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Gewaltfreie Kommunikation in der Erziehung


Gewaltfreie Kommunikation
Wie mein Kind "giraffisch" lernt

Eltern

19.09.2012|Lesedauer: 6 Min.
t-online, Simone Blaß
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Letztendlich geht es bei der gewaltfreien Kommunikation darum, Bewertungen zu vermeiden, richtig und falsch mal außen vor zu lassen und sich darauf einzulassen, welche Bedürfnisse man beim anderen beobachten kann. Eine Sprache, die den meisten von uns schon allein aus ihrer Erziehung heraus ziemlich fremd ist und - anfangs zumindest - irgendwie unnatürlich, fast schon komisch klingt. "Mir war beigebracht worden", erinnerte sich Marshall B. Rosenberg in einem seiner zahlreichen Bücher, "ein Verhalten nach den Kriterien 'richtig' oder 'falsch', 'gut' oder 'böse' zu beurteilen. Strafen auszusprechen war weit verbreitet und wurde für mich als Vater schnell zur Gewohnheit. Aber ich würde nicht sagen, dass etwas natürlich ist, nur weil es zur Gewohnheit geworden ist. Ich lernte, dass es für Menschen viel natürlicher ist, sich auf eine liebende, respektvolle Art zu verbinden und Dinge aus Spaß und Freude füreinander zu tun, statt Strafen, Belohnungen, Schuld oder Scham einzusetzen, um Druck auszuüben."

Gewaltfreie Kommunikation setzt die Bedürfnisse jedes einzelnen in den Mittelpunkt.Vergrößern des Bildes
Gewaltfreie Kommunikation setzt die Bedürfnisse jedes einzelnen in den Mittelpunkt. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

GfK ist inzwischen weltweit mit Erfolg verbreitet

Geboren 1934 in einer Arbeiterfamilie jüdischer Herkunft wuchs Marshall B. Rosenberg in einem Ghetto von Detroit auf und wurde dort früh Zeuge von Gewalt und Rassenunruhen. Doch statt sich der Gewaltspirale zu ergeben, entwickelte er ein starkes Interesse an friedlichen Formen der Kommunikation, machte seinen Doktor der Psychologie und begann bereits mit knapp 30 Jahren sein Konzept der "Nonviolent Communication" zu entwickeln. Heute wird das Prinzip in 65 Ländern weitergegeben.

Man muss die entsprechende innere Haltung entwickeln

Gewaltfreie Kommunikation wird nicht nur in Familien, Schulen und Kindergärten angewandt, sondern auch in Therapien, bei Firmen beziehungsweise Organisationen, in Gefängnissen sowie Gerichtssälen und sogar in Krisen- und Kriegsgebieten. Dabei findet diese Art der Kommunikation nicht nur auf verbaler Ebene statt, sondern zeigt sich auch und vor allem in der inneren Haltung. "Derartig verbunden kommuniziere ich mit meinem Kind eindeutig auf allen mir zur Verfügung stehenden Kanälen", betont der zertifizierte Trainer für gewaltfreie Kommunikation, Frank Gaschler, und weist auf den Vorteil hin, so auch mit ganz kleinen Kindern schon entsprechend in Kontakt kommen zu können. "Damit kann mich das Kind verstehen, selbst, wenn es mit meinen Worten noch nichts anfangen kann."

Sich auf die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes konzentrieren

Es gibt immer wieder kritische Stimmen, die sich unter anderem nicht mit dem Begriff "gewaltfrei" anfreunden können. Denn er scheint zu sagen, dass die Form der Kommunikation, die wir normalerweise anwenden, "gewalttätig" sei. Rosenberg sieht das ähnlich und spricht heute lieber von einer "lebensbereichernden Sprache" oder "der Sprache des Herzens". Trotzdem geht es ihm darum, verletzende Worte aus dem Sprachgebrauch zu verbannen und gewohnheitsmäßige, automatische Reaktionen in bewusste Antworten umzuwandeln. Damit wird man angeregt, sich ehrlich und klar auszudrücken und dem Kind respektvolle Aufmerksamkeit zu schenken. Bei der Gewaltfreien Kommunikation versucht man, auf Angriffe und Wortgefechte jeder Art zu verzichten und sich auf die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers zu konzentrieren. Auch dann, wenn sie hinter unbedachten Äußerungen versteckt werden.

