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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wall-Street-Expertin warnt "Wir alle füttern die Milliardäre durch"
Die Zahl der Milliardäre wächst, Superreiche werden als Genies der Technologie und des Finanzmarkts zugleich verehrt. Journalistin Heike Buchter zweifelt am Mythos – und fürchtet um die Demokratie.
Eine Milliarde Dollar ist für die meisten Menschen ein unfassbares Vermögen, für einige hingegen nur eine Zahl. Superreiche wie Elon Musk, Bill Gates und Jeff Bezos sind viele Milliarden schwer. Sie werden von der Öffentlichkeit bewundert für ihren Erfolg. Das ist falsch, sagt die Journalistin Heike Buchter, die gerade das Buch "Wer wird Milliardär? Vom großen globalen Abkassieren" veröffentlicht hat. Statt Glorifizierung seien Vorsicht und Kontrolle angebracht. Denn die Macht der Milliardäre könne sich die Menschheit überhaupt nicht leisten. Warum, erklärt die Wirtschaftsexpertin im Gespräch.
t-online: Frau Buchter, ich möchte gerne Milliardär werden. Wie stelle ich das am besten an?
Heike Buchter: Es ist gar nicht schwer, ein Superreicher zu werden. Drei Wege verhelfen zum Reichtum: Suchen Sie sich Ihre Vorfahren gut aus! Wer ein kleines Vermögen erbt, kann daraus am Finanzmarkt schnell ein großes machen.
Wenn mir nun aber bereits das kleine Vermögen fehlt?
Dann nehmen Sie halt das Geld anderer Leute. Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften leben ganz hervorragend davon. In der Finanzwelt gibt es keinen Mangel an Möglichkeiten und Winkelzügen, um aus viel Geld sehr viel Geld zu machen.
Sie erwähnten aber noch eine dritte Möglichkeit, um reich zu werden?
Richtig. Werden Sie Staatschef eines Schwellenlandes – oder sorgen Sie zumindest dafür, dass ein naher Verwandter diese Position bekommt. Dann finden sich schon Mittel und Wege zur Mehrung des eigenen Reichtums. Wer immer einen dieser drei Wege beschreitet, wird schnell und ziemlich sicher Milliardär.
Heike Buchter, Jahrgang 1968, ist Korrespondentin für die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" in New York. Die studierte Betriebswirtin berichtet seit 2001 von der Wall Street und ist Autorin verschiedener Bücher wie des Bestsellers "BlackRock. Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld". Kürzlich erschien ihr aktuelles Buch "Wer wird Milliardär? Vom großen globalen Abkassieren".
Aber mit den Milliarden kommen auch die Sorgen: Wie stelle ich sicher, dass ich mich nicht durch schlechte Entscheidungen irgendwann bei den Millionären wiederfinde?
Dafür haben Sie ein Heer von Beratern. Kein Superreicher kann wirklich abstürzen, wenn er erst einmal eine bestimmte Anzahl von Milliarden angesammelt hat. In sogenannten Family Offices kümmern sich Experten darum, dass das Geld nicht nur erhalten, sondern auch vermehrt wird. Die machen den lieben langen Tag nichts anderes. Darin sind sie auch ziemlich gut, meistens handelt es sich um Leute, die zuvor bei großen Investmentbanken gearbeitet haben. Die exzellente Bezahlung durchs Family Office wiegt dann auch die Nachteile auf.
Welche Nachteile?
Sie werden mit allerlei Dingen auf Trab gehalten, die mit dem eigentlichen Job wenig zu tun haben. Auf welche Privatschule soll der Milliardär seine Sprösslinge schicken? Solche Nickeligkeiten eben.
Sie haben vor Kurzem ein Buch mit dem Titel "Wer wird Milliardär? Vom großen globalen Abkassieren" veröffentlicht. Wer schafft denn konkret den Aufstieg in diese Gruppe?
Die Öffentlichkeit ist fasziniert von diesen Menschen, Superreiche werden geradezu glorifiziert: An diesen Leuten müsse doch etwas Besonderes sein, weil sie so irrsinnig reich geworden sind. Die ernüchternde Realität ist aber, dass ihr Aufstieg gar nicht so überraschend ist. Sie hatten die richtigen Karten zur richtigen Zeit in der Hand. Aber wir Normalsterblichen sind doch auch nicht doof. Wir hatten nur nicht die richtige Gelegenheit beziehungsweise Zugang zu den drei Wegen, über die wir schon gesprochen haben. Viele Milliardäre hatten früh gut geerbt und wären allein aufgrund dieser Tatsache niemals arm gewesen.
Nun gelten Männer wie Elon Musk, Jeff Bezos und Bill Gates als Genies, die ihre Milliarden Scharfsinn, Tatkraft und Durchsetzungsfähigkeit zu verdanken hätten.
