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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Raus aus dem Hamsterrad Wie Eltern Geduld trainieren können
Es gibt Situationen, da gerät alles aus den Fugen: Drohende Arbeitslosigkeit oder Streit mit dem Ex-Partner können Mütter und Väter so belasten, dass sie keine Geduld und Ruhe mehr für die Kinder haben. An manchen Tagen genügen schon Kleinigkeiten, um die Fassung zu verlieren. Die Elternredaktion von T-online.de gibt Eltern Tipps, um die nötige Gelassenheit zu finden.
Die Mutter ist abgehetzt von der Arbeit gekommen und wirbelt in der Küche, um das Mittagessen fertig zu bekommen. Ein Glas Apfelmus zerschellt und hinterlässt eine Macke im Boden. Die Tochter teilt nebenbei mit, dass sie mal wieder eine Fünf in Mathe hat, während der Kleine kurz davor ist, in die Scherben zu treten - die wenigsten Eltern reagieren in solchen Situationen entspannt.
Kinder testen Belastungsgrenzen der Eltern
"Ich muss zugeben, dass ich dann schon mal rumschreie, weil es mir einfach zu viel wird", sagt Cornelia S. im Gespräch mit der Redaktion und man merkt ihr das schlechte Gewissen an. "Ich gebe mir wirklich Mühe, einfühlsam und vor allem geduldig zu sein. Aber manchmal bringen mich meine drei Kinder an die Grenzen meiner Geduld." Dass so etwas passieren kann, weiß auch der Diplompsychologe Andreas Engel von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke): "Die Kinder testen immer wieder ihre Grenzen aus. Sie kennen ihre Eltern und wissen um deren Launen und ihre Belastbarkeit.“
Verbale Gewalt trifft Kinder hart
Wenn Eltern an ihre Grenzen kommen, rutschen ihnen schnell harte Worte heraus. Engel rät zur Vorsicht: "Ein Gewitter kann die Luft schon mal reinigen. Aber es kommt darauf an, wie man sich ausdrückt. Es sollte nicht verletzend oder gar bedrohend sein." Mal Dampf ablassen ist in Ordnung. Die Kinder aber anzubrüllen, sie mit Worten zu erniedrigen, sie zu schubsen oder sogar zu schlagen ist eine andere Dimension. Gewalt spielt sich nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der verbalen Ebene ab.
Ein Kind spürt genau, ob Eltern nur wütend oder verzweifelt sind, weil ihnen alles über den Kopf zu wachsen droht oder ob es persönlich angegriffen wird. Wenn man zu den Menschen gehört, bei denen diese Grenze verschwimmt, sollte man sich Hilfe von außen holen, zum Beispiel bei einer Erziehungsberatung. Dann ist es unerlässlich, Strategien zu entwickeln, um sich zu beherrschen, Nicht zuletzt deshalb, weil man als Elternteil eine Vorbildfunktion hat und das Kind sonst nicht lernen kann, eigene Konflikte ruhig zu lösen.
Bis zehn zählen, um die Explosion zu verhindern
So banal es klingt - die erste und beste Strategie ist durchatmen und bis zehn zählen. Wichtig ist, den Puls wieder in den Normalbereich abzusenken, um sich aus der emotional belastenden Situation zu befreien. Wenn die Kinder nicht zu klein sind, verlässt man dazu am besten den Raum, um nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich Abstand zu gewinnen.
Die Autoren des Buches "Wach und präsent", die sich mit dem Begriff der Achtsamkeit auseinandersetzen, arbeiten mit dem Bild eines Beobachters, der auf einen Turm klettert, um einen Überblick zu erhalten. "Der Abstand ermöglicht es, innere und äußere Erfahrungen objektiver wahrzunehmen und die Perspektive zu wahren, ohne sich in einseitigen Sichtweisen oder Bewertungen zu verstricken." Denn wenn einem gleich der Kragen platzt, ist die Fähigkeit zur klaren Wahrnehmung eingeschränkt.
Auch Kinder haben das Recht auf eine Entschuldigung
Sind Eltern trotzdem einmal ausgerastet, quälen sie sich oft stundenlang mit einem schlechtem Gewissen. Besser ist es, sich beim Kind für das Anschreien zu entschuldigen. "Kinder mögen Eltern, die sich für Fehler entschuldigen, aufrecht, selbstbewusst und getragen von der Absicht, sie zukünftig zu vermeiden", erklärt der Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge. Kinder seien sehr großzügig im Vergeben von Fehlern.
Doch alleine darauf sollten Eltern sich nicht verlassen. Wichtig ist es, sich die Situation noch einmal genau anzusehen. Wurden die Kinder zu Blitzableitern? Hat man Frust an ihnen ausgelassen, weil sie sich am wenigsten dagegen wehren können? "Analysieren Sie die Situation gemeinsam mit einer Vertrauensperson", rät Engel. "Gab es vorher Anzeichen, dass das Fass gleich überlaufen wird? Hätte es die Möglichkeit für eine Auszeit gegeben?"
Aus dem Hamsterrad ausbrechen
Vielen Familien leben nach einem sehr engen Zeitplan ohne Puffer, nicht zuletzt wegen der gesellschaftlichen Erwartungen, die Eltern unter Druck setzen. In manchen Momenten werden die Schwachstellen in der täglichen Planung deutlich. So wie bei Miriam, die im Buch "Die Kunst, gelassen zu reagieren" von Lienhard Valentin und Petra Kunze, zu Wort kommt.
Die Mutter eines Jungen im Kita-Alter schildert eine Stresssituation, in der es ihr gelang, den Kreislauf der Hektik zu unterbrechen: "Mir wurde deutlich, wie sehr ich im Hamsterrad herumraste und deshalb meinen Sohn äußerst ungeduldig und unsanft aus dem Kindergarten treiben wollte. Leider war dies nicht das erste Mal." Sie nahm sich ein paar Atemzüge Zeit, um anzukommen, stellte sich auf ihren Sohn ein und konnte so wahrnehmen, wie sehr er in sein Spiel vertieft war. "Langsam ging ich näher und wartete kurze Zeit. Da entdeckt er mich und erzählte mir begeistert von dem Tunnel, den er gerade durch eine Sandburg gegraben hatte. Nachdem ich sein Bauwerk bewundert und seine Freude geteilt hatte, kam er ohne Umschweife mit und wir fuhren beide zufrieden nach Hause."
Eltern sollen sich nicht für die Kinder aufopfern
Ein anderes Beispiel ist Susanne. Sie hält sich für eine gute Mutter. Sie ist eine von denen, die alles für ihren Nachwuchs tun: Jacke in die Schule nachtragen, Turnsachen in letzter Minute suchen und spätabends bei vergessenen Hausaufgaben helfen. Dass Susanne dabei immer häufiger sauer reagiert, weil sie das Gefühl hat, dass nichts zurückkommt, ist für die Autoren nachvollziehbar, aber nicht verständlich. "Es geht eben nicht darum, uns 'aufzuopfern', immer freundlich und jederzeit verfügbar zu sein. Denn dabei entsteht oft ein latenter Ärger auf den 'Plagegeist', der uns einfach keine Ruhe gönnen will, obwohl wir uns doch so einsetzen."
Die Autoren raten dazu, ab und zu vom Aktivitäts- in den Sein-Modus zu schalten. Vereinfacht ausgedrückt: Kleine Pausen einzuplanen, um dann wieder Kraft für, aber auch Lust auf die kostbare Zeit mit den Kindern zu haben.