Man muss sich selbst zurücknehmen können

Das bedeutet allerdings auch, dass man grundsätzlich in der Lage sein muss, seine eigenen Gefühle aus dem Geschehen herauszuhalten, um nicht automatisch in eine Verteidigungshaltung oder in Gegenaggression zu verfallen. Rosenberg empfiehlt, auf innere Distanz zu gehen und trotzdem präsent zu bleiben. Für eine vermittelnde Person sicher einfacher als für Eltern, die mittendrin stecken im Gefecht. Ein kleiner Trost: Selbst Profis haben damit in ihrer eigenen Familie Probleme. Empfindet Frank Gaschler seine Kinder als anstrengend, hört er erst einmal in sich hinein, fragt sich, was er selbst braucht, bevor er sich um den Nachwuchs kümmert. "Meist geht das sehr schnell und ich kombiniere es mit dem Ritual 'Dreimal tief durchatmen'. Danach bin ich wesentlich kraftvoller und damit dann auch offener für die Bedürfnisse der Kinder." Denn liegen die Nerven erst einmal blank, ist fast alles, was man ausspricht, in irgendeiner Form mit Gewalt verbunden und man landet schnell bei einem "Du bist…", "Du machst nie oder immer…" und "Wenn du jetzt nicht, dann…".

Die Wortwahl ist entscheidend

Auch Rosenberg selbst hat viel im Umgang mit seinen Kindern gelernt: "Sie brachten mir bei, dass jegliche Anwendung von Zwang von meiner Seite ausnahmslos Widerstand auf ihrer Seite auslöste. Was daraus folgte, war eine angespannte Atmosphäre in unserer Beziehung. Ich möchte diese Art der Verbindung zu keinem menschlichen Wesen haben, ganz besonders aber nicht zu meinen Kindern." Der Psychologe ist gegen Bestrafung, aber auch gegen Belohnung, denn letztendlich ist auch sie nur eine Machtausübung. Doch: keine von Eltern gesetzten Grenzen? Kinder und Jugendliche, die nur tun, was sie aus eigener Motivation heraus wollen? Da kommt automatisch die Frage auf, ob das gut gehen kann. "Wir müssen die Fähigkeit erlangen, Kindern zu sagen, ob das, was sie machen, mit unseren Bedürfnissen harmoniert oder ob es ihnen entgegensteht. In jedem Fall aber sagen wir es ihnen auf eine Art, die weder Schuld- noch Schamgefühl auf ihrer Seite auslöst." Statt ein "Du bist zu faul, um mal dein Zimmer aufzuräumen" zu verwenden, würde sich Rosenberg wie folgt ausdrücken: "Ich bin frustriert, wenn ich sehe, dass das Bett nicht gemacht ist, weil es mir wirklich ein Bedürfnis ist, dass ich unterstützt werde, das Haus in Ordnung zu halten."

Nur ein weiteres Angebot im Dschungel der Elternratgeber?

"Unsere Bedürfnisse zu kennen, die eigenen und die des anderen, erleichtert es uns, Wege im Konsens zu finden oder zumindest einen Verhaltensspielraum zu entdecken", schreiben Frank und Gundi Gaschler in ihrem Buch "Ich will verstehen, was du wirklich brauchst". Die Psychologin brachte das Prinzip in die Familie, ihr Mann war zunächst skeptisch: "Mein Weltbild drohte einzustürzen! Ich hatte ja schon so einiges mitgemacht: Habe Ich-Botschaften gesendet, Familienkonferenzen abgehalten, positive Formulierungen gefunden und Doppelbotschaften vermieden. Aber jetzt das?" Und auch er fragte sich: "Wenn es weder richtig noch falsch gibt, wo bleibt dann die Orientierung? Wenn jeder für seine Gefühle selbst verantwortlich ist, wo bleibt dann das Miteinander und wenn es keine Schuld gibt, dann kann ja jede tun, was sie will."

