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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gebrüll im Supermarkt Sechs Konflikte mit Trotzkindern: So lösen Sie sie
Vor der Supermarktkasse wirft sich das Kind brüllend auf den Boden, weil es einen Schokoriegel will. Eine Expertin gibt Tipps, was in solchen Momenten hilft.
Morgens weigert sich das Kind, die blaue Hose anzuziehen. Abends gibt es Theater, weil es nicht Zähne putzen mag. Und zwischendrin schmeißt es auf dem Spielplatz wütend mit Sand. Eltern von Kleinkindern kennen solche Situationen zur Genüge.
In der Zeit um den zweiten Geburtstag herum geht es meistens so richtig los. Immer wieder treten Situationen auf, in denen das Kind etwas will, seinen Wunsch nicht ausleben darf und dann auf extreme Weise reagiert. Oft wird dann von der Trotzphase gesprochen. "Kleine Kinder haben noch keine ausgereifte Impulskontrolle", erklärt die promovierte Pädagogin und Psychologin Eliane Retz. "Deshalb sind sie wilder und können auch nicht so gut warten." Die Expertin für bindungsorientierte Erziehung hat das Buch "Wild Child" geschrieben, das für mehr Gelassenheit im Umgang mit Kleinkindern plädiert.
Retz sieht in der Lebhaftigkeit von Kleinkindern etwas Positives. "Es ist gut, wenn sich das Kind traut, zu weinen, zu schreien, zu toben, wenn ihm etwas nicht gefällt. Dann weiß es, dass es grundsätzlich Verständnis für seine Gefühle gibt", sagt sie. "Was aber nicht heißt, dass es immer seinen Willen kriegen muss."
Trotzphase: Das Kind richtet sich nicht bewusst gegen die Eltern
Statt vom trotzigen Kind spricht sie deshalb lieber vom wilden Kind. Statt von der Trotzphase lieber von der Autonomiephase. "Bei Trotz unterstellt man dem Kind fälschlicherweise eine gewisse Absicht", sagt sie. "Als würde es sich ganz bedacht gegen die Eltern richten." Dabei stecke eigentlich das Streben nach Autonomie hinter dem Verhalten.
Genau diese Autonomie gilt es als Eltern zu stärken. Gleichzeitig aber auch Nähe zu geben, wenn das Kind sie benötigt. Das sei nicht immer ganz einfach, da sich das Bedürfnis des Kleinkindes oft von einem auf den anderen Moment ändert. Retz arbeitet als systemische Beraterin und hilft Eltern in Erziehungsfragen. Für t-online hat sich die Mutter von zwei Kindern sechs typische Situationen mit Kleinkind angesehen und gibt Tipps.
Typische Situationen mit Kleinkind und wie Eltern sie meistern
1. Das Kind brüllt an der Supermarktkasse
Diese Situation stresst viele Eltern – oftmals aber nicht wegen des unangepassten Verhaltens des Kindes, sondern wegen der abwertenden Blicke und Kommentare der anderen Kunden. "Es wäre wünschenswert, dass hier mehr Gelassenheit für alle Eltern möglich wird", sagt Eliane Retz.
Kommt es immer und immer wieder dazu, dass sich das Kind im Kampf um den Schokoriegel brüllend auf den Boden wirft, sollten Eltern analysieren, wie sie diese Situation vermeiden können. "Vielleicht ist der Zeitpunkt für den Einkauf einfach ungünstig gewählt", sagt Retz. Das könne der Fall sein, wenn das Kind nach der Kita müde ist und die Nähe der Eltern benötigt, stattdessen aber direkt der Supermarkt angesteuert wird. Oder auch, wenn der Einkauf immer kurz vor dem Abendessen erledigt wird, wenn das Kind bereits hungrig ist. Ähnlich problematisch sei es, wenn zu wenig Zeit eingeplant wird und die Eltern gehetzt sind.
"Es kann außerdem helfen, im Vorfeld zu besprechen, dass sich das Kind eine Sache aussuchen darf", so Retz. Das stärkt auch die Autonomie. Außerdem sollten Mutter oder Vater das Kind in den Einkauf einbeziehen: Es kann die Birnen aussuchen, die Milch aus dem Regal nehmen oder die Nudeln in den Korb legen.
Hilft das alles nichts und es kommt doch zu wütendem Gebrüll, empfiehlt die Erziehungsexpertin, nicht zu schimpfen, sondern das Kind zu trösten. "Wenn Eltern ihr Kind dann einfach in den Arm nehmen und Verständnis zeigen, kann das sehr hilfreich und wichtig für das Kleinkind sein." Denn meist gehe es gar nicht mehr um die Tüte Gummibärchen. Das Kind sei vielmehr überreizt und überfordert mit der Situation. "Tobt das Kind trotzdem weiter, dann ist es auch okay, den Einkaufswagen erst mal stehen zu lassen, mit dem Kind rauszugehen, es vielleicht sogar rauszutragen und draußen zu beruhigen." Wenn sich die Wut gelegt hat, kann man den Einkauf fortsetzen.
