Vermisste Tochter Eine Mutter sucht ihre Tochter: "Dann sollte sie lieber tot sein"
Über 200 Menschen verschwinden nach Angaben des Bundeskriminalamts pro Tag in Deutschland. Innerhalb weniger Tage tauchen die meisten von ihnen wieder auf. Doch einige bleiben verschwunden. Eine davon ist Diana Ferch, von der seit über zwei Jahren kein Lebenszeichen wahrgenommen wurde. Die Reporter der ZDF-Dokureihe "37 Grad" haben ihre Mutter ein Jahr lang bei der Suche nach ihrer Tochter begleitet.
Diana wollte Abstand gewinnen
Wo ist Diana? Im Juni 2011 berichtet die damals 26-Jährige von einer Wanderung, die sie unternehmen will. Allein. Ohne Handy. Nur mit einem Rucksack und 300 Euro in der Tasche. Sie will etwas Abstand gewinnen, wie sie ihrer Mutter Regina noch kurz vor dem Abschied sagt. Ihr Ausflug sollte nur zwei Wochen dauern, schließlich ist sie Mutter ihres sechsjährigen Sohnes Damien, den sie liebt und dessen Einschulung bald anstehen sollte.
Die Einschulung von Damien findet dann auch wie geplant statt - jedoch ohne die Mutter des Jungen. "Das war der schlimmste Tag", sagt Regina. "Bis dahin hatte man noch Hoffnung, dass sie rechtzeitig zur Einschulung wieder auftaucht." Doch Diana bleibt verschollen.
Grausame Ungewissheit: "Dann sollte sie lieber tot sein"
Ein Verbrechen? Ein Unfall? Oder ist Diana einfach freiwillig gegangen? Aber wohin? Oft erzählte sie von ihrem Wunsch eines unabhängigen Lebens als Malerin und Schriftstellerin. Die Polizei war von Anfang an eingeschaltet, doch zur Klärung des Falles konnte sie bisher nichts beitragen. Außerdem ist Dianas Verschwinden auch juristisch verzwickt: Laut Gesetz darf jeder Volljährige in Deutschland gehen, wann und wohin er will - auch ohne den Angehörigen vorher Bescheid zu geben.
Für Regina ist das nur schwer zu akzeptieren. "Die Ungewissheit ist das Schlimmste", sagt sie. "Wenn ein Kind stirbt - so schlimm das auch ist -, ist es abgeschlossen, die Wunden können heilen. Hier ist das nicht so." Es scheint, als könnte Regina mit dem Tod ihrer Tochter besser leben als mit der Situation, in der sie sich nun befindet: "Das Schlimmste wäre, wenn sie irgendwo gefangen gehalten wird. Dann sollte sie lieber tot sein." Es sind die Worte einer verzweifelten Mutter.
Wählte Diana bewusst ein anderes Leben?
Seit dem Verschwinden ihrer Tochter quält sich Regina zwischen der vagen Hoffnung, dass Diana plötzlich in der Tür steht und der Frage, warum ihre Tochter überhaupt gegangen ist und ob sie dies tatsächlich freiwillig tat. "Könnte ich nicht malen, ich würde ersticken, würde ich nicht schreiben, so stürbe ich", so steht es in Dianas Tagebucheintragungen. Und weiter heißt es dort: "Wenn ich weder malen noch schreiben kann, das ist mir, als würde meine wichtigste Lebensader vertrocknen. Als stagniere meine Energie. Sobald ich aber den Pinsel in die Hand nehme oder einen Stift, befreie ich mich selbst, sprenge meine Ketten und spüre die Natur der Dinge."
Sie hoffte, von der Kunst leben zu können, doch niemand interessierte sich für sie. Weder für ihre Bilder, noch für ihre Manuskripte. Ist Diana vielleicht deshalb gegangen? Die Aussage von Damiens Kindergärtnerin, mit der Diana gut befreundet war, lassen genau das vermuten: "Ich begebe mich jetzt auf die Wanderung und suche mir meinen Weg und will mein Leben auch neu schreiben." Mit diesen Worten habe sich Diana von ihr verabschiedetet, berichtet die Erzieherin. Allerdings wollte sie immer zu Damiens Einschulung zurück sein.
