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Wahlkampf von ARD bis RTL: Das TV-Zeugnis zur Bundestagswahl


Wahlkampf im TV
Eine Moderatorin ließ sich vorführen


Aktualisiert am 21.02.2025 - 17:24 UhrLesedauer: 7 Min.
Jessy Wellmer, Günther Jauch und Sandra Maischberger: Drei der Protagonisten unter der Schar der TV-Moderatoren.Vergrößern des Bildes
Jessy Wellmer, Günther Jauch und Sandra Maischberger (v.l.n.r.): Drei der Protagonisten in der Schar der TV-Moderatoren. (Quelle: Imago/Montage t-online)
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Bissige Vorwürfe, explosive Verbalattacken und zwischendrin immer wieder Kuschelkurs: Wie sinnvoll waren die Debattenformate zur Wahl? Das TV-Zeugnis.

Was wurde im Vorhinein nicht alles über diesen Wahlkampf und seine schier endlosen TV-Termine diskutiert. Von ARD über ZDF bis RTL, Welt oder ProSieben: Überall flimmerten in den vergangenen Wochen Wahldebatten über die Bildschirme. Mal zwei, dann vier Kanzlerkandidaten, mal mit Bürgern, dann wieder ohne. Den TV-Zuschauern schwirrte der Kopf, doch die Quoten gaben den Sendern recht. Selbst die "Schlussrunde" am Donnerstag zu später Stunde, mit acht Spitzenvertretern der Parteien, sahen rund fünfeinhalb Millionen Menschen.

War also doch alles gut? Nun ja, nicht ganz. t-online macht den großen Duellcheck und stellt Sendern wie Moderatoren ein TV-Zeugnis aus. In den Rollen der Prüfungskommission: Philipp Michaelis, Bereichsleiter Aktuelles, und Steven Sowa, stellvertretender Unterhaltungschef.

Das erste Duell: Scholz gegen Merz (ARD und ZDF)

Steven Sowa: Ein gelungener Start in die Debattensaison – trotz aller Unkenrufe. Sandra Maischberger und Maybrit Illner waren gut vorbereitet, deutlich im Ton und bestens organisiert. Wie die beiden Moderatorinnen sich die Blöcke thematisch aufteilten: Chapeau. Wie sie, wenn es mal etwas hitziger wurde, einschritten: beispielhaft. Das TV-Duell der Öffentlich-Rechtlichen wurde vorab viel kritisiert – und setzte am Ende doch den Maßstab für alle folgenden Formate.

Note: 2

Philipp Michaelis: Wer um jeden Preis vermeiden will, dass eine TV-Debatte schiefgeht, der muss sie Sandra Maischberger und Maybrit Illner moderieren lassen. Vollprofis. Faktenfest, ohne oberlehrerhaft zu wirken. Freundlich, ohne Anbiederei. Und (wogegen Fernsehleute nicht immer gefeit sind): uneitel. Es gibt im TV immer wieder Gespanne, die gegeneinander moderieren, einander das Scheinwerferlicht zu neiden scheinen. Maischberger und Illner hatten jederzeit alles im Griff, auch einander und sich selbst. Vielleicht gestalteten sie die Premiere einen Hauch zu überraschungsarm. Dafür aber absolut souverän.

Note: 1-

Vier gegen viele: "Klartext" mit Bürgerfragen (ZDF)

Philipp Michaelis: Einen guten Schiedsrichter bemerkt man nicht, heißt es im Fußball. Insofern kann man Bettina Schausten und Christian Sievers keine großen Vorwürfe machen. Beide haben schon schwierigere Sendungen zu moderieren gehabt als diese betuliche Bürgerfragestunde, in der das ZDF nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überließ. Sorgsam gebrieft und mit Fotos und Kurzdossiers der Fragesteller bewaffnet, steuerten beide wie auf Autopilot durch das Forum. Da bis auf Merz alle Quadrellanten nicht ihren besten Tag hatten und eher müde (Habeck) oder genervt (Weidel) agierten, blieb am Ende wenig hängen. Hätte Elton wahrscheinlich auch hinbekommen. Nicht die beste Visitenkarte.