"Funktionieren" werden die Kinder trotzdem nicht

Überzeugt hat ihn die Veränderung, die seine Familie durch die GfK erlebte. "Nicht, dass Gundis Erziehung plötzlich erfolgreicher wurde - die Kinderzimmer wurden durch den Einsatz der gewaltfreien Kommunikation auch nicht selbstverständlicher aufgeräumt als durch meinen Belohnungs-, Bestrafungs- und Orientierungsansatz. Was sich veränderte, war vor allem die Beziehung untereinander. Sie erschien mir zunehmend entspannter und vertrauter." Wutausbrüche, Tränen und Gewalt nahmen ab.

Der Wolf ist eine Giraffe mit Sprachstörungen

Marshall B. Rosenberg bezeichnet eine aggressive Sprache als "Wolfssprache". Sie führt dazu, dass der andere sich wehrt, ausweicht beziehungsweise sich zurückzieht und sich vor allem schlecht fühlt. Hierzu gehören in erster Linie Bewertungen und Drohungen. Angst, Enttäuschung, Wut und Verschlossenheit sind die typischen Hintergründe der Wolfssprache. Wenn ein Wolf wütend ist, dann knurrt er andere an oder schnappt zu. Wenn er Angst hat, versteckt er seine Gefühle und zeigt nicht, wie es ihm wirklich geht. Doch der wildeste Wolf hat seine guten Gründe. Rosenberg sieht hinter dieser Sprache einen Ausdruck nicht gestillter Bedürfnisse, nicht zuletzt nach Zuwendung und Beachtung. Diesem begegnet er mit der "Giraffensprache".

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Verstehen heißt nicht unbedingt auch einverstanden sein

Die Giraffe ist nicht nur das Landtier mit dem größten Herzen, sie hat auch einen langen Hals, kann eine Situation daher "von oben" betrachten. Sie nimmt auch keinem anderen Tier etwas weg, weil sie dort frisst, wo andere gar nicht hinkommen und so ein friedliches Miteinander viel einfacher ist. Die Giraffensprache beinhaltet vier Komponenten: Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Verlangt wird nichts. Das Gegenüber soll so dazu gebracht werden, etwas freiwillig zu tun und nicht aus Pflichtgefühl oder aus Angst vor Bestrafung oder Hoffnung auf Belohnung. "Das Ziel dieses Prozesses", so Rosenberg, "ist der Ort, an dem alle Bedürfnisse erfüllt sind." Was nicht im Umkehrschluss bedeutet, dass dort, wo die Giraffensprache benutzt wird, immer eitel Sonnenschein herrscht. Aber die Giraffe schafft es, die Wolken, die aufziehen, in Worte zu fassen und damit gleichzeitig empathisch zu sein und bei sich zu bleiben. Hier finden Sie Beispiele für Wolfs- und Giraffensprache.

Umsetzung der GfK im Kindergarten

Das Konzept wurde mehrfach weiterentwickelt, unter anderem vom Ehepaar Gaschler, das das Projekt "Giraffentraum" speziell für Kindergärten entwickelt hat. Eine Babygiraffe hat sich verlaufen und zieht in Form einer Stoffpuppe in der Einrichtung ein. Bis die Mama sie wieder findet, gilt es herauszufinden, was sie fühlt, was sie braucht und was sie sich wünschen würde von den Kindern. Die Kinder selbst bringen ihr mit entsprechender Anleitung durch die Erzieher die "giraffische" Sprache bei und profitieren so von einem direkten Zugang zur gewaltfreien Kommunikation.

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