Nehmen wir den Erstgenannten: Elon Musk wird völlig überschätzt – beim genaueren Hinsehen. Etwa beim Beispiel Tesla: Anders als oft dargestellt, hat Musk den Autobauer nicht gegründet. Den eigentlichen Gründern hat er sogar den Mund verbieten lassen, um seine Version der Geschichte zu stützen. Tatsächlich hatte Musk das große Glück, gerade flüssig zu sein, als er sich damals bei Tesla einkaufte.
Das Geld verdankte Musk Ebay, das für viel Geld den Bezahldienstleister PayPal erwarb, bei dem er Anteile hielt.
Ebay glaubte, dass PayPal das Zahlungsmittel der Zukunft wäre. Ein teurer Irrtum, aber ein Glücksfall für Musk. Kommen wir aber auf seine Weltraumunternehmung SpaceX zu sprechen, das andere wichtige Aktienpaket in seinem Portfolio. Die Raketen hätte Musk quasi im Alleingang gebaut, heißt es immer wieder. Was natürlich Unsinn ist. Space X verdankt seinen Erfolg der Tatsache, dass das Unternehmen massiv Staatsaufträge erhalten hat.
Weil die Nasa sich wiederum aus vielen Bereichen zurückgezogen hat.
Genau. Wer befördert nun amerikanische Astronauten ins All? Elon Musk. Seine Macht wächst auch durch das Satellitennetzwerk Starlink, das für die Ukraine im Krieg gegen Russland für ihre Aufklärung so wichtig ist. Damit macht man sich allerdings komplett abhängig von Musk und seinen Launen. Nach Kritik aus Kiew an seinem "Friedensplan" für die Ukraine drohte er schon einmal, die Unterstützung einzustellen. Seither gibt die US-Regierung Geld für Starlink – wie viel, ist unbekannt.
Ignoriert die US-Politik die Gefahr, die durch Musks Akkumulation von Macht erwächst?
Niemand kann Musk kontrollieren, auch nicht die US-Regierung. Keiner weiß, wie man mit seiner Macht umgehen soll. Denn er erledigt viele Dinge, die früher einmal Staatsaufgaben waren. Wenn Musk sich dann in den Konflikt um die Ukraine einmischt, herrscht Konfusion. Denn er ist ein privater Unternehmer, kein gewählter Politiker. Musk muss sich vor niemandem verantworten. Wer hätte noch vor fünf oder zehn Jahren gedacht, dass die US-Regierung mit einem Milliardär verhandeln muss?
Techmilliardäre vergessen eine weitere Tatsache gerne: Zahlreiche Innovationen, die ihre Produkte so erfolgreich machen, sind öffentlicher Förderung, sprich den Steuerzahlern, zu verdanken.
Etwa der Touchscreens von Smartphones, richtig. Vom Internet an sich ganz zu schweigen. Tatsächlich war dies aber durchaus gewollt, weil die US-Regierung glaubte, dass der Staat Patente nicht richtig zu kommerzialisieren wüsste. Das sollte lieber der freie Markt besorgen – dann würde auch die Allgemeinheit in Form von Arbeitsplätzen et cetera profitieren. Allerdings ist das eine ziemliche Milchmädchenrechnung, denn der freie Markt fand ja erst dann statt, als die Innovationskosten schon beglichen worden waren. Der Steuerzahler durfte also zweimal blechen. Einmal für die Forschung, die dann im von ihm gekauften Smartphone verbaut worden ist. Steve Jobs von Apple wusste die Ironie sicher zu schätzen.
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Warum werden Milliardäre und insbesondere diejenigen, die ihr Geld mit Technologiekonzernen machen, trotzdem derart angehimmelt?
Tatsächlich tragen wir von den Medien Mitverantwortung. Es müsste viel mehr hinter die Kulissen dieser Superreichen und ihrer Unternehmungen geschaut werden. Berichterstattung über Wirtschaft und Finanzen war aber schon immer eine besondere Herausforderung, weil es schnell kompliziert und abgehoben wird. Der Anspruch muss sein, so zu berichten, dass die Menschen den Bezug zu ihrer Realität sehen.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir Schottland. Dort kauft sich der Milliardär Anders Povlsen riesige Mengen Land zusammen. Wem der Name nun nichts sagen sollte: Zu seinem Imperium gehören Vero Moda und Jack&Jones. Beide sind bei Umweltschützern verpönt, denn es handelt sich um sogenannte Fast Fashion: kaufen, tragen, wegwerfen. Aber zurück zu Schottland, dort haben die Menschen, die dort leben, nicht mehr viel zu melden, was große Teile ihres eigenen Landes angeht.
Weil der Superreiche Povlsen allein bestimmt?
