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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Scheidung Wie schlecht geht es Scheidungskindern wirklich?
Mehr als jede dritte Ehe in Deutschland endet früher oder später mit der Scheidung - und davon sind pro Jahr mehr als 100.000 Kinder betroffen. Wie sehr leiden Scheidungskinder und wie groß sind ihre Nachteile in der Schule und für ihre soziale Entwicklung? Familienexperten haben Studien ausgewertet.
Viele Ehen gehen in die Brüche, wenn das erste Baby kommt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an den Nerven zerrt, oder die Kinder das Haus verlassen. "Oft wird den Kindern zuliebe mit der Scheidung gewartet", sagt Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung der Universität Bamberg. Von den 179.100 Ehepaaren, die 2012 in Deutschland vor den Scheidungsrichter traten, hatte fast die Hälfte minderjährige Kinder, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden berichtet.
Streit der geschiedenen Eltern macht Kinder depressiv und aggressiv
Wie die etwa 143.000 betroffenen Jungen und Mädchen die Scheidung ihrer Eltern verkraften, hängt nach Einschätzung von Fachleuten vom Verhalten der Eltern ab. Eine Risikogruppe seien hochgradig zerstrittene Familien, die immer wieder vor Gericht ziehen, sagt die stellvertretende Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (dji) in München, Sabine Walper.
Die andauernde Konfliktdynamik zwischen Ex-Partnern, aber auch zwischen noch zusammenlebenden Eltern solcher Familien belaste die Kinder ganz deutlich. Dies habe starke negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und deren Selbstwertgefühl. Depressivere Neigungen und diffuse körperliche Beschwerden nennt Walper als Beispiele. Die Folgen seien aber auch beim Sozialverhalten spürbar, diese Jugendlichen beschrieben sich häufig selbst als aggressiver und erlebten weniger Unterstützung von Gleichaltrigen.
Scheidungskinder schaffen es seltener aufs Gymnasium
"Scheidungskinder haben insgesamt aber keine dramatischen Nachteile." Die Unterschiede zu Kindern, die in Deutschland bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen, seien mehreren Studien zufolge deutlich geringer als vermutet. Die PISA-Studie beispielsweise habe bei den schulischen Kompetenzen der 15-Jährigen - anders als in den USA und einigen anderen Ländern - keine nennenswerten Unterschiede zwischen Kindern aus Familien mit einem Elternteil oder zwei Eltern gezeigt.
Aber: Scheidungskinder kommen in Deutschland mit seinem gegliederten Schulsystem seltener auf ein Gymnasium als andere Kinder. "Die Chancen für den Gymnasialbesuch stehen schlechter, wenn die Eltern sich in der für Kinder kritischen Phase trennen, in der es um den Übertritt auf die weiterführende Schule geht", sagt Walper. "Aber auch danach kann es rund um die Scheidung zu zwischenzeitlichen Leistungseinbrüchen kommen."
Expertin: "Bild der Scheidungskinder geraderücken"
Das Kinderpanel des dji und die Studie "Familienentwicklung nach Trennung der Eltern" über Jugendliche in unterschiedlichen Familienkonstellationen hätten gar keine oder nur sehr begrenzte Unterschiede in der Befindlichkeit, den sozialen Kompetenzen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen ergeben. "Man muss das Bild der Scheidungskinder insgesamt geraderücken", betont Walper. "Allerdings wird auch international diskutiert, ob wir denn immer die richtigen Indikatoren für das Wohlergehen der Kinder erwischen."
Ein Großteil der Scheidungskinder scheine die Belastungen abzufangen, die es für sie subjektiv durchaus gebe, sagt die Wissenschaftlerin. Dennoch vermissten viele Kinder den Elternteil, der nicht mehr bei ihnen lebt, und wünschten sich mitunter jahrelang, dass die Eltern wieder zusammenkommen.
Kinder wollen Gründe für die Scheidung verstehen
Die Kinder wollen die Entscheidung ihrer Eltern aber auch verstehen: Scheidungskinder, deren Eltern eine konfliktträchtige Ehe geführt haben, können sich langfristig besser mit der Scheidung arrangieren. "Kinder, die vorher nichts haben spüren können, tun sich langfristig am schwersten damit, diese Scheidung zu akzeptieren", sagte Walper mit Blick auf amerikanische Studien. "Es ist offensichtlich doch ein großes Problem, dieses gravierende Ereignis in der eigenen Biografie zu verarbeiten, wenn man nicht wirklich weiß, warum sich die Eltern trennen mussten."