Note: 3

Steven Sowa: Wer hätte das gedacht? Ein Bürgerdialog mit Mehrwert, eine Sendung, die beides bot: Unterhaltung und Information. Diese Formate von ARD und ZDF, in denen das Publikum die Fragen stellt, kommen immer etwas hölzern daher. Zwei Moderatoren geistern als Stichwortgeber degradiert durch ein prall gefülltes Studio und die Politiker wissen nie, wen sie eher anschauen sollen: die Fragesteller aus dem Publikum – oder das betreuende Pflegepersonal der Fernsehanstalten daneben. Am Ende gelang das Unmögliche: Die diabolisch anmutenden Lacher von Alice Weidel wurden im Anschluss an die Sendung hitzig diskutiert, Olaf Scholz geriet genauso wie Friedrich Merz ins Schlingern und Robert Habeck mutierte im Gespräch mit Bürgern zum Erklärbär. Für Bettina Schausten und Christian Sievers ein Selbstläufer, bei dem sie dennoch an der einen oder anderen Stelle zu behäbig wirkten.

Note: 3

Das echte Quadrell (RTL und n-tv)

Steven Sowa: Die Privaten können es auch – und wie. Es ist nicht selbstverständlich, einen Schlagabtausch mit vier Spitzenpolitikern sauber über die Bühne zu bekommen. Doch Pinar Atalay und Günther Jauch fegten nicht nur souverän durchs Studio, sie wirbelten auch einigen Staub auf. Denn wie Jauch die AfD-Kandidatin Alice Weidel ins Kreuzverhör nahm, als die süffisant über ihre Pendelei zwischen der Schweiz und Deutschland hinweggehen wollte, war im richtigen Maße hartnäckig. Auch seine Co-Moderatorin ließ sich von Anmerkungen zu vermeintlich seltsamen Fragen nicht beirren. Ob Dschungelcamp, "Mensch ärgere dich nicht" oder "Wer wird Millionär?": RTL machte RTL-Sachen – aber auf eine Art, die aufrüttelte und damit neue Zielgruppen erreichte.

Note: 2+

Philipp Michaelis: Als Gesamtkunstwerk die gelungenste Debatte der Duellsaison 2025. Pinar Atalay und Günther Jauch schafften den Spagat zwischen strengem Verhör und spielerischer Verführung. Vermasselt: das Timing. Dass Scholz am Ende nachweislich am längsten gesprochen hatte und Weidel am wenigsten, hätten Regie und Moderation unbedingt verhindern müssen. Zudem: Jauch war im Mittelteil des Quadrells eine gefühlte halbe Stunde unsichtbar und schuldet Fernsehdeutschland die Antwort, ob ihn seine Erkältung oder inhaltlich laxe Vorbereitung so aus dem Spiel nahmen. Als man schon eine Vermisstenmeldung für ihn herausgeben wollte, übernahm er das Ruder: Sein Bierdeckel-Fehlgriff war urkomisch, sein Schlusswort zu Merz, Habeck und Scholz klug: Wenn die politische Mitte in den kommenden vier Jahren die Probleme nicht löst, wird Alice Weidel 2029 Bundeskanzlerin. Top.

