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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sportvereine Sterben unsere Sportvereine wegen Nachwuchsmangel aus?
Den Sportvereinen laufen die jungen Mitglieder davon: Schulstress, kommerzielle Konkurrenz und Geldprobleme der Familien stecken dahinter. Wie kann das System Sportverein modern und fit für die Zukunft werden? Sportwissenschaftler und Trainer haben Antworten und noch mehr Fragen.
Zweimal pro Jahr neue Fußballschuhe, einmal Hallenschuhe für den Sohn, dazu Schienbeinschoner und einen Trainingsanzug, für die Tochter Tennisschuhe für drinnen und draußen, Schläger und das komplette Outfit. Das schlägt sich im Familienbudget nieder, auch wenn das noch relativ günstige Sportarten sind im Vergleich zu Reiten, American Football oder Eishockey. Dazu kommt ja auch noch der Beitrag für den Sportverein und bei vielen Sportarten die Kosten für die Trainerstunden und der Zusatzbeitrag für die Vereinssparte.
Können sich alle Familien Sport leisten?
Eine Umfrage des Apothekermagazins ergab, dass rund zwei Drittel der Deutschen überzeugt sind, dass sich Familien die Mitgliedschaften ihrer Kinder in Sportvereinen oder Sportkursen finanziell nicht leisten können. Trotzdem sind immer noch viele Menschen - gerade Familien - in Deutschland Mitglied im Verein. "Sportvereine sind für Familien sehr wohl erschwinglich und attraktiv", sagt Christoph Breuer. Der Professor der Deutschen Sporthochschule in Köln kennt die Unkenrufe, er verfasst schließlich den Sportentwicklungsbericht zur Analyse der Sportvereine in Deutschland. Sein Argument: "Die Beiträge und Familienmitgliedschaften sind relativ niedrig. Nicht-Mitglied zu sein, hat selten ökonomische Gründe, sondern kulturelle, bei Leuten, die sich im Regelfall den Beitrag leisten könnten." Er verweist darauf, dass muslimische Mädchen beispielsweise extrem selten in Sportvereinen sind.
Holger Fröhlich stimmt ihm zu. Der Lehrer war lange Zeit ehrenamtlich in der Jugendleitung eines Darmstädter Fußballvereins tätig. "Wenn eines unserer Kinder Probleme hat, den Beitrag zu zahlen, dann verweisen wir auf das Bildungspaket. Das reicht genau für die Mitgliedschaft in einem Sportverein. Das wird problemlos gezahlt."
Einfach draußen bewegen genügt nicht
Dabei wird es immer wichtiger, Kindern die Freude an Bewegung zu vermitteln: Kinder können heute nicht mehr Rad fahren, nicht mehr schwimmen, sie bewegen sich zu wenig und verlieren motorische Fähigkeiten, die sie sich im Spiel , beim Herumtoben, im Alltag aneignen könnten, das stellen viele Kinderärzte und Lehrer fest." Das Argument, es genüge, wenn Kinder viel im Freien sind, ist natürlich ein bisschen richtig", räumt Breuer ein, "zumindest unter physiologischem Aspekt. Was Bewegung, Ausdauer und Kraft angeht, ist es egal, ob Kinder sich im Verein oder im Freien bewegen", erklärt der Wissenschaftler. "Aber gerade die Familien, die sich wirklich den Beitrag nicht leisten können, haben keine Zugang zu attraktiven Parks, wohnen nicht in der Nähe eines Waldes und haben keine Garten bei ihrer meist kleinen Wohnung - hier schaffen Sportvereine Räume für Bewegung."
Außerdem haben Sportvereine neben dem Gesundheitsaspekt noch andere Funktionen, wie Sozialisation, soziale Integration. Die würden dann erlernt, so der Wissenschaftler, wenn eine Trainingsgruppe gemeinsam auf ein Ziel hin trainiert.
Platt, aber nicht ausgepowert
Meist sind die Kurse für Kinderturnen und die Bambini-Trainings auch noch gut besucht, der Schwund setzt erst dann ein, wenn die zeitliche Belastung durch die weiterführende Schule zu groß wird. Es wird immer schwieriger kindgerechte Trainingstermine vor 18 Uhr zu finden, die auch noch für den ehrenamtlichen Trainer passen. Einer dieser Ehrenamtlichen ist Holger Fröhlich. "Die Kinder sind körperlich nicht ausgepowert. Im Gegenteil, man merkt, dass sie nach einem kompletten Tag in der Schule einen riesigen Drang zur Bewegung verspüren, diesem aber nicht nachkommen können."