Bei Damien verblassen die Erinnerungen
In Stralsund an der Ostsee, in unmittelbarer Nähe der Eltern, hat Diana mit ihrem Freund Steffen und Sohn Damien gewohnt. Jetzt sorgt der 27-jährige Steffen allein für Damien, der mit sechs Jahren seine Mutter das letzte Mal sah. Überall in der Wohnung hängen Fotos, Zeitungsausschnitte und Zeichnungen von Diana, doch die Erinnerungen verblassen langsam bei Damien. "Ich kann mich gar nicht so richtig erinnern als ich noch klein war, als Mama noch da war. Das ist so lange her. Über ein Jahr ist sie ja schon nicht mehr da", sagt Damien nachdenklich.
Vor einigen Monaten haben sie eine große Reise gemacht, um Diana zu suchen - vor allem in Künstlerdörfern. Doch ohne Erfolg. "Wir sprechen oft darüber, dass sie vielleicht morgen wieder kommen könnte, oder in einem Monat, in einem Jahr, in zehn Jahren oder auch gar nicht", berichtet Steffen. "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sein Leben zu leben. Vielleicht kämpft sie für Greenpeace irgendwo, oder möglicherweise ist sie in einem Kloster und immer noch im Prozess der Selbstfindung."
Quälende Selbstvorwürfe
Ihre Mutter Regina kann auch nach zwei Jahren das Verschwinden Ihrer Tochter nicht nachvollziehen: "So richtig zur Ruhe kommen wir nicht, solange das nicht geklärt ist." Auch deshalb nicht, weil sich Regina selbst Vorwürfe macht. Diana sei als Teenager sehr rebellisch gewesen. Es habe häufig Zoff gegeben und mit 17 Jahren ist sie bereits von zu Hause ausgezogen. Warum gab es so viel Streit? Was hat sie als Mutter selbst dazu beigetragen? Fragen, die Regina quälen und denen die ZDF-Doku einfühlsam nachgeht.
Für Regina lebt Diana in Damien weiter
Dianas Mutter setzt ihre Ersparnisse ein, um einen Privatdetektiv zu engagieren, der sich auf die Suche macht. Das vorläufige Resultat enttäuscht: "Es gibt viele Indizien, aber keine heiße Spur." Regina erstellt eine Facebook-Seite, befragt sogar eine Schamanin zum Fall ihrer Tochter und lässt in ihrer Verzweiflung den von Diana geschriebenen Roman drucken, mit dem sie Lesungen veranstaltet. Sie hofft, dass die Tochter das mitbekommt und so den Mut hat zurückzukehren.
Regina weiß aber auch, dass sie ihre Suche nicht mehr lange durchhalten wird. Das Leben mit ihrer Familie, ihrem Mann und den beiden Pflegekindern leidet darunter. Und wenigstens ein Trost bleibt: Was auch immer geschehen ist, für Regina lebt Diana in Damien weiter, der seiner Mutter sehr ähnlich sieht.
Es mangelt an Selbsthilfe für die Angehörigen
Wie Regina geht es vielen Eltern, deren Kind vermisst ist. "Durch meine Recherche habe ich erfahren, dass viele Angehörige neben der Trauer und Angst fast identische Sorgen haben, mit den gleichen Problemen kämpfen und in ähnlichen Zeitabständen die gleichen emotionalen Phasen durchleben", erklärt Thomas Fischer in seinem Drehbericht auf der ZDF-Homepage.
Der Autor der "37 Grad"-Sendung "Dianas letzte Spur - Eine Mutter sucht ihre Tochter" bemängelt gleichzeitig, dass es zwar zahlreiche Suchportale und Hilfsvereine für Angehörige von Vermissten im Internet gebe. Allerdings fehle es an einer zentralen Anlaufstelle, Selbsthilfegruppen oder einem etablierten Verein für diese Personen.
Das sei umso wichtiger, weil viele Betroffenen - ob berechtigt oder nicht - von der Polizei enttäuscht seien: "Nicht selten sind die Angehörigen davon überzeugt, dass irgendeine Kleinigkeit bei der Ermittlungsarbeit auf der Strecke blieb - und darauf stürzen sie sich dann. Denn was ist, wenn dieser kleine Hinweis tatsächlich zu der vermissten Person führen würde?", erläutert Fischer auf zdf.de. "So prallen die Verzweiflung der Angehörigen und die Routinearbeit der Beamten aufeinander und führen oft zu gegenseitigem Unverständnis."