Note: 2-

Verhuscht durch die Wahlarena (ARD)

Philipp Michaelis: Jessy Wellmer und Louis Klamroth scheiterten an der Grundidee ihres Formats: Um Alice Weidel vorzuführen (und man kann darüber streiten, ob das die Intention einer objektiven Debatte sein sollte), braucht es mehr als ein paar gut gecastete Fragesteller. Von Anfang an verdarb das Eingeständnis der Redaktion die Sendung, dass sich unter den Fragestellern politische Aktivisten befanden. Klamroth kämpfte erfolglos gegen die ihm ins Gesicht geschriebene Zustimmung, wann immer Weidel ins Kreuzverhör genommen wurde. Seine Kollegin wirkte verhuscht und musste sich einmal gar von der AfD-Chefin vorführen lassen: Wellmer hatte mehrfach Uneinigkeiten mit dem Verweis auf den Faktencheck beendet. Als plötzlich Weidel ihn einforderte (und auch noch in Wellmers Duktus), parodierte sie damit die Moderatorin. Unangenehm.

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Note: 4

Steven Sowa: Der etwas frischere, lockere Bürgertalk bei den Öffentlich-Rechtlichen. Wo Schausten und Sievers im ZDF noch altbacken daherkamen, zeigten Jessy Wellmer und Louis Klamroth, wie eine zeitgemäße Moderation aussehen sollte. Journalistisch standen die beiden ihren ZDF-Kollegen in nichts nach, immer wieder konfrontierten sie die Kandidaten mit Widersprüchen, hakten nach. Doch sie strahlten dabei eine fast schon jugendliche Gelassenheit aus und glänzten mit flotter Schlagfertigkeit. So wirkte es in den Übergängen zwischen den Fragen nie schwerfällig, sondern leichtfüßig.

Note: 2+

Scholz gegen Merz – das Rückspiel (WeltTV)

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Steven Sowa: Das vermutlich unnötigste Duell unter den Formaten – und gemessen an den Quoten das erfolgloseste. Es ist Fluch und Segen zugleich, einen solchen Sendetermin zu bekommen. Du bist gleichzeitig beinahe letzter, andererseits fast der letzte Eindruck vor der Wahl. Dafür können aber weder Marion Horn noch Philipp Burgard etwas. Sie machten ihre Sache souverän, versuchten vor allem, mit privaten Geschichten zu punkten. Das brachte die eine oder andere Schlagzeile im Nachhinein – aber keinen neuen Erkenntnisgewinn. Zumal die geschlossenen Fragen zum Privatflugzeug von Merz und dem Ruderboot von Scholz nicht nur etwas albern waren, sondern auch ungeschickt formuliert.

Note: 4

Philipp Michaelis: Marion Horn ("Bild") und Jan Philipp Burgard ("Welt") moderierten tapfer gegen die Tatsache an, dass schon im ersten Scholz-Merz-Duell alles gesagt, der Zweikampf bereits entschieden schien und beide Duellanten eher vergnügt rauften. Merz und Scholz wollten sich spürbar nicht wehtun und verströmten starke Groko-Gefühle. Die Moderatoren machten aus der Not eine Tugend: Sie entlockten beiden Kandidaten statt programmatischer Aussagen Einblicke in die Seele, die man weder von Scholz noch von Merz bislang so kannte: Der Noch-Kanzler schwärmte von seinem Glück in der Liebe mit Gemahlin Britta Ernst, Merz erzählte mit leicht brüchiger Stimme vom frühen Tod seiner beiden jüngeren Geschwister. Nahbarer waren er und Scholz in keiner anderen Debatte.

Note: 2

Massenkarambolage in der Schlussrunde (ARD und ZDF)

Philipp Michaelis: Eine Massenkarambolage. Acht Spitzenpolitiker – Carsten Linnemann (CDU), Matthias Miersch (SPD) , Annalena Baerbock (Grüne), Alexander Dobrindt (CSU), Sahra Wagenknecht (BSW) und Jan van Aken (Linkspartei) – balgten um Redezeit. Da sich Merz, Scholz und Habeck vertreten ließen, war das Line-up zweite Wahl und die Sendung für alle (bis auf Weidel) die einzige Chance, im TV-Wahlkampf zu glänzen. Entsprechend drängelten sie, fielen einander ins Wort, redeten durcheinander. Es hätte Führung von der Moderation gebraucht. Doch Diana Zimmermann und Markus Preiß trieben nicht, sondern wurden getrieben von der Galligkeit der acht Protagonisten und der grotesken Fehlentscheidung der Regie, den Politikern nach Ende ihrer Redezeit die Mikrofone herunterzudrehen. "Man kann Sie ohnehin nicht mehr verstehen", jammerte Preiß einmal. Richtig: Das hätten er und Zimmermann verhindern müssen. Auch ihr Timing stimmte nicht. Bildungspolitik kündigten sie groß an und brachen nach fünf Minuten ab.

