher"
"Die Seele hechelt immer hinterher, die Kinder müssen viel zu schnell erwachsen werden." Das ist die Erkenntnis einer Mutter, deren Sohn fast Fußballprofi geworden wäre. Er durchlief die Talentförderung, war Kandidat für eine Profikarriere – dann kam der Knick. Sie weiß: Sporttalente brauchen einen Plan B für das Leben.
Talent, Wille zum Erfolg, Charakterfestigkeit, gute Trainer und ein Schulabschluss - ist es das, was junge Talente für die Profikarriere im Fußball brauchen? Die den manchmal harten Weg junger Menschen vom Bolzplatz in die Bundesliga und die Segnungen der Sportförderung in Leistungszentren, die alle Wunderkinder des Sports entdeckt und dadurch paradoxerweise zu viele Verlierer produziert. Es ist ein Buch für Nachwuchsspieler und deren Eltern.
Die Autoren wissen, wovon sie reden: Thomas Tamberg ist Fußball-Experte und Sport-Redakteur bei t-online.de, Jörg Runde leitete für mehrere Jahre die t-online-Sportredaktion Sie decken mit ihrem Buch ein Thema ab, das bisher ein Graubereich war: Der Jugendfußball als Vorstufe zur Profikarriere, bis vor nicht allzu langer Zeit auch ein Graubereich in der Arbeit des DFB.
So funktioniert die Leistungsförderung
"Das genau war der Plan des DFB", erklärt Thomas Tamberg, dass durch die Sportförderung diese sogenannten Wunderkinder nicht verloren gehen, dass man die frühzeitig entdeckt und keiner mehr durchs Raster fällt und dass die frühzeitig auch gefördert werden." So startete dann vor zehn Jahren die intensive Nachwuchsförderung, da wurden die Leistungszentren gegründet, die jeder Profiklub brauchte. Heute gibt es rund 350 DFB-Stützpunkte in ganz Deutschland. "Dadurch ist es fast unmöglich, dass dem DFB ein Talent durchrutschen kann."
Geradlinig oder über Umwege
Viele Talente verbringen ihre Jugendzeit in einem Sport-Internat, um schulische und sportliche Laufbahn unter einen Hut zu bringen. Doch es gibt auch Ausnahmen wie André Schürrle. Er hatte zwar den Sprung in ein Leistungszentrum nicht geschafft, ist dann aber in einem Stützpunkt so positiv aufgefallen und dadurch doch wieder in den Fokus des Profifußballs gekommen. Damals war er 16. Hätte es diese Stützpunkte nicht gegeben, wäre er wohl irgendwann in der Regionalliga gelandet. So aber hat er doch noch den Sprung geschafft und spielt jetzt sogar die WM in Brasilien.
Diese Geschichten erzählen Tamberg und Runde, keine Geschichten vom Scheitern eines Karriereweges, aber von den Mühen und Problemen, die ihn begleiten.
Dazu gehören Pubertät, Null-Bock-Phasen oder Liebeskummer. "Wenn die Jungs in die Pubertät kommen und in einen anders interessierten Freundeskreis geraten, dann hat man eigentlich keine Chance mehr. Aber vielleicht sehnt sich der Junge ja nach etwas, was der Profisport ihm nicht gibt."
Zu viele Verlierer
Die Förderung ist ein Segen für den Profisport, aber birgt auch ein Dilemma. Der Leistungsfußball produziert zu viele Verlierer: "Jeder der da anfängt, träumt von der Bundesliga. Es gibt da keinen Jungen, der sagt, ich will mal dritte Liga spielen. Aber in die Bundesliga schaffen es ganz wenige", erzählt Tamberg, der viele Gespräche mit Sportlern geführt hat, die in das Buch eingeflossen sind.
Es gibt auch im Fußball das goldene Lernzeitalter, das mit zwölf Jahren anfängt. "Wer in der Jugend zwischen zwölf und 14 den falschen Trainer hat, der kann seine Profikarriere vergessen." In diesem Zeitraum, so Tamberg, werde die Ballbehandlung nahezu vollendet. "Ein 15-Jähriger hat fast die selbe Ballbehandlung wie ein Profifußballer. Da ändert sich nicht mehr viel. Wer diesen Zeitraum verpasst, der wird es nicht mehr schaffen. "
Von den Jugendnationalspielern landen nur etwa fünf Prozent in der Bundesliga. "Die anderen dümpeln dann irgendwo herum, obwohl sie schon in der Nationalmannschaft gespielt haben", da sind die Verlierer des Systems.
