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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rituale Beim Vorlesen von Märchen auch über Ängste reden
In Märchen geht es oft grausam zu - Hänsel und Gretel werden von den Eltern ausgesetzt, Rotkäppchen vom Wolf gefressen, Schneewittchen von der Stiefmutter vergiftet - kein Wunder, dass manche Eltern unsicher sind, ob sie Grimms Märchen ihren Kindern zumuten können. Christine Kranz von der Stiftung Lesen in Mainz erklärt, warum Märchen für Kinder wichtig sind und wie man sie kindgerecht vermittelt.
"Kinder brauchen Märchen, auf jeden Fall", sagt Kranz, die die Buchempfehlungen der Stiftung Lesen betreut. Sie weist Zweifel, ob die 200 Jahre alten Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm überhaupt kindgerecht sind, entschieden zurück: "Märchen sind ein klassisches Kulturgut, mit dem Kinder unbedingt in Berührung kommen sollten", findet sie. Doch sie schränkt ein: "Nicht jedes Märchen passt zu jedem Kind - und zu jedem Alter!"
Schulkinder spüren schon die Magie der Sprache
"Grundschüler sollten ruhig die Märchen im Original kennen lernen, weil sie neben den spannenden Geschichten eine Sprache mit ganz eigener Magie bieten", sagt Kranz. Für Vier- bis Fünfjährige empfiehlt sie dagegen "eine leicht gekürzte und modernisierte Fassung der Märchen". Zum einen verstünden Kinder in diesem Alter altertümlich anmutende Wörter wie "darob" nicht, wie sie in den Geschichten vorkommen. Es gebe aber auch einen ganz praktischen Grund: "Manche Märchen sind in der Originalfassung sehr lang für Kindergartenkinder. 'Rapunzel' zum Beispiel, da dauert schon das Vorlesen 20 bis 25 Minuten."
Hinterher mit Kindern über das Märchen sprechen
Nach dem Vorlesen sollten Eltern noch Zeit einplanen, um mit ihren Kindern über die gerade erzählte Geschichte zu sprechen, empfiehlt die Fachfrau. Denn "Märchen thematisieren Urängste vor dem Verlassenwerden, dem Alleinsein und der Dunkelheit". Motive, wie sie beispielsweise in "Hänsel und Gretel" vorkommen. Dass die Geschwister von den Eltern im Wald ausgesetzt werden, spreche bei vielen Kindern eine Urangst an. Aber dass die Hexe am Ende im Ofen verbrennt, fänden Kinder gerecht.
Grausamkeit im Märchen ist für Kinder kein Problem
Grundsätzlich meint Kranz, dass Grausamkeit in Märchen für Kinder meistens kein Problem darstelle. "Eigentlich setzen sich die meisten Kinder bereitwillig mit der Grausamkeit in Märchen auseinander", betont Kranz. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf das in der Regel gute Ende, "vor allem für die scheinbar schwächeren Figuren. Oft sind es ja im Märchen die Kleinen und Unterlegenen, die das Problem lösen, an dem Ältere und Stärkere gescheitert sind."
Beim Vorlesen auf Signale des Kindes achten
Bekommen Kinder beim Vorlesen von Märchen dennoch Angst, merkt das der erwachsene Leser, weiß Kranz aus Erfahrung: "Dann werden sie unruhig oder wollen etwas anderes tun." Nähe beim Vorlesen sei "wichtig, weil man dann spürt, wenn das Kind Angst hat". Generell sollten Eltern "eine besonders schöne, geborgene, kuschelige Vorlesesituation schaffen", rät Kranz.
Doch wie erzählt man Märchen so spannend, dass die Kinder bis zum Schluss fasziniert lauschen? Hier finden Sie Tipps von der Märchenerzählerin Sabine Lutkat.