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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess gegen Erzieherin Wie weit reicht die Aufsichtspflicht in der Kita?
Wie viel Kontrolle von Kindergartenkindern ist richtig und nötig? Um das richtige Maß der Aufsichtspflicht ging es in einem Prozess um den Tod eines Kleinkindes in einer privaten Kita in Nordrhein-Westfalen. Die Rechtslage zur
In dem Fall, der vor dem Amtsgericht in Minden verhandelt wurde, war eine Erzieherin wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Im Juli 2015 war ein 16 Monate altes Kind in Porta Westfalica kopfüber in einen Maurerkübel gefallen und ertrunken, obwohl das Wasser nur wenige Zentimeter hoch stand. Der Junge hatte sich unbemerkt aus einem Hühnerstall geschlichen, in den die Frau mit insgesamt sechs Kindern gegangen war. Die Staatsanwaltschaft warf der Leiterin der privaten Kita vor, ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen zu sein.
Das Amtsgericht verurteilte die Kita-Leiterin zu einer Bewährungsstrafe. Die Erzieherin habe zwei Fehler gemacht habe: Sie ließ das jüngste Kind, das sie an diesem Tag beaufsichtigte, zumindest kurz aus den Augen. Außerdem erkannte sie die Gefahr nicht, die von dem schon seit Jahren auf dem Grundstück stehenden Maurerkübel ausging. "Diese Gefahr hätten Sie beseitigen müssen", hielt der Richter der Erzieherin vor. "Auch wenn die Gefahr dieses Kübels nicht so offensichtlich wie bei einem Gartenteich ist."
Wer trägt die Aufsichtspflicht in der Kita?
Zunächst ist es die Pflicht der Eltern, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Kind nicht zu Schaden kommt, anderen schadet oder etwas kaputtmacht. Die Aufsichtspflicht kann aber auch auf andere übertragen werden. Das geschieht meist stillschweigend. Wer sein Kind in die Kita gibt, kann davon ausgehen, dass dort jemand Verantwortung trägt.
Was umfasst die Aufsichtspflicht?
Aufsichtspflichtige dürfen die Gesundheit des Kindes und anderer nicht aus den Augen verlieren. Es gilt, Kinder über Gefahren zu belehren, bei Fehlern zu ermahnen und notfalls einzugreifen. "Im Prinzip wird von Aufsichtspersonen nicht mehr und nicht weniger erwartet als von Eltern", sagt der emeritierte Rechtsprofessor Simon Hundmeyer. "Wie Aufsicht zu führen ist, hängt ab von dem aufsichtsbedürftigen Kind und von den Umständen, etwa örtlichen Gegebenheiten", erläutert der Jurist. Je gefährlicher die Situation, desto enger die Aufsicht, lautet die Faustformel.
Wo sind die Grenzen der Aufsichtspflicht?
Kinder müssen aber nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden. Grenzen habe die Aufsichtspflicht etwa da, wo sie einer gesunden Entwicklung von Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein zuwiderlaufe. "Ein Kind, dem man nichts zutraut, das traut sich auch selbst nichts zu – das sehen inzwischen auch die Unfallversicherungen so", sagt Hundmeyer.
Kurzum: Auch Kinder haben ein Recht auf freie Entfaltung. Das verbietet unnötige Bevormundung, Gängelung und fortwährende Kontrolle.
Welche Konsequenzen müssen Betreuer fürchten, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen?
Die Pflichtverletzung ist nicht strafbar, solange nichts passiert. Erst wenn jemand zu Schaden kommt, kommt die Justiz ins Spiel. "Unter Erziehern am meisten gefürchtet ist die strafrechtliche Verfolgung", weiß Hundmeyer. Verletzt sich ein Kind oder stirbt gar wegen mangelnder Aufsicht, sei der Nachweis für Staatsanwälte nur sehr schwer zu führen. Die meisten Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung würden daher früh eingestellt.
Gegen zivilrechtliche Forderungen, etwa Schmerzensgeld oder Schadenersatz, ist die Erzieherin in der Regel durch die Unfallversicherung oder Betriebshaftpflicht der Kita versichert.