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Sind Kinderbilder ein Schlüssel zur Seele?


Kinderzeichnungen
Sind Kinderbilder ein Schlüssel zur Seele?

Zeichnungen erzählen uns viel über den Entwicklungsstand eines Kindes. Wenn wir in der Lage sind, die Bildsprache zu verstehen, können wir dieser Spur auch folgen und das Kind in seiner Entwicklung unterstützen. Doch dabei ist Vorsicht geboten: Zu schnell wird in Kinderzeichnungen etwas hineininterpretiert.

19.01.2018|Lesedauer: 4 Min.
t-online, Simone Blaß
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Kinderbilder ähneln sich weltweit

Arno Stern spricht von "Spuren" auf dem Papier, wenn es um Kinderzeichnungen geht. Er ist der Begründer der "Malorte" – Räume, in denen Kinder ohne Bewertung und Vorurteil der Lust am Spiel mit Farben und Formen nachgehen können.

Kind beim Malen: Die angehenden Schulkinder trainieren durch das Malen und Zeichnen unter anderem ihr logisches Denken.Vergrößern des Bildes
Kind beim Malen: Die angehenden Schulkinder trainieren durch das Malen und Zeichnen unter anderem ihr logisches Denken. (Quelle: SerbBgd/getty-images-bilder)

Begonnen hat alles mit Kriegswaisen, heute gilt Arno Stern als Experte auf seinem Gebiet. Im Laufe seiner Arbeit hat der in Frankreich lebende Deutsche Gesetzmäßigkeiten in den Zeichnungen festgestellt, ähnlich der Grammatik einer Sprache.

Die Zeichnungen von Kindern, die sich entwicklungstechnisch auf gleicher Stufe befinden, ähneln sich weltweit: Sie folgen einem inneren Bedürfnis.

Das Kritzeln ist die erste Spur

Wahrnehmung beginnt nicht erst mit der Geburt, sondern weit vorher. Die ersten Eindrücke, die wir in unserem Leben haben, sind ganzheitlich und gespeichert in einer Art Körpergedächtnis. Manche Wissenschaftler sprechen beim ersten Kritzeln vom sogenannten "Urknäuel", das vom Kind wiedergegeben wird.

Dazu kommen Punkte, Striche und Spiralen – sozusagen die Urform jeden Lebens. "Es ist zwar die Hand, die den Stift führt, aber es ist die Seele, die malt." Renate Gier ist Gestaltungstherapeutin und Dozentin an der Fachakademie für Sozialpädagogik mit eigener Erfahrung bei der Leitung eines Kindergartens.

In ihrem Buch "Die Bildsprache der ersten Jahre verstehen" erklärt sie typische Eigenschaften von Kinderzeichnungen anhand des Alters.

Eindeutig eine Sonne? Irrtum!

Mit dem Erwachen des eigenen Ichs spüren die Kinder auch dessen Abgrenzung zur Außenwelt. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen sie, den Kreis auch bildlich zu schließen, sie allein sind das "Ganze". Nimmt dieses Ich auf dem Bild Kontakt mit der Außenwelt auf, gehen Striche von ihm weg.

Das kann aussehen wie ein Lutscher, aber auch wie eine Sonne und irgendwann wird es zu dem, was Erwachsene oft irreführend als Kopffüßler bezeichnen. Dieses gemalte Wesen bekommt zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr Bodenhaftung.

Und das Gemälde eine Begrenzung. Das Wesen schwebt nun nicht mehr frei im Raum, sondern ist mit der Bodenlinie verbunden. Das Kind beginnt jetzt von außen auf das Bild zu blicken.

Die Welt besteht aus drei Grundbausteinen

Ein Kreis, der auch zum Oval werden kann, ein Dreieck und ein Quadrat beziehungsweise Rechteck – mehr braucht es nicht, um Szenen zu gestalten. Daraus entstehen Frauen und Männer, Tiere, Häuser und Autos, Bäume und Blumen. Oft sind es eher die Mädchen, die malen, während die Jungs sich in der Bauecke befinden. Und sich dabei die gleichen Fähigkeiten aneignen.

