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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wenn Eltern streiten Wie man mit Familienkonflikten umgehen sollte
Zwei Menschen, zwei Standpunkte. So ist es auch bei Eltern. Das wäre eigentlich gar nicht so problematisch, solange man mit Meinungsverschiedenheiten vernünftig und sachlich umgeht. Doch leider entzünden sich Konflikte häufig bereits an Kleinigkeiten und kochen schließlich hoch. Welche Strategien es dagegen gibt und wie man "richtiges Streiten" trainieren kann, erklärt eine Erziehungs- und Familienberaterin.
"Dieses Chaos im Kinderzimmer ist unerträglich." "Die Kinder gehen immer viel zu spät ins Bett". "Die Fünf in Mathe hätte nicht sein müssen." "Man darf Kinder nicht so verwöhnen, wir müssen viel strenger sein." Mit solchen oder ähnlichen an den Partner adressierten Bemerkungen waren bestimmt schon die meisten Mütter und Väter konfrontiert. Und nicht selten sind solche Spitzen Auslöser für ernsthafte Streitigkeiten, weil sich Eltern dann über grundsätzliche Erziehungsfragen auseinandersetzen.
Aber auch organisatorische Probleme, wie die gerechte Verteilung von Haushaltspflichten oder finanzielle Fragen können Anlass für elterliche Konflikte sein.
Verklärtes Familienbild und zu wenig Kommunikation fördern Konflikte
Problematisch ist es für viele Mütter und Väter auch, einerseits ein Liebespaar zu sein und anderseits in die Elternrolle hineinzuwachsen, wo es gilt, für den Nachwuchs gemeinsam Verantwortung zu tragen und Entscheidungen zu treffen. "Zu Differenzen trägt häufig auch ein zu rosarot gezeichnetes Idealbild der Familie als Krönung des Glücks bei, das Paaren vorschwebt, wenn sie Nachwuchs erwarten. Die Realität ist dann meist eher ernüchternd", erklärt Diplompsychologin und Erziehungs- und Familienberaterin Karin Jacob vom SOS-Familienzentrum Berlin.
Ähnliches gelte auch für das Rollenverständnis vieler junger Paare, ergänzt die Expertin. Wollten die allermeisten - das belegen Umfragen - vor der Geburt ihres Kindes noch alle Pflichten gleichberechtigt aufteilen, zeige sich spätestens wenn das Baby da ist, dass solche Vorsätze im Alltag oft nicht mehr zu realisieren sind.
Gelebt würden dann zunächst eher die traditionellen Geschlechterrollen: Der Mann verdient das Geld, die Mutter bleibt zu Hause beim Kind.
Konfliktpotential aus eigener Kindheit
Ebenfalls Konfliktpotential birgt die Tatsache, dass jeder Elternteil aufgrund seiner individuellen Erfahrungen in der Kindheit eigene Vorstellungen von Erziehung hat. "Da ist es nicht leicht, einen gemeinsamen Nenner zu finden", weiß Karin Jacob, "zumal sich viele Paare, bevor sie eine Familie gründen, nicht darüber ausgetauscht haben, wie sie Kindererziehung grundsätzlich angehen wollen."
Expertin: Ganz viel lastet auf Wenigen
Im besonderen Maß kann auch ein hoher Stresspegel, dem Eltern heute häufig ausgesetzt sind, dazu beitragen, Konflikte auszulösen. Denn die Mehrfachbelastung von Job und Familie zu managen, ist eine große Herausforderung. So bleiben wesentlich weniger Freiräume als in früheren Generationen, wo Kinder häufig in größere Familienverbände eingebettet waren und "nebenher mitliefen".
"Das ist nicht mehr so", kommentiert die Erziehungsexpertin. "Ganz viel lastet auf den Eltern - auch weil die Väter und Mütter sich heute ganz besonders bemühen, dass ihre Sprösslinge die besten Chancen für einen optimalen Start ins Leben bekommen. Durch diesen eigenen Anspruch und die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen sind Werte wie Beständigkeit, Zuverlässigkeit und Zeit, die in einer Familie wichtig sind, im hektischen, dicht gedrängten Alltag nur noch schwer umsetzbar."
