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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trotz Impfdurchbrüchen Immunologe: "Wir haben wunderbare Impfstoffe"
Infiziert trotz Impfung: Berichte über sogenannte Impfdurchbrüche häufen sich. Was taugen die Impfungen? Ein Experte stellt klar: Sie sind hochpotent.
Durchbruchinfektionen verunsichern viele. Im letzten Wochenbericht des Robert Koch-Instituts wurden knapp 215.000 solcher Fälle gemeldet (Stand: 18.11.2021). Angesichts von über 56 Millionen Deutschen, die vollständig geimpft sind, ist die Zahl verschwindend gering. Doch klar ist: Hier handelt es sich um bestätigte Fälle. Die Dunkelziffer ist viel höher. Taugen die Vakzine nichts? t-online fragte den Immunologen Dr. Andreas Radbruch.
t-online: Herr Radbruch, was taugen unsere Impfungen? Jetzt heißt es, wir alle müssen geboostert werden. Kann man denn zuverlässig sagen, dass wir in sechs Monaten nicht wieder am Impfzentrum stehen?
Andreas Radbruch: Die Impfungen funktionieren prima. Wir haben wunderbare Impfstoffe. Sie schützen sehr gut vor einer schweren Erkrankung, zu mehr als 95 Prozent. Und sie schützen uns langfristig. Es gibt erste Untersuchungen, die zeigen, dass die Impfungen Antikörper-sezernierende Zellen im Knochenmark induzieren, wie man es von anderen Impfungen kennt, die uns für Jahrzehnte schützen.
Eine Impfung führt zur Produktion von Antikörpern durch sogenannte Antikörper-sezernierende Zellen (ASC), die wichtig für eine langanhaltende Immunität sind.
Aber wir sehen zunehmend doch Impfdurchbrüche ...
Der Schutz vor einer Infektion als solcher geht in den Wochen nach der Impfung etwas zurück. Aber der Schutz vor einer schweren Erkrankung bleibt erhalten, bisher stabil über ein Jahr, solange man es messen kann. Und das ist doch das Wichtige!
Die Booster-Impfung steigert aber den Schutz?
Für die Booster-Impfung für alle in der Bevölkerung gilt: Sie steigert in den Wochen nach der Impfung den Schutz vor schwerer Krankheit von etwa 95 auf etwa 99 Prozent. Das ist vor allem für Ältere und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem wichtig. Ihr Immunsystem arbeitet oft langsamer und weniger effizient, es braucht eine extra Aufforderung, den Boost.
Für uns alle ist das Boostern wichtiger, um die allgemeine Viruslast in der Bevölkerung zu senken, um so die vierte Welle zu brechen und die Ungeimpften vor infizierten Geimpften zu schützen. Denn für die Ungeimpften ist nach wie vor das Risiko viel, viel höher als für die Geimpften, mit einer Infektion im Krankenhaus zu landen.
Dr. Andreas Radbruch ist Immunologe und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin.
Das heißt, für alle wäre eine Booster-Impfung gar nicht nötig?
Für viele von uns nicht unbedingt, nämlich für die, die bereits nach zwei Impfungen eine wirkungsvolle und dauerhafte Immunität entwickelt haben. Sie haben Immungedächtniszellen, die bei einer Infektion sehr schnell und wirkungsvoll reagieren. Diese Zellen zerstören virusinfizierte Zellen und bilden Antikörper. Das schützt vor schwerer Krankheit, das Virus kann sich nicht entfalten. Angesichts der immer noch recht vielen Ungeimpften in der Bevölkerung ergibt es aber doch Sinn, wenn wir uns alle noch einmal impfen lassen, letztlich boostern, um die Ungeimpften zu schützen.
Aus Ihrer Sicht, was ist das beste Mittel, um die Pandemie hierzulande in Schach zu halten?
Ich denke, wir haben in den vergangenen zwei Jahren erkannt, wie wichtig einfache Hygienemaßnahmen sein können, und wie wichtig es ist, Infektionsketten durch Testen und Nachverfolgung zu unterbrechen. 2G plus testen ist sicher ein guter Weg. Und ein Punkt , der in der Diskussion bisher etwas unterging: Wir müssen unbedingt verstehen, warum manche Menschen durch das Virus so schwer erkranken. Das ist ja das Hauptproblem bei der Pandemie, sonst wäre es nur eine Erkältung wie viele andere.
Testen, auch wenn die Schnelltests offensichtlich nicht sehr zuverlässig sind?
Schnelltests erkennen niedrige Viruslasten nicht zuverlässig, aber mittlere und schwere Viruslasten ziemlich gut und sehr schnell, wie der Name schon sagt. Und darauf kommt es an. Infizierte mit hoher Viruslast sind ja die Menschen, die viele andere anstecken. Die Schnelltests sind ziemlich nützlich, um einen Überblick über das Infektionsgeschehen zu behalten. Positiv Getestete müssen ja sowieso dann mit dem PCR-Test bestätigt werden. Vielleicht auch nicht ganz unwichtig: Die Ungeimpften werden öfters mal an Covid-19 erinnert, vielleicht lassen sie sich dann eben doch noch impfen und schieben das Ganze nicht in die Ecke "Aus den Augen, aus dem Sinn".
Nun gab es eine Studie, dass es offenbar Menschen gibt, die eine Art erworbene Immunität gegen das Virus haben.
Ja, dazu gibt es bereits seit einem Jahr eine ganze Reihe von Studien, eine der ersten von der Arbeitsgruppe von Andreas Thiel an der Charité, und das ist aus Sicht der Immunologen nicht überraschend. Es gibt solche "Kreuzreaktionen" des Immunsystems. Immungedächtniszellen, die aus früheren Immunreaktionen gegen ganz andere Erreger stammen.
So weiß man, dass ungefähr jeder Dritte, der noch nie mit SARS-CoV-2 oder den Impfstoffen in Kontakt war, schon Immungedächtniszellen im Blut hat, die sogenannten Gedächtnis-T-Lymphozyten. Das sind die Zellen, die virusinfizierte Zellen abtöten und die die Bildung von Antikörpern unterstützen. Diese Menschen haben bereits eine mehr oder weniger gute Immunität gegen das Virus, bevor sie überhaupt infiziert oder geimpft sind.
In der neuen Veröffentlichung wird gezeigt, dass diese "kreuzreaktive" Immunität bei Covid-19 wahrscheinlich durch Infektionen mit harmlosen Corona-Erkältungsviren ausgelöst wird, bei denen einige Bestandteile sehr ähnlich zu Bestandteilen von SARS-CoV-2 sind.
Wie sieht unsere Zukunft aus? Worauf müssen wir verzichten, um das Virus bei uns als heimisch zu akzeptieren?
Das Virus wird uns begleiten wie ein ungeliebter Hausgenosse. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Wenn alle entweder geimpft oder genesen sind, oder beides, und wir bei der Hygiene achtsam bleiben, und keine neuen Virusmutanten auftauchen, gegen die unsere Immunität nicht hilft, sollten wir unser Leben zurückbekommen können.
Herr Radbruch, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Andreas Radbruch
- Eigene Recherche