"Malen in diesem Alter heißt nicht abbilden, sondern es dient in starkem Maß dem Lernen und Verstehen." Die angehenden Schulkinder trainieren auf diese Weise unter anderem ihr logisches Denken. Sie sind jetzt in der Lage, Informationen sachlich aufzunehmen und zu verarbeiten. Die Farben werden richtig zugeordnet, das Profil erscheint.

Jedes Gemälde ist ein Teil des Kindes selbst

Malt ein Kind ein Bild oder zeigt es uns gar das Gemälde, glauben wir, dass es eine Reaktion erwartet. Vielleicht auch ein Lob. Das entspricht nicht Sterns Konzept, der hier von einer Einmischung in das kindliche Spiel spricht, die letztendlich das Kind zum "Vorspielen" zwinge.

Irgendwann, davon ist er überzeugt, malt es nur noch das, was von ihm erwartet oder ihm vorgelebt wird. Das heißt aber nicht, dass man dem Kind und seinem Gemälde gegenüber nicht offen sein kann. Doch wie verhält man sich richtig?

  • Wenn ein kleines Kind jemandem seine Zeichnung zeigt, dann ist das ein Symbol der Zuneigung und des Vertrauens. Lassen Sie sich von dem kleinen Maler, der kleinen Malerin durchs Bild führen ohne zu werten oder gar zu kritisieren.
  • Findest du mein Bild schön? Gerade kleinere Kinder wollen in ihrem Gemälde gesehen werden. Was im Umkehrschluss heißt, dass jede Beurteilung der Zeichnung eine Beurteilung ihrer selbst ist. Seien Sie daher mit der Wortwahl vorsichtig, zum Beispiel dann, wenn etwas nicht auf Anhieb verständlich ist.
  • Es gibt Zeiten, da häufen sich Bilder, auf denen scheinbar immer das Gleiche zu sehen ist. Diese Phasen sind wichtig und sollten gewürdigt werden. Das zeigen Sie dem Kind am besten, wenn Sie auch diese Bilder zu den anderen in eine Mappe legen.
  • Malst Du mir etwas? Aus diesem Satz kann ein Gespräch in Bildersprache entstehen. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen. Sie werden dabei viel über das Kind erfahren.

Küchenpsychologie vermeiden

Immer wieder stellt sich gerade Erziehern die Frage, ob man sexuellen Missbrauch, andere Übergriffe oder massive Lebenseinschnitte an den Zeichnungen der Kinder erkennen kann. Die Antwort ist ja, aber nicht auf den ersten Blick.

Denn ein übermächtig groß dargestellter Vater muss nicht beängstigend sein, auch wenn er so wirkt. In erster Linie bedeutet seine Größe, dass er eine wichtige Rolle einnimmt. Vielleicht hat er das Kind am Tag vorher vor der schlecht gelaunten Nachbarin beschützt.

Gleiches gilt für ausgeprägt dargestellte Geschlechtsteile, riesige Hände oder ein durch und durch dunkles Bild, bei dem möglicherweise nur die bunten Stifte gerade nicht greifbar waren.

Die Botschaften, die sich in einer Kinderzeichnung verbergen können, sind nicht direkt an den Betrachter gerichtet. Sie sind verschlüsselt. Sollte aber über einen gewissen Zeitraum hinweg auffallen, dass ein Kind – zusätzlich zu anderen Verhaltensweisen – auch in seinen Zeichnungen von den Altersgenossen abweicht, dann kann es ratsam sein, das Gespräch mit Fachleuten zu suchen.

Quellen:
- Renate Gier: "Die Bildsprache der ersten Jahre verstehen"
- Arno Stern: "Wie man Kinderbilder nicht betrachten soll"
- eigene Recherchen

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