Bodenhaftung nicht verlieren
Ein anderes Problem ist die Bodenhaftung der kleinen Stars. "Je älter Kinder werden, desto mehr nabeln sie sich normalerweise von den Eltern ab. In diesem speziellen Fall ist es so, je älter die Spieler werden, desto mehr suchen sie die Nähe der Eltern. Denn die Schulterklopfer und falschen Freunde werden - je größer der Erfolg wird - ja auch immer zahlreicher. Und diese Spieler sehnen sich nach einem Fixpunkt, einem Ruhepol, auf den sie sich verlassen können, wo sie so sein können, wie sie wirklich sind."
"Mein Plan B war der Sportjournalismus", gibt Tamberg im Gespräch zu, "weil es bei mir für den Profifußball nicht gereicht hat. Natürlich habe auch ich den Traum geträumt, aber ganz schnell festgestellt, dass das nichts wird. Dann habe ich mir eine andere Möglichkeit gesucht, um in diesem Fußballzirkus weiter dabei zu sein."
Kinder sind fixiert auf ihren Traum
Deshalb räumen die Leistungszentren der Schule einen so hohen Stellenwert ein. Die Quote derer, die das Abitur schaffen, ist sogar höher als im Bundesdurchschnitt. Die Kids allerdings, so Tamberg, würden oft gar nicht realisieren, dass es diesen Plan B gibt. "Die sind so fokussiert auf ihren Traum und denken, wenn ich es im Fußball nicht in die Bundesliga schaffe, bin ich nichts wert, dann bringe ich mich um. Das sind natürlich alarmierende Signale. Aber am Ende geht es einfach um Leistung, das ist so und das wird immer so bleiben."
Ehrgeizige Eltern bremsen die Karriere
Ein weiterer Stolperstein sind übertrieben ehrgeizige Eltern: "Man stößt immer wieder auf die Geschichten, in denen Eltern die Karriere viel mehr wollen als die Kinder", erzählt Tamberg aus seinen Begegnungen. "Sie machen die Karriere dadurch schon kaputt, bevor sie überhaupt begonnen hat, weil sie zu sehr wollten, dass ihr Kind der Superstar wird."
Kinder von Eltern, die gelassen mit der möglichen Sportler-Karriere umgingen, kämen in der Regel am weitesten. Thomas Müller ist dafür ein gutes Beispiel Seine Eltern hätten ihn nie unter Druck gesetzt. "Das war völlig wurscht, ob der jetzt kickt oder nicht, man sieht ja, was aus ihm geworden ist."
Am Ende zählt immer die Leistung
Keiner hat eine Garantie auf Erfolg, es ist eine permanente Auslese. "Philipp Lahm sagte, der spannendste Moment für ihn als Jugendspieler war immer am Saisonende, wenn der Trainer sagte, wer bleiben darf und wer den Verein verlassen muss." Die Auslese ist hart, die Mannschaft verändert sich ständig. "Es ist zwar ein Mannschaftssport, aber es muss jeder schauen, wo er selbst bleibt. Unter dem Strich geht es immer nur um Leistung: Wer Leistung auf dem Platz bringt, der ist akzeptiert."
Charakter geht vor Talent
Dabei ist 14 oder 15 sowieso ein kritisches Alter, wenn dann auch noch die Karriere knickt, brechen Welten zusammen. Doch was macht bei einem 14 oder 15 - jährigen wirklich den Unterschied zwischen einem nur talentierten Fußallspieler und einem, der wirklich das Zeug hat zum Profi? Durch das Buch zieht sich eine klare These: Charakter geht vor Talent, das heißt, man braucht diesen absoluten Willen etwas zu erreichen. Man kann das tollste Talent sein, wenn man nicht diesen absoluten Willen hat, dann kann man es vergessen.
Ein harter Arbeitstag
Disziplin und Leistungsbereitschaft, Schule und Sport: Diese Jugendlichen haben einen viel härteren Tag als jemand mit einem normalen Beruf. "So viele Reize von außen, wenn dann der erste Erfolg kommt und sie sich mit 20 vor einem Mikrofon zur Lage der Nation äußern sollen - dann ist eigentlich zu viel, was den Jungs da aufgebürdet wird. Andererseits muss man sich als 20jähriger gestandener Spieler noch sagen lassen, wann man abends das Licht ausmachen muss."
Gedacht ist das Buch von Thomas Tamberg und Jörg Runde als Service für Eltern und Kinder, die in derartigen Entscheidungssituationen stecken. Konkrete Beispiele, spannend aufgeschrieben ohne zu beschönigen, ohne es schlecht zu reden, für jeden der davon träumt, Profifußballer zu werden.