2. Das Kind wehrt sich gegen das Zähneputzen
Auch bei diesem Konflikt sollten Eltern überprüfen, ob der Zeitpunkt richtig gewählt ist. "Wenn Kinder zu müde sind, klappt das Zähneputzen nicht mehr gut, dann ist keine Kooperationsbereitschaft mehr da", sagt Retz. Es könne sich dann auszahlen, schon früher mit dem Abendprogramm zu starten. Der Miteinbezug von einem Kuscheltier, dem auch die Zähne geputzt werden, kann die Situation zudem entspannen. Und es hilft, Sohn beziehungsweise Tochter die Zahnbürste aussuchen und die Zahnpasta auftragen zu lassen. Auf diese Weise können Eltern gleichzeitig die Selbstbestimmung des Kindes stärken.
"Beim Putzen können sich Eltern und Kind dann abwechseln." Will das Kind zwischendurch ein Buch anschauen, sollten die Eltern die Unterbrechung ruhig zulassen. "Es hört sich aufwendig an und das ist es an manchen Tagen auch", sagt die Erziehungsberaterin. "Aber wenn Eltern viel Geduld mitbringen, dann spürt das das Kind und mit der Zeit entspannt sich die Situation deutlich."
3. Das Kind will den Spielplatz nicht verlassen
Das Kind will weiter spielen und toben, obwohl es Zeit für den Nachhauseweg und das Abendessen ist: In einer solchen Situation ist sein Autonomieanspruch sehr hoch. Am besten kündigen Eltern ihrem Nachwuchs rechtzeitig an, dass sie bald gehen müssen, ruhig eine halbe Stunde vorher. "Sie sollten diese Ankündigung aber konkret formulieren, da Kinder in dem Alter noch nicht wissen, was 30 Minuten sind", so Retz. Man könne sagen: "Noch fünfmal Rutschen, dann gehen wir nach Hause“ oder auch: "Was möchtest du zum Abschluss noch spielen?" Es sei wichtig, das Kind hier auch ein wenig mitbestimmen zu lassen.
Wenn es wirklich Zeit ist zu gehen, muss die Mutter beziehungsweise der Vater sehr klar in Kommunikation und Verhalten sein: "Das heißt: Nicht mehr aufs Handy gucken, sich nicht mehr in ein Gespräch mit anderen Eltern verwickeln lassen. Sondern ganz beim Kind sein und ihm klar sagen, dass es wichtig ist, jetzt zu gehen." Dabei ist es von Bedeutung, das Kind in seinem Kummer und seiner Frustration ernst zu nehmen und zu trösten: "Ich kann verstehen, dass du gerne noch weiterspielen willst."
4. Das Kind will kein Gemüse essen
Wenn der Nachwuchs mit zwei oder drei Jahren kein Gemüse essen möchte, sollten Eltern das grundsätzlich akzeptieren, so Retz. "Kinder verstehen noch nicht, dass manche Nahrungsmittel gesünder sind als andere und dass sie bestimmte Nährstoffe brauchen."
Man könne aber ein gutes Vorbild sein: "Wenn Eltern sich gesund ernähren, viel Salat essen, dann übernehmen die Kinder das." Zudem könne es sich lohnen, bisher verschmähte Nahrungsmittel immer und immer wieder anzubieten. "Dann steigt das Vertrauen des Kindes, dass man sie mal probieren kann."
Außerdem sollten Familien nicht ständig zwischen den Mahlzeiten Snacks bereithalten. "Im besten Fall sind Kinder hungrig, wenn sie an den Tisch kommen. Dann steigt oft auch die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren."
5. Das Kind weigert sich morgens, etwas anzuziehen
Um den morgendlichen Kampf vor dem Kleiderschrank zu vermeiden, hilft eine klare Struktur. Die kann mithilfe eines Rituals gelingen: Am besten schauen Eltern abends gemeinsam mit dem Kind, wie das Wetter am nächsten Tag wird und legen zusammen entsprechende Kleidung raus. "Das Kind sollte dabei mitentscheiden dürfen", rät Retz.
Manchmal weigern sich Kinder auch, sich allein anzuziehen, obwohl sie dazu in der Lage sind. Dahinter könne das Bedürfnis stecken, sich zu versichern: Mama und Papa sind für mich da, auch wenn ich das schon selbst kann. "Dann dürfen Eltern ruhig mithelfen. Oder anbieten, eine Geschichte vorzulesen, während sich das Kind allein anzieht", sagt Retz. "Und auf diese Weise die Bindung stärken."
Wenn sich das Kind morgens nicht anziehen möchte, kann es aber auch sein, dass es nicht in die Kita möchte, weil es sich dort gerade nicht wohlfühlt. Eltern sollten ein solches Verhalten grundsätzlich ernst nehmen.
6. Das Kind hüpft abends durch die Wohnung, anstatt zu schlafen
Manchmal ist das Kind noch nicht müde genug. "Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern ihre Kinder nicht zum Schlafen zwingen. Wenn Eltern hier entspannt bleiben, das Kind noch etwas wach bleibt, kann sich das sehr positiv auswirken, sodass das Kind kurze Zeit später ruhig und friedlich einschläft", sagt Retz.
Ist das Kind bereits zu müde, kann sich das ebenfalls erschwerend auf das Einschlafen auswirken. Kinder sind in solchen Momenten oft überdreht, motorisch unruhig. "Sie brauchen dann Eltern, die ihnen beim Einschlafen helfen. Zudem ist es wichtig, die Müdigkeitszeichen des Kindes früher wahrzunehmen, damit die abendliche Einschlafsituation in Zukunft leichter wird."
- Telefoninterview mit Eliane Retz