Eine andere Art des Trainings ist also gefragt: "Wir beobachten im Training, dass die Kinder vom Kopf her mehr als nur 'platt' sind. Hier ist eine geistige Ermüdung deutlich zu erkennen. Somit muss im Training verstärkt darauf geachtet werden, dass die Kinder in Bewegung kommen, ohne übermäßig geistig gefordert zu werden. Das gilt besonders für Gymnasiasten."
Kooperationen mit Schulen als Zukunftsmodell
Gegen Zeitmangel und Mitgliederschwund sollen nun Kooperationen zwischen Sportvereinen und Schulen helfen, eine Idee, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) seit einigen Jahren vorantreibt. Viele Modelle sind denkbar, viele Fragen - rechtlich, personell, finanziell, organisatorisch - noch offen. Mittlerweile kooperieren 17,8 Prozent aller Sportvereine mit Schulen.
Manche Vereine sehen hierin eine große Chance, einige aber auch Risiken. Innovationsfähige größere Vereine, die andere Sportarten als Fußball anbieten, versprechen sich davon auch, Nachwuchstalente zu finden, sei es Tennis oder Golf. Holger Fröhlich spricht als Trainer und Lehrer: "Leider wird dabei übersehen, dass sich hier die Trainerfrage gleich doppelt stellt, denn welcher Elternteil oder Trainer eines Vereins kann zu den üblichen Schulzeiten zwischen acht und 17 Uhr eine Mannschaft übernehmen und Training anbieten, der in Vollzeit im Beruf steht? Die einzigen Personen, die dies sicher bewerkstelligen können sind hier hauptamtliche Trainer, die für die kleinen Vereine nicht bezahlbar und unterhaltbar sind."
Er befürchtet, dass dann das amerikanische System der Schulmannschaften, die untereinander Wettbewerbe austragen würden, favorisiert und die Vereine verdrängt würden. Vereine hätten keine Beiträge mehr, die Mitglieder würden wegsterben, stattdessen würde die Schulen entsprechende Wettkämpfe austragen.
Deutsche Sportvereine sind mustergültig
Breuer dagegen ist überzeugt, dass der Sportverein nach deutschem Modell eine gute Zukunft hat, denn "alle Welt, besonders Asien ist neidisch auf die deutschen Sportvereine". In anderen Ländern ist Sport und Bewegung an Schulen und Betriebe gekoppelt. "Da gibt es keinen Seniorensport". Diese breite Sportbewegung durch alle Schichten und Altersgruppen wäre mit bezahlten Trainern überhaupt nicht möglich. In Deutschland trainieren sogar Leistungssportler im Verein, beispielsweise in "Jugend trainiert für Olympia". Es wird Spielgemeinschaften geben, manche Vereine werden schließen müssen, andere expandieren, je nach Mitgliederzahl und Innovationskraft.
"Sportvereine sind eine gesellschaftliche Leistung"
Motivation und Anerkennung der Ehrenamtlichen ist allerdings das A und O. Ein Verein, der seine Übungsleiter fortbildet erreicht dies und hat zudem noch ein breit gefächertes Sportangebot. Breuer: "Sportvereine sind eine gesellschaftliche Leistung durch die Bürgerschaft, warum sollte man das in Frage stellen, warum das zerstören?"
Für viele, wie auch Breuer selbst, sind Sportvereine die Basis des Sporttreibens, das individuell ergänzt wird durch Snowboarden, Klettern, Wandern, Skifahren, Radfahren, Laufen, oft wird auch noch das Sportabzeichen abgelegt. Fitness-Studios können kein Ersatz sein, da sind sich Fröhlich und Breuer einig und verweisen auf Studien, denen zu Folge das Training bei kommerziellen Anbietern weit weniger effektiv ist als im Verein.
Jugendliche stehen auf Fitness im Studio
Früher hätten viele Jugendliche ganz mit dem Sport aufgehört, heute arbeitet man im Fitnessstudio an der Figur. "Die Kinder sehen bei den Eltern, wie 'toll' Fitnessstudios sind, da hier jeder für sich arbeiten kann, dann wenn er Lust hat", gibt Fröhlich zu bedenken. "Diesen Trend gibt es, denn die Verpflichtung, sich auf eine Mannschaft einzulassen und damit auch Verantwortung zu übernehmen ist doch vielen lästig. Und wenn dann noch Vorbilder wie Schauspieler oder Sänger ihren Personal Trainer haben, will man das auch, zumal da was für die Muskeln getan wird und 'Mann' hinterher gut aussieht. Leider nicht immer unter fachkundiger Anleitung, so dass die Folgen für den Körper nicht vorhersehbar sind."