Genau. Er hat entschieden, dass das Land wie einst bewaldet und in einen für Mensch und Natur schönen Ort verwandelt wird. Er könnte aber auch einfach alles betonieren lassen. Normalsterbliche haben in der Welt der Superreichen wenig zu melden. Nehmen wir Kunst: zahlreiche Werke werden aufgekauft und verschwinden in Privatsammlungen. Wenn der reiche Eigentümer sie einem Museum zur Verfügung stellt, ist es ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Im Zweifelsfall nimmt der Milliardär seine Kunstwerke und verschwindet mit ihnen.
Im Buch nennen Sie das Beispiel des Hedgefonds-Milliardärs Ken Griffin.
Weswegen hochkarätige Kunst statt in der Metropole Chicago nun in einem lokalen Museum in West Palm Beach in Florida zu sehen ist. Gut für Florida, schlecht für Illinois.
Superreichen wird eine gewisse Exzentrik unterstellt. Ist es richtig, dass manche sich ein Rennen um Fossilien des Tyrannosaurus Rex leisten?
Ja. Man muss nun kein Psychologe sein, um die Gründe dafür zu erahnen. Der belgische Milliardär Fernand Huts hat 2023 einen T-Rex namens Trinity ersteigert, ein Jahr zuvor gönnte sich ein anonymer Bieter einen T-Rex-Schädel mit Namen Maximus. Beim Kaufpreis von sechs Millionen Dollar wird es kein armer Mann gewesen sein.
Also sind Megajachten nicht das einzige Hobby der Milliardäre.
Es ist eines von vielen. Über Huts gibt es einen bezeichnenden Witz – wollen Sie ihn hören?
Gern.
"Kennen Sie den Unterschied zwischen Gott und Fernand Huts? Gott denkt nicht, dass er Fernand Huts ist." Damit wäre vieles gesagt.
Nun gelten manche Superreiche als ausgemachte Philanthropen, die ihren Reichtum zum Nutzen der Menschheit einsetzen. Ist es wirklich Selbstlosigkeit?
Microsoft-Gründer Bill Gates hat sicher Gutes im Sinn. Aber mit seiner Stiftung verfolgt er auch eigene Zwecke. Lange Zeit war Gates unbeliebt, dann machte er eine Reise nach Afrika und verschrieb sich dem Ziel, das Leid der Menschen zu bekämpfen. So weit, so gut. Wie er das tut, entscheidet allerdings Gates allein. Und das macht Superreiche so gefährlich, sie sind schwer für die Allgemeinheit zu kontrollieren.
Gates hat etwa beschlossen, dass die Welt die Atomkraft braucht, um klimaneutral zu werden.
Das ist ein gutes Beispiel, zwei Milliarden Dollar lässt er sich das kosten, der US-Regierung bleibt wenig übrig, als ebenfalls Milliarden beizusteuern. Aus Sicht der Demokratie ein zweifelhafter Vorgang. Die Macht der Milliardäre reicht aber noch weiter: Stellen Sie sich vor, so ein Mann will das Klima durch Geoengineering "retten". Was sehr umstritten ist in der Wissenschaft. Nun chartert der Mann aber kurzerhand eine Flotte, fährt in die Antarktis und lässt dort in rauen Mengen Aerosole versprühen. Die Folgen könnten dramatisch sein. Wer will ihn aber aufhalten?
Der Untertitel Ihres Buches "Vom globalen Abkassieren" nimmt damit noch eine ganz andere Bedeutung an.
Das eigentliche Thema von "Wer wird Milliardär?" ist die wachsende Ungleichheit. Immer mehr Geld konzentriert sich in den Händen weniger: Dabei spielt nicht nur die immer weiter auseinanderdriftende Verteilung des Wohlstands eine Rolle, sondern die Arbeitnehmer profitieren immer weniger von technologischen Fortschritten. Während einige Superreiche immer mehr haben. Mittlerweile bedroht dies nicht nur die Demokratie, sondern unsere Existenz auf diesem Planeten. Wir können uns Milliardäre einfach nicht mehr leisten.
Wie aber lassen sich die Milliardäre ärmer machen? In Zeiten, in denen Elon Musk der US-Regierung Bedingungen stellt und nicht umgekehrt?
Eine Möglichkeit wäre eine globale Vermögenssteuer. Sie müsste allerdings tatsächlich global sein, sonst flüchten die Reiche in sichere Häfen. Ein anderer Weg bestünde darin, Monopole und Patente aufzubrechen. Den Menschen muss bewusst werden, dass die Superreichen nicht in irgendeiner Parallelwelt leben, die keinen Bezug zu unserer Realität hat.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir alle füttern die Milliardäre durch. Neulich habe ich etwas bei Amazon bestellt. Damit habe ich einmal Jeff Bezos bereichert, aber nicht nur ihn. Der Karton, der mir geliefert worden ist, wird von einem Milliardär hergestellt, die Firma, die eben diesen Karton recycelt, gehört einem weiteren. Das ist nun ein kleines Beispiel von vielen aus dem Alltag. Wir können den Superreichen gar nicht mehr entgehen.
Frau Buchter, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Heike Buchter via Videokonferenz