Note: 5

Steven Sowa: Hier zeigt sich das ganze Dilemma großer Gesprächsrunden. Was schon bei einem Stuhlkreis ohne Kameras zum Scheitern verurteilt ist, geriet bei ARD und ZDF am Donnerstagabend zum Desaster. Ständig riefen die acht Spitzenpolitiker durcheinander, attackierten sich, fielen ihren Konkurrenten ins Wort: ARD-Mann Markus Preiß verdrehte ein ums andere Mal die Augen, seine ZDF-Kollegin Diana Zimmermann wirkte konsterniert. Auch wenn die beiden um Ordnung bemüht waren: Dieser personell heillos aufgeblähte Schlagabtausch war mehr Zirkusshow als TV-Debatte.

Note: 5

Lehren für das "Bürger-Speed-Dating" bei ProSiebenSat.1

Steven Sowa: Und damit zur großen Erkenntnis der vergangenen Wochen: Weniger ist mehr. Das Duell zu Beginn hat es gezeigt, das mit Stoppuhr und strengen RTL-Moderatoren versehene Quadrell hat es bewiesen: Alles, was über mehr als vier Kandidaten hinausgeht, funktioniert im Fernsehen nicht. Wenn TV-Formate dafür da sein sollen, informativen Mehrwert zu bieten, Inhalte deutlich zu machen, Unterschiede aufzuzeigen, dann kann das nur über den Austausch der Argumente geschehen – und nicht durch eine Kakofonie gegenseitiger Verbalattacken. Auf Paul Ronzheimer und Linda Zervakis kommt nun die Aufgabe zu, am Samstag mit den drei Kanzlerkandidaten Scholz, Habeck und Weidel – Merz hat aus Termingründen abgesagt – zu beweisen, dass sie aus diesen Lehren die richtigen Schlüsse ziehen.

Lehren für Samstag: Klare thematische Organisation unter den Moderatoren wie bei ARD und ZDF im TV-Duell, Offenheit für Neues und Dynamik wie bei RTL. Dann gelingt eine Debatte auch am Abend vor der Wahl.

Philipp Michaelis: Die Latte für Ronzheimer und Zervakis hängt gleichermaßen hoch wie tief. Die Moderationsmaschine Maischberger-Illner und das Infotainment-Gespann Atalay-Jauch haben vorgemacht, wie man als Gastgeber einer TV-Debatte glänzen kann. Für den mit allen Wassern gewaschenen und bei den Politikern respektierten Paul Ronzheimer dürfte der Ritt leichter werden als für Linda Zervakis. Ein Risiko: Das Bürgerfragen-Konzept steht und fällt auch beim Speed-Dating mit der Zusammenstellung der Fragenden. Stellt sich auch bei ProSiebenSat.1 heraus, dass sie handverlesen sind, können die Moderatoren die Glaubwürdigkeit des Konzepts nicht mehr retten.

Lehren für Samstag: Es ist beim Bürger-Speed-Dating die Aufgabe der Fragesteller, alle Kandidaten gleichermaßen zu konfrontieren. Gelingt das nicht und wollen Zervakis und Ronzheimer diese Rolle übernehmen, verlassen sie die des Gastgebers. Daran sind Klamroth und Wellmer gescheitert. Ein wenig Zurückhaltung kann nicht schaden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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