Strategien zur Streitvermeidung
Obwohl Streit und Auseinandersetzungen zum Leben gehören wie das Salz in der Suppe, gibt es dennoch Methoden, Konflikte schon im Vorfeld durch kluge Verhaltensweisen weitestgehend zu vermeiden oder aber in konstruktive und friedliche Bahnen zu lenken.
Der Rat der Psychologin: Eltern sollten gerade bei Erziehungsthemen regelmäßig miteinander reden - und das möglichst in entspannter Atmosphäre. Das sollte idealerweise respektvoll geschehen, ohne den anderen zu bewerten. Nur so könne jeder den Standpunkt des anderen kennen lernen und das gegenseitige Verständnis wachsen.
"Dabei sollte man sich auch zugestehen, dass nicht alle Ansichten beider Elternteile immer deckungsgleich sein müssen", so Karin Jacob. "Natürlich ist es gut, zunächst zu versuchen, einen Konsens zu finden. Das funktioniert aber nicht immer. Dann ist es auch vollkommen in Ordnung, keinen Konsens zu finden und die Perspektive des anderen gleichberechtigt neben der eigenen gelten zu lassen, ohne die Sache später zu untergraben. Kinder begreifen so, dass Vielfalt und Unterschiedlichkeit in der Erziehung eine Bereicherung sein können."
Kommt es bei Kontroversen zwischen Eltern doch zu erhitzen Gemütern, gibt es auch hier nützliche Instrumentarien, mit dem Disput sachlich und konstruktiv umzugehen. Jacob empfiehlt, dann beim Meinungsaustausch vor allem in "Ich-Botschaften" von sich und seinen Vorstellungen zu sprechen und dabei dem Gegenüber keine Vorwürfe zu machen oder seine Ansichten zu bewerten. "Wenn man jedoch Formulierungen benutzt wie 'Du hast aber…', wird dies meist als Angriff verstanden. Dann wird der Andere eher eine Mauer der Verteidigung aufbauen."
Ganz bewusst das Tempo rausnehmen
Eine anderer Deeskalations-Trick ist die gezielte Verlangsamung eines Streitgesprächs, so die Erfahrung von Erziehungs- und Familienberaterin Jacob. Es wirke nämlich entschleunigend und klärend, wenn jeder der "Kontrahenten" zunächst versuche, den Standpunkt des anderen in eigenen Worten zusammenzufassen und danach erst seine Sicht der Dinge zu äußern. "Das kommt einem ziemlich mühsam vor, hilft aber sehr. Jeder erhält so die Chance, richtig verstanden zu werden. Und man lernt auf diese Weise, exakt zuzuhören. Das ist oft der erste Schritt, um Brücken zu bauen und einen gemeinsamen Nenner zu finden."
Falls jedoch nicht sofort ein Kompromiss erzielt werden könne, sei es manchmal ebenso legitim, den Konflikt einfach eine Nacht zu überschlafen, um so Abstand zu gewinnen. Mit etwas Distanz falle es oftmals leichter, eine Lösung zu finden oder die unterschiedlichen Sichten zu tolerieren.
Kindern die Ängste nehmen und Zuversicht vermitteln
Besonders sensibel und besonnen müssen Mütter und Väter reagieren, wenn ihr Nachwuchs während einer elterlichen Auseinandersetzung anwesend ist und dann möglicherweise ängstlich reagiert. Hier gilt es, dem Kind möglichst altersgerecht zu vermitteln, um was es genau geht und dass es nichts Ungewöhnliches und Beängstigendes ist, wenn zwei Menschen unterschiedlicher Meinung sind.
"Die beruhigende Botschaft an die Kinder sollte dann lauten", so Jacob, "Streit ist nichts Schlimmes und kann sogar zu etwas positivem Neuem führen, wenn es um die Sache geht und dabei niemand abgewertet wird." Außerdem muss der Nachwuchs dabei immer die Gewissheit haben, dass er selbst niemals die Verantwortung oder gar Schuld für eine Auseinandersetzung trägt, auch wenn es dabei vielleicht um seine Erziehung geht. Und Eltern sollten gegenüber ihren Kindern stets die Zuversicht verbreiten, dass trotz eines Streites alles wieder gut wird, sie garantiert eine Lösung für den Konflikt finden und dass sie sich natürlich